Mittwoch, 19. Januar 2011

Noctambule: Die kratzende Katze

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

George musste an der Fassade des Hauses heraufgeklettert sein. Mit einem Bein stützte er sich an einem kleinen Sims ab, eine Hand an der Brüstung schützte ihn vor dem Abrutschen und mit dem halben Gesäß saß er auf dem äußeren Rand der Balkonbrüstung.
Er musste sich bereits eine ganze Weile im Schatten versteckt gehalten haben. Ängstlich wich Anya zurück, um in den Saal zu fliehen. Doch Georges freie Hand griff nach ihrem Arm und hielt sie fest.


"Ach, gönnt mir doch einen Augenblick der ruhigen Zweisamkeit." flehte er übertrieben und blähte schnuppernd seine Nase. Anya wusste, wonach er witterte. Armand liebte diesen Duft der Angst. George schien es ebenso zu gehen. Er musste ihren rasenden Puls hören, denn ihr Herz schlug so heftig, dass es selbst in ihren eigenen Ohren dröhnte.
Mit einer heftigen Bewegung versuchte sie sich loszureißen, doch Georges Griff war zu kraftvoll. Er zog sie einfach wieder zu sich heran. Seine Augen glitten über ihren Hals und blieben an der Perlenkette hängen.
"Oooh. Hat er dich schon verstoßen? Bist du nicht mehr sein Haustierchen? Oder soll diese Kette ein Aufstieg zur Sklavin sein?" hauchte er amüsiert.
"Lasst mich los, oder ich schreie!" zischte sie und fragte sich, warum sie ihn auch noch warnte. Sie hätte gleich schreien sollen. Warum hatte sie das nicht getan? Die Antwort war ihr sofort klar. Sie wollte nicht als hysterische Paranoikerin wirken, die den Saal aufschreckte und für das nächste Stadtgespräch sorgte, denn George würde verschwinden und sie musste erklären, was sie so erschreckt hatte. Eine Fledermaus vielleicht?
Im nächsten Moment verwarf sie ihre Skrupel. Egal, was die anderen dachten, Armand musste gewarnt werden. Sie holte Luft für einen gellenden Schrei.
Aber wieder einmal hatte sie die Schnelligkeit eines Vampirs unterschätzt. Ohne die Bewegung gesehen zu haben, presste sich Georges Hand schmerzhaft auf ihren Mund. Gleichzeitig riss er sie herum und drückte sie mit dem Rücken gegen das Geländer und bog sie weiter, bis sie seine Brust berührte.
"Wie niedlich. Das Kätzchen will maunzen." hauchte er in ihr Ohr. "Wenn du schreien willst, dann weil ich dich dazu bringe. Ist das nicht viel verlockender?" In Anya kroch kalte Angst hoch. Mit einer Hand alleine war George stärker als ein normaler Mann. Aber er musste sich mit der anderen festhalten, um nicht herunter zu fallen. Sie fragte sich, ob er sie über die Brüstung mit sich ziehen wollte und Panik setzte sich fest. Anyas Hand formte sich zu einer Kralle und fuhr über ihren Kopf nach hinten quer über Georges Gesicht. Gleichzeitig grub sie ihre Zähne in die Finger, die ihren Schrei erstickt hatten.

Fluchend ließ George sie los. In seinem Gesicht brannten drei Kratzer ihrer Fingernägel. Anya riss sich aus seiner Umarmung und drehte sich zur Tür in den Salon. Sie prallte gegen eine breite Brust und wurde von einem starken Arm festgehalten. Das tiefe Knurren aus Armands Kehle raubte ihr vor Erleichterung fast die Kraft in den Beinen. Für eine Sekunde hatte sie geglaubt, gegen George gerannt zu sein.
Armand starrte George aus glühenden Augen an. Auch Georges Augen funkelten auf. Eine endlos wirkende Sekunde lang starrten sich die Beiden in abgrundtiefem Hass an, begleitet von einem giftigen Fauchen von George, das seine scharfen Zähne offenbarte. Armands Antwort war ein weiteres dunkles Grollen. Angriffsbereit schob er Anya halb hinter sich, um sie sowohl aus der Gefahr als auch aus seinem Aktionsradius zu wissen.
Doch dann glitt wieder die höfisch verspielte Maske über Georges Züge. Selbst in dieser wackligen Lage deutete er eine übertriebene Verbeugung an.
"Der hochgeschätzte Armand Sartous. Dein Kätzchen kratzt, wusstest du das?" Armands Gesicht verzog sich zu einem kurzen Schmunzeln. Ihm würde keine noch so kleine Bewegung Geoerges enetgehen und er war bereits, sofort darauf zu reagieren, jetzt und hier.
"Amüsant. Ich glaube, du warst nicht eingeladen. Soll ich dir den Ausgang zeigen?" Seine Stimme war nun ruhig. Sehr ruhig. Anya spürte die tiefe Konzentration. Sie hatte keine Angst mehr. Statt dessen starrte sie mit einer Mischung aus Schreck und Faszination auf Georges Gesicht, wo die Kratzer bereits wieder zu verschwinden begannen. Träumte sie das gerade?
"Danke, ich kenne den Weg. Man sieht sich wieder, Armand." Georges Stimme riss sie aus ihrer Starre. Blinzelnd sah sie sein scharfes Gebiss aufblitzen. Dann ließ George einfach die Brüstung los und verschwand in der Dunkelheit.
Anya konnte trotz angestrengten Lauschens kein Geräusch wahrnehmen. Ihr Blick hing an Armands Gesicht, der offenbar verfolgte, was George tat. Seine Augen schienen tatsächlich etwas sehen zu können. Dann senkte er seinen Blick zu ihr herunter und in seinen Mundwinkeln spielte ein kleines Lächeln.
"Du hast also gekratzt? Braves Mädchen." raunte er leise und strich sanft über ihre Wange. Galant legte er seinen Arm um Anyas Taille und wollte sie zurück in den Raum führen. Doch beim Umdrehen versperrte ihnen Miriam den Weg. Anyas Herz bliebt einen Moment vor Schreck stehen. Denn so, wie Miriam aussah, hatte sie die kleine Szene mitverfolgen können. Ihr Gesicht war schreckensbleich, ihr Mund offen und sie starrte die Beiden fassungslos an.
"Ich… ich.. da.." mehr bekam sie nicht heraus. Anya verkrampfte, aber Armand blieb völlig ruhig. Sein Blick senkte sich in ihre Augen. Stumm sah er Miriam mit seltsam eindringlich flackerndem Blick an, bis ihre Augen seltsam leer zu ihm aufblickten.
"Dir ist gerade ein wenig übel. Du brauchst einen Moment frische Luft." seine Stimme war eintönig dunkel. Miriam nickte langsam und atmete mehrfach tief durch.
"Es geht dir wieder gut. Du erinnerst dich nur daran, den Balkon zu betreten. Jetzt ist dir kalt!" Folgsam nickte Miriam. Dann blinzelte sie verwirrt, die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück und sie lachte irritiert auf.
"Da seid ihr ja! Ich wollte Euch etwas sagen.. jetzt habe ich vergessen, was es wahr." sie lachte hell und hängte sich in Armands Arm.
"Egal! Kommt mit rein! Da drin ist es wärmer." Sie zog an Armands Arm und dieser folgte. Aber sein Blick lag mit einem kleinen Lächeln in Anyas verblüfftem Gesicht, als er sie hineinführte.

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