Dienstag, 18. Januar 2011

Noctambule: Mit dem Herzog alleine...

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

Anya musste blitzschnell entscheiden. Nur mühsam unterdrückte sie den Reflex, einen Blick zu Armand zu werfen. Sie konnte sicher sein, dass er sie gerade genau beobachtete und den Flirt des Herzogs bemerkt hatte. Aber wie kam sie nun aus dieser Situation heraus, ohne Armand zu verletzen und den Herzog zu ermutigen oder zu beleidigen?
Sie nutzte die Wirkung ihrer großen blauen Augen, mit denen sie nun zu ihm aufsah.
"Was bleibt mir anderes übrig? Da der echte Herzog niemals ein Glas Champagner zu einer unbekannten Dame schleppen würde, muss ich ja davon ausgehen, dass Ihr eigentlich ein Angestellter des Hauses seid." Enrique Povignans brach in Gelächter aus und berührte sanft ihren Ellbogen.


"Ihr habt das Herz auf dem richtigen Fleck, Madame. Gewährt mir den Vorzug, gemeinsam ein wenig frische Luft auf dem Balkon zu schnappen." Anya saß in der Klemme. Ohne einander vorgestellt worden zu sein, wäre eine Unterhaltung unter vier Augen tatsächlich sehr gewagt. Eine wirkliche Dame würde sich niemals dazu herablassen, einem offiziell Unbekannten zu gestatten, ihren guten Ruf zu ruinieren. Andererseits war der Balkon ja für jedermann zugänglich und sie wären somit nicht ungestört.
Aber wie würde Armand reagieren? Womöglich würde er sie später zur Rede stellen. Die Konsequenzen würde sie im Spielzimmer ausbaden und dieser Gedanke genügt, um ihr einen kleinen, erregten Schauer über den Rücken rieseln zu lassen. Mit einem kleinen Glitzern in den Augen wandte sie sich dem Herzog zu und ließ sich von ihm auf den großen Balkon führen.
Wohlig atmete sie die frische Luft ein. Der Balkon war so groß, dass die halbe Gästeschar mühelos Platz gefunden hätte. Eine Brüstung aus steinernen Säulen umrahmte den Balkon, der in seiner halbrunden Form wie eine riesige Loge wirkte. Bei Tageslicht dürfte man einen herrlichen Ausblick auf den Garten haben, der nun allerdings im Dunkel lag.
"Ich hoffe, Euch ist nicht zu kühl. Ansonsten hole ich einen Schal für Euch." Der Herzog schien äußerst um ihr Wohl besorgt zu sein. Ihr Kopfschütteln beruhigte ihn.
"Danke, mir ist nicht kalt. Sehr freundlich von Euch." Anya hielt sich förmlich an ihrem Champagnerglas fest. Nur manchmal nippte sie vorsichtig daran, um nicht zu viel Alkohol zu trinken. Sie war nervös.
"Warum sagtet Ihr vorhin, ich sei Stadtgespräch?" verlangte sie zu wissen. Er schmunzelte.
"Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, Madame. Eine schöne Unbekannte, die jeden Tag auf der Strandpromenade zu sehen ist und sich mit ihrer jungen Freundin ein kleines Eis gönnt, bleibt nicht unbemerkt. Ich muss gestehen, das hat mich sehr neugierig gemacht. Was treibt Euch aus der Stadt der Liebe in die Provinz?" Anya lehnte sich an die Brüstung und blickte zu ihm auf.
"Mein Bruder hielt eine Veränderung für angebracht, um die Trauerzeit besser zu verkraften." log sie. Aber diese Lüge fiel ihr schwer. Der Herzog war ihr sympathisch. Sie hasste es bereits jetzt schon, ihre Existenz auf einer Lüge aufzubauen, auch wenn sie ohne diesen Schwindel isoliert mitten unter Menschen hätte leben müssen.
Der Duc de Povignans hob irritiert eine Braue.
"Ihr seid noch in der Trauerzeit? Verzeiht, das wusste ich nicht. Ich sah keinen Trauerflor und scheine hinter dem Mond zu leben. Im Gegensatz zum modernen Paris sind Feste und Bankette während der Trauerzeit verpönt." Anya trank einen tiefen Schuck Champagner. Das hatte sie nicht bedacht, verdammt. Mit niedergeschlagenen Augen überlegte sie hastig.
"Sie ist gerade vorbei." hauchte sie, was dem Herzog ein erleichtertes Lächeln ins Gesicht zauberte. Sein Flirt konnte also weitergehen. Aber er hatte seine Rechnung nicht mit Miriam gemacht, die nun fröhlich in die Zweisamkeit platzte.
"Hier seid Ihr! Madame Dubrés vermisst Euch, Monsieur le Duc! Sie stellt gerade Vermutungen an, ob Ihr mit meiner Freundin durchgebrannt seid." zwitscherte sie und wehte den beiden entgegen. Anya war maßlos erleichtert, während der Herzog gespielt stöhnte.
"Oh nein, welch Tausch!" wimmerte er und zwinkerte Anya zu, die lediglich mit einem zuckenden Mundwinkel reagierte. Miriam schüttelte energisch den Kopf.
"Nein, Ihr dürft sie nicht warten lassen! Überhaupt will ich auch mal was von meiner Freundin haben!" erklärte sie streng. Anya hörte den Herzog schmerzlich seufzen und setzte ein Lächeln auf.
"Geht bitte schon hinein und gönnt mir einen Moment der Ruhe. Ich komme gleich nach." bat sie und machte eine scheuchende Handbewegung. Miriam nahm lachend den angebotenen Arm des Herzogs an.
"Nicht weglaufen, Madame! Und nicht erkälten. Es ist eine frische Nacht und wer weiß, was Euch alles hier draußen widerfahren könnte." Sein Zwinkern entschärfte seine Fürsorge. Mit einer kleinen Verbeugung führte er Miriam wieder in den Saal hinein. Anya lehnte sich aufseufzend an die Wand neben den hell erleuchteten Fenstern. Die Ruhe tat ihr gut. Jetzt hatte sie Zeit, ihre Gedanken zu sammeln.
"Er weiß gar nicht, WAS hier draußen alles lauert." säuselte eine sanfte, näselnde Stimme an ihrem Ohr. Mit einem Schrecklaut fuhr Anya herum und starrte in das bleiche Gesicht von George, das aus der Dunkelheit auftauchte.

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