Freitag, 14. Januar 2011

Noctambule: Die Hürde namens Dubrés

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

Das Stadthaus des Comte de Moureaux lag zwar direkt an der Grand' Rue, der Hauptstraße Marseilles. An diesem Abend fuhren die Kutschen zahlreich vor. Was Miriam einen kleinen Empfang genannt hatte, entpuppte sich als ein Festabend der Marseiller Gesellschaft. Natürlich der feinen Gesellschaft.
Miriam war ganz in ihrem Element. Hier fühlte sie sich sicher. Zumal sie keinerlei Gastgeberpflichten hatte, sondern lediglich ihre Mutter darin ein wenig zu unterstützen hatte. Und sie kannte schließlich jeden und begrüßte die Gäste mit höflichen bis freudigen Worten.


Für Miriam waren die schmuckbehängten Damen, die kostbaren Kleider und das Stimmengewirr, das sich mit sanfter Musik eines Streicherquartetts im Hintergrund vermischte, nichts Ungewohntes. Fröhlich schwirrte sie zwischen den Gästen herum, führte hier eine kurze Unterhaltung und dort einen kleinen Flirt. Und ließ dabei die Tür des Saales nicht aus den Augen, denn sie erwartete gespannt ihre neue Freundin.
Als Armand und Anya auftauchten, blieb ihr freudiger Jauchzer auf halbem Wege stecken. Ungläubig betrachtete sie das Paar. Selten hatte sie so ein wunderbar harmonisch wirkendes Paar gesehen.
Armands enorme Größe allein war schon auffällig. Nicht nur, dass jeder erkennen konnte, dass seine vornehme Blässe natürlich war während sich jeder andere schichtweise Puder auftrug. Er schien jedem Modetrend zu trotzen. Seine schwarzen, ungepuderten Haare, die zu einem schlichten Zopf gebunden waren, glänzten so wunderbar seidig, dass jede der Damen den Drang verspürte, darin zu wühlen. Seine Kleidung war völlig frei von jedem zierenden Firlefanz, aber so hervorragend geschnitten, dass sie ihm schimmernde Eleganz verlieh, die von seinen geschmeidigen Bewegungen noch unterstrichen wurde.
Am interessantesten aber waren noch immer seine Augen. Miriam war sicher, noch nie dunklere Augen gesehen zu haben. Man wollte nicht mehr wegsehen und konnte sich in dem Blick verlieren. Sofort hatte sie heftiges Herzklopfen und könnte schwören, dass sie Armand keinen einzigen Wunsch würde ausschlagen können, wenn er sie so tief ansah. Hätte sie die anderen Damen beobachtet, die Armand bemerkt hatten, wüsste sie, dass sie nicht die Einzige war, die so dachte. Außer Madame Dubrés natürlich, die den Auftritt des 'Geschwisterpaares' hochinteressiert beobachtete.
Anya wirkte neben Armand noch zierlicher und kleiner, als sie ohnehin schon war. Aber heute Abend trat sie auf wie eine Königin. Miriam erkannte sofort, dass sie einen der neuesten Reifröcke trug, die Paris entworfen hatte. Das schlichte, dunkelrote Kleid war der absolute Traum und betonte die zarte Haut der jungen Frau ebenso wie die goldblonden Haare.
Auch Anyas Erscheinung widersprach auf seltsame Art der herrschenden Mode in diesem Raum. Trotz modernster Kleidformen hatte sie weder Puder aufgetragen noch mit einer Perücke ihre schönen Haare versteckt. Ihre weiche Haut war völlig natürlich und im Moment schimmerten ihre Wangen vor Aufregung leicht rosig. Jedes Puder oder übertriebene Rouge hätte die Schönheit ihres Gesichtes zerstört.
Und nun standen die Beiden im Eingangsbereich und sahen sich um.
"Dann auf ins Vergnügen, Schwesterlein." flüsterte Armand und senkte seinen Blick zu Anya herunter. Anyas Mundwinkel zuckten kurz. Und als sie zu Armand aufsah, stieß Madame Dubrés ein zufriedenes Schnurren aus.

Miriam fasste sich und rauschte mit einem freudigen Laut auf die Beiden zu.
"Wie schön Euch zu sehen!" rief sie aus, griff nach beiden Händen Anyas und hauchte ihr auf beide Wangen einen Kuss. Armand gegenüber hielt sie sich allerdings an die Etikette. Sie reichte ihm die Hand.
"Monsieur.." hauchte sie kokett errötend. Armand ergriff ihre kleine Hand und beugte sich formvollendet darüber, um mit der Oberlippe kurz ihren Handrücken zu streifen. Miriam zwinkerte Anya verschwörerisch zu, was Anya nervös lächeln ließ.
"Ich muss Euch so vielen Menschen vorstellen. Sicher vergesst Ihr die Hälfte der Namen wieder!" kicherte Miriam fröhlich und schob ihre Hand vertraulich unter Anyas Arm.
Weit kamen die drei nicht, denn der Comte de Moureaux steuerte mit ausgestreckten Armen und strahlendem Lächeln auf sie zu.
"Mein geschätzter Monsieur Sartous! Ah, und Madame.." Noch während Armand eine sehr knappe Verbeugung andeutete, die schon eher mit dem Neigen des Kopfes endete, beugte sich der Comte über Anyas schlanke Hand.
"Ihr seid mir ja schon ein feiner Freund, mich so an der Nase herumzuführen. Warum so geheimnisvoll, mein Guter? Wie kann man so eine schöne Schwester verheimlichen?" Er schüttelte tadelnd den Kopf, aber in seinen Augen funkelte ein Lächeln, während sein Finger erhoben vor Armands Gesicht herumfuchtelte. Armand lächelte milde.
"Ihr kennt mich doch, Comte. Ich bin ein Schussel und vergaß die Wahrheitsliebe meiner kleinen Schwester. Und außerdem mag ich es, die Gesellschaft an der Nase herumzuführen. Ein kleiner Skandal bringt Frische in diese verstaubten Hallen. Lasst uns darüber schweigen. Ihr könnt Euch die Strafpredigt Zuhause nicht ausmalen. Eure kann nicht schlimmer sein." Anya versuchte verzweifelt, mit dem Fächer das Erröten zu vermeiden, das die Freude in ihr hoch trieb. Armand ging so selbstverständlich auf diese bodenlose Lüge ein, verkündete so gelassen öffentlich seine Zustimmung, dass ihr Herz kurz stockte.
Der Comte lachte zufrieden und tätschelte Anyas Hand, die er noch immer nicht losgelassen hatte.
"Richtig so, Madame! Gut gemacht. Kriechen soll er!" lobte er Anya. Kurz stockte er, als er den kleinen Blickwechsel zwischen Armand und Anya bemerkte. Aber er beschloss, heute Abend nichts überbewerten zu wollen. Er hatte bereits ein Gläschen Wein zuviel getrunken. Da sollte man nichts mehr besonders ernst nehmen.
Miriams kleiner Knuff riss Anya von Armands Augen los. Hastig senkte sie den Blick, um sich zu sammeln und mit freundlicher Gelassenheit wieder den Comte anzusehen. Der hatte inzwischen begonnen, Armand in ein Gespräch zu verwickeln.
"Ich muss mich noch für den wunderbaren Tipp für das letzte Rennen bedanken, Monsieur. Ohne Euch hätte ich auf den Favoriten gesetzt und ein Vermögen verloren!" Anya lauschte neugierig. Davon wusste sie gar nichts. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass Armand hier irgendwelche Geschäfte abwickelte. Aber Miriam drängte sich dazwischen.
"Papa, du musst dich hinten anstellen. Ich habe Madame Dubrés versprochen, ihr unsere Freunde vorzustellen." verkündete sie streng.
"Uh! Ich werde den Teufel nicht herausfordern! Wer würde es wagen, sich Amanda in den Weg zu stellen. Husch, Ihr Zwei! Bringt diese Hürde hinter Euch!" Der Comte gönnte Anya noch eine galante Verbeugung und entließ seine Tochter mit den Gästen. Noch auf dem Weg zu dem Sessel, in dem die schwergewichtige Dame thronte trafen sich die Blicke von Anya und Madame Dubrés und für einen Moment hätte Anya darauf geschworen, ein gewisses Lauern darin zu lesen.

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