Mittwoch, 5. Januar 2011

Noctambule: Der Faux Pas

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

Sehr gerne hätte Anya am nächsten Tag den Ausflug mit Miriam abgesagt. Sie spürte jede Stelle ihres Körpers und die lange Nacht hatte ihren Tribut gefordert. Sie fühlte sich, als ob sie einen ganzen Tag lang würde durchschlafen können.
Andererseits aber schwebte sie über den Wolken. Armand hatte sich ihr wieder zugewandt und noch nie hatte sie so viel Sanftheit und Zärtlichkeit erlebt wie in dieser Nacht. Sie hatte ihre Lust hinausgeschrieen und war völlig erschöpft in seinen Armen eingeschlafen.


Armand hatte sie schmunzelnd geweckt und aus dem Bett gescheucht. Und Miriam hatte sie ahnungslos und fröhlich begrüßt und in die Kutsche gezerrt.
"Wir sollten heute gar nicht spazieren gehen, wir sollten zu meiner Schneiderin fahren! Ich will unbedingt mit dir Kleider zusammenstellen!" verkündete Miriam zu Anyas Entsetzen. Das ging auf gar keinen Fall. Sie war selbst vor dem Spiegel erschrocken, als sie die Striemen an ihrem Körper gesehen hatte. Sie waren auch nicht zu übersehen, wenn sie ihr Unterkleid anbehielt.
"Nein!" stieß sie so entsetzt hervor, dass Miriam sie verblüfft ansah.
"Ich meine.. ich wollte sagen nicht heute. Ich habe mich so sehr auf einen Spaziergang gefreut!" verbesserte sie sich hastig. Miriams Miene blieb verständnislos.
"Wir können doch andauernd spazieren gehen? Was ist daran so besonderes?" fragte sie irritiert.
"Mir tut die Bewegung gut. Mir ist heute danach. Bitte." Sie lächelte Miriam an. "Und außerdem hätte ich die Schneiderin lieber zu Hause. Da fühle ich mich wohler und ungezwungener." Sie war glücklich über diese Idee. Ihre letzte Herrin hatte regelmäßig eine Schneiderin bei sich gehabt. Wohlhabende Herrschaften in Paris ließen ihr Personal eben kommen statt hinzugehen.
"Oho! Madame ist sich zu fein, wie?" stichelte Miriam kichernd. "Du hast ja Recht. Ich gehe lieber hin, weil zu Hause Mama immer dazwischen funkt. Das passt mir nicht. Da muss noch ein Schleifchen hier hin und eines dorthin!! Also nein, und DIESER Ausschnitt ist nun wirklich zu tief!" äffte sie ihre Mutter nach.
"Aber wenn sie zu dir kommt, will ich auf jeden Fall dabei sein, versprichst du mir das?" Anya konnte dem bettelnden Blick ihrer Freundin nicht verstehen und versprach es.
"Ich soll dich übrigens herzlich grüßen von Armand und ausrichten, dass wir uns sehr über die Einladung freuen und gerne erscheinen werden." berichtete Anya mit leuchtenden Augen, als sie ihren Weg auf der Promenade einschlugen. Miriam klatschte freudig in die Hände.
"Wunderbar! Papa wird sich freuen! Warte nur ab, sicher hagelt es bei euch bald Einladungen zu Bällen und Festen." prophezeite sie freudig. " Anyas Herz schlug höher. Bälle und Feste? Das bedeutete nicht nur, dass sie mit Armand vielleicht tanzen konnte, sondern dass sie tatsächlich eine ganz neue Garderobe brauchte. Ob er das zulassen würde?
Doch bevor sie mit Miriam Pläne darüber schmieden konnte, griff ihre junge Freundin Anyas Arm und stieß ein Raunen aus.
"Oh nein! Da kommt uns Saint Lechaivre entgegen mit seiner Cousine. Das ist so ein elender Geck! Schau dir seinen Rock an! Und diese riesige Brosche! Das ist seine neueste Mode. In zwei Tagen rennt halb Marseille mit einer Nachahmung herum." Anya erkannte zwar sofort Miriams Abneigung gegen diesen Burschen, der da auf sie zu schlenderte, aber neugierig war sie doch.
"Ist er denn so modeführend?" wisperte sie interessiert. Miriam nickte seufzend.
"Wenn er doch wenigstens Geschmack hätte wie dein Armand. Aber nein, es muss ja alles übertrieben sein! Und die meisten Herren ahmen ihn nach, als wäre er Gott." sie schüttelte sich, setzte aber ein freundliches Lächeln auf, da sie sich dem Pärchen näherten.
"Und er ist am Freitag abend auch da." flüsterte sie noch schnell. Anya wusste doch, dass sie den Namen schon gehört hatte. Aber die beiden Freundinnen kamen nicht dazu, weiter zu tuscheln, denn nun war man auf Hörweite und Höflichkeiten mussten ausgetauscht werden. Anya wurde vorgestellt und sie konnte sich gerade noch einen Knicks verkneifen, der beinahe unbewusst gemacht worden wäre. Noch immer steckte ihre Erziehung in ihr, dass man als kleine Magd höflich zu knicksen und den Mund zu halten hatte.
Sie spürte den abschätzenden Blick des Paares auf sich ruhen und hob stolz das Kinn ein wenig. Dieser Geck konnte sie nicht erschrecken. Sie stellte sich Armand und diesen Lechaivre nebeneinander vor und schon verblasste der modische Prunk von Lechaivre zu einer Farce.
Als die beiden Freundinnen weiter gingen, kicherte Miriam.
"Na du bist mir eine! Du hast da gestanden wie eine Königin, der Lechaivre zu huldigen hat! Wie toll ist das denn? Deinen Mut hätte ich gerne." Anya grinste vergnügt. Ihr Herzklopfen verschwieg sie lieber. Sie war sicher, dass sie gerade einen Fehler gemacht hatte. Aber was sollte schon großartig geschehen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.