Freitag, 16. November 2012

Noctambule III: Seltsame Wendung

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Totenstille hing wie eine dunkle Wolke in dem Raum. Niemand schien zu atmen nach den Worten Alessios. Aus dem Augenwinkel sah Anya wie Miriam den Kopf zu Sergej drehte, dieser jedoch stierte Alessio an wie man ein lästiges Insekt ansieht, dessen Todesart noch nicht entschieden ist. Anya stand schräg hinter Armand und sah nur einen Teil seines Profils. Doch an den angespannten Wangenmuskeln erkannte sie, dass er weit weniger gelassen war als seine Körperhaltung ausdrücken wollte.


Für Anya stand fest, dass sie ihr Kind niemals alleine lassen würde. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Armand dieser schrecklichen Forderung zustimmen würde, allerdings wollte sie auch auf keinen Fall zulassen, dass er sich dem Ältestenrat stellen würde. Auch wenn keiner der Ältesten so viele Jahrhunderte überbrücken konnte, um die Wahrheit in Armands Gedächtnis zu finden, so würden sie sehen können, wie Fabrizio gestorben war. Anya bezweifelte, dass die Ältesten Armands Selbstverteidigung als solche betrachten würden. Sie war sich sicher, dass sie nur erkennen konnten, dass Armand das Oberhaupt getötet hatte. Damit hätte Armand nicht nur das Verbrechen des Tötens begangen sondern seine Tat noch verschlimmert. Es würde keine mildernden Umstände geben. Würde Armand nun zustimmen mitzugehen, wäre das sein Todesurteil.

Anya neigte nicht zu heroischen Taten, aber sie liebte Armand. Der Gedanke, von ihm getrennt zu werden, schmerzte so schrecklich, dass ihre Beine zitterten. Doch war für sie absolut klar, dass es nur einen Ausweg gab. Sie hasste Alessio dafür, sie zu dieser Tat zu zwingen und sie würde ihn ewig hassen. Er würde eines Tages dafür sterben, doch im Moment musste sie ihre Gefühle zurückhalten, um Armands Leben zu retten.
Auf einmal hatte sie heiße Sehnsucht danach, Raoul in ihren Armen zu halten. Die Angst, das Kind zu verlieren, wurde so übermächtig, dass sie auf dem Absatz kehrt machte und aus dem Zimmer stürzte. Sie rannte den kurzen Flur hinunter zu der Abstellkammer, in der sich Jocelyn verschanzen sollte und zerrte an der Tür. Sie war verriegelt und erst jetzt erinnerte sie sich wieder daran, dass Jocelyn die Tür von innen versperren sollte. Es dauerte ihr aber zu lange, Jocelyn nun zu erklären, dass sie die Tür öffnen sollte. Mit zusammengepressten Zähnen riss sie die Tür aus den Angeln und starrte auf Jocelyn, die schockiert in der hintersten Ecke auf dem Boden kauerte, das Kind fest in ihren Armen.
Raoul hatte offenbar geschlafen, doch der Lärm ließ ihn zusammenzucken und die Augen erschreckt aufreißen. Als er seine Mutter erkannte, leuchteten seine Augen auf und seine kleinen Arme streckten sich ihr freudig entgegen.
Anya beugte sich vor und zog Raoul an sich. Sofort kuschelte sich sein kleiner Körper an den seiner Mutter. Anya strich über den blonden Schopf und drehte sich um, ohne Jocelyn zu erklären, was geschehen war. Das Mädchen blieb mit schreckgeweiteten Augen in der Kammer sitzen und starrte der jungen Mutter sprachlos hinterher.
Die vier Vampire im Wohnzimmer hatten kein Wort gewechselt, seitdem Anya überstürzt aus dem Raum gelaufen war. Als sie mit Raoul zurückkehrte, verdunkelte sich das Gesicht Armands kurz, Alessios Züge aber wurden weich und sanft bei dem Anblick des Kindes. Anya stellte sich mitten in den Raum, sodass sie sowohl Armand als auch Alessio gut sehen konnte und warf Armand einen langen, liebevollen Blick zu. Armand schüttelte kaum merklich den Kopf, denn er schien zu ahnen, was Anya plante.
Anya reagierte zum ersten Mal seit ihrer ersten Begegnung mit Armand nicht mit Gehorsam. Langsam drehte sie den Kopf und blickte Alessio voller vernichtender Verachtung an.
"Alessio Sanghieri, du willst eine Familie trennen, um deinen Willen durchzusetzen, der aus einer dummen Laune heraus entstanden ist? Du willst dieses Kind ohne Vater aufwachsen lassen, weil du zu stur oder zu dumm bist, um zu erkennen, wann du einen Fehler machst?" fragte sie harter, klarer Stimme. Hinter ihr sog Miriam zischend den Atem ein und drängte sich an Sergej heran, der beruhigend den Arm um ihre Schultern legte. Alessios Augen glänzten noch, doch ihr Ausdruck verhärtete sich, als er seinen Blick zu Anyas Gesicht hob.
"Deinen Worten entnehme ich, dass du bereit bist, Armand zu verlassen und uns mit Raoul zu begleiten? Das freut mich. Unser Clan hatte lange schon kein Kind mehr in seinen Reihen." erwiderte er ruhig und setzte nach kurzem Überlegen leise hinterher: "Und schon gar nicht so ein machtvolles Kind". Nun erhob sich Armand langsam und mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze. Lautlos stellte er sich neben Anya und blickte mit steinerner Miene zu Alessio hinunter, der sitzen blieb.
"Niemand wird dich begleiten, solange ich noch einen Funken Kraft besitze." bestimmte er ruhig, Anyas ruckartige Kopfbewegung zu ihm missachtend. Alessio stieß ein kleines Lachen aus.
"Sei nicht so dumm, Sartous! Da draußen wartet über ein Dutzend Männer auf meinen Befehl. Mindestens drei von ihnen können erreichen, dass du dich vor Schmerzen krümmst und lauter heulst als dein Sohn! Und nicht nur du, sondern alle in diesem Raum!" konterte er und erhob sich nun ebenfalls. Sergej meldete sich mit einem Räuspern.
"Mit einer Ausnahme. Ich habe dieselben Fähigkeiten und bin immun gegen die Angriffe deiner Männer. Du allerdings nicht." erklärte er ruhig und schob Miriam hinter sich. Alessio stutzte, denn diese Information war ihm neu. Wieder drehte sich das Blatt gegen ihn und er brauchte Zeit zum Nachdenken. Wenn Sergej tatsächlich über diese Fähigkeit verfügte, konnten die Schmerzattacken seiner Männer nichts gegen ihn ausrichten und Alessio wäre ihm ausgeliefert. Sollte er dieses Risiko eingehen? Er würde es überleben, also war es nur eine Frage der Selbstbeherrschung bis seine Männer das Haus gestürmt hatten. Würde Armand wirklich zulassen, dass seinem Sohn solche Qualen angetan würden? Alessio zeigte mit einem wölfischen Grinsen sein beeindruckendes Gebiss.
"Willst du wirklich zusehen, wie dieses kleine Kind solche Schmerzen erleiden muss?" fragte er honigsüß. Er sah, wie Anya schützend ihre Arme um Raoul enger zog, doch der Kleine stemmte sich gegen diese feste Umklammerung. Seine Arme streckten sich seinem Vater entgegen und Raoul stieß unwillige Laute aus. Armand schien seinen Sohn nicht zu bemerken. Er starrte noch immer Alessio an, inzwischen jede einzelne Muskelfaser zum Zerreißen angespannt.
"Wag es!" knurrte er dunkel. Alessio stieß ein kurzes Lachen aus und betrachtete Raoul zufrieden. Dann erstarrte sein Körper. Die Augen des jungen Sanghieri bekamen einen staunenden Ausdruck und wurden immer größer. Verständnislos gaffte er Armand an, dann verzerrte sich sein Gesicht zu einer Grimasse und er riss beide Hände an seine Ohren. Stöhnend begann er zu zittern, dann sackte er auf die Knie, noch immer die Hände flach auf die Ohren pressend. Verwirrt beobachtete Armand, wie die Augen Alessios fast aus den Höhlen hervorquollen während er den Mund zu einem stummen, qualvollen Schrei öffnete.

1 Kommentar:

  1. Ui...

    Das ist tatsächlich nicht nur seltsam sondern auch unerwartet. Wobei - nein. So völlig unerwartet ist es nicht.

    Die Ansage von Sergej hat Alessio das erste Mal den ATem geraubt. Und nun quält ihn ein Kind das noch keinen Monat alt ist, dass er sterben möchte.

    Er sagte, Raoul sei machtvoll. Ich möchte endlich wissen, was es damit auf sich hat!

    Nun stellt sich die Frage, ob die Leute draußen mitbekommen, was Raoul gerade mit Alessio anstellt, und wie sie das einordnen. Und darüber hinaus: Wie würde Raoul mit ihnen umgehen, wenn sie ihn gewaltsam versuchen an sich zu nehmen?

    Diese instinktiv eingesetzte Kraft verkehrt das Gleichgewicht der Lage doch noch einmal deutlich!

    LG
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.