Donnerstag, 1. November 2012

Kurzgeschichte: Die Lektion

Zu Halloween hab ich euch mal wieder ein bisschen was zum Gruseln verfasst. Ich hoffe ihr habt Spaß daran. Ich bin zwar zu spät dran, doch ich hoffe, euch wird es nicht stören.

Übrigens: Das Gewinnspiel läuft noch zwei Tage!



Man soll nicht fragen, wenn man die Antwort nicht hören möchte. Und man sollte auch nichts anbieten, was man nicht zu geben bereit ist. Und wenn man glaubt, man wäre bereit, sollte man das immer noch einmal überdenken. Dies ist eine Lektion die man sich wirklich merken sollte.

Wohin es führen kann, wenn man sich nicht daran hält... lest selbst!

Wenn es im Leben schwierig läuft erscheinen einem viele Dinge auf einmal verlockender. Alkohol und andere Drogen verlieren auf einmal jeglichen Schrecken und man findet sich schneller als gedacht in einem Hauseingang in einer Seitenstraße und drückt auf einen Klingelknopf, welcher an zwei Drähten aus der Wand hängt, und eigentlich so aussieht, als würde er einem bei bloßer Berührung schon einen Stromschlag verpassen.
Dennoch drücke ich mit spitzem Finger darauf und zu meiner Überraschung ertönt tatsächlich im Innern des Gebäudes irgendwo ein schrilles Klingeln. Kurz darauf öffnet sich in der Tür ein kaum buchgroßes Guckfenster, durch das mich zwei weiße Augen anstarren, die im schwärzesten Gesicht stecken, dass ich je gesehen habe.
"Was?", bellt der Mann mich an. Ich schlucke und bin kurz davor wieder umzudrehen. Doch nun bin ich schon einmal hier.

Ich habe alles Geld, was ich noch hatte in der Tasche. Jeden Cent, den ich zusammenkratzen konnte, habe ich eingesteckt. Ich habe meine ganze Wohnung durchwühlt und jede Dose und jede Flasche, die sich zu Geld machen ließ zum Supermarkt getragen und die Kassiererin zum Wechseln meines vielen Kleingeldes genötigt. Und wofür das alles? Um jetzt wieder umzukehren, weil mir ein unfreundlicher Schwarzer entgegensteht? Ich bin doch hier, weil der gestrige Abend so gut war und weil endlich einmal wieder alles in Ordnung war.

"Gabriel schickt mich.", höre ich mich noch sagen, bevor ich meine Gedanken zu Ende gebracht habe und der Entschluss überhaupt in meinem Kopf ist. Ich sehe im Dunkel der Gasse, die die weißen Augen noch einmal über meinen Körper gehen und mich von oben bis unten mustern. Dann schließt sich das kleine Fensterchen und ich höre Schlüsselklirren und im nächsten Augenblick schwingt die Tür auf.

Was mich dahinter erwartet, ist geradezu bizarr. Aus der kalten Nachtluft trete ich in ein feuchtwarmes Klima und sofort beschlägt meine Brille. Ich nehme sie ab um sie zu putzen und wieder klar sehen zu können. Derweil höre ich hinter mir die schwere Tür wieder ins Schloss fallen und wieder das Klirren der Schlüssel. Ich bin eingeschlossen in dieser Höhle des Löwen.

Der namenlose Schwarze mustert mich nun noch einmal. "Du zitterst ja!", lacht er mich aus, während er ungefragt beginnt meinen Körper nach Waffen abzutasten. Wie am Flughafen muss ich nach und nach meinen Schlüssel und mein zerschlissenes Handy aus den Taschen holen und ihm vorzeigen. Ich lasse etwas unwillig dieses Schauspiel über mich ergehen. Schließlich nickt er und lässt sich wieder in einen Sessel fallen, der in einer Nische neben der Tür steht. "Du kannst rein.", verkündet er mit einer abfälligen Handbewegung und zieht an einer Schnur, die er verlängert hat, um sie im Sitzen bedienen zu können. Ein Vorhang öffnet sich und vor mir liegt ein Flur.

Die Wände und auch der Teppich sind rot und scheinen irgendwie zu glühen. Jedenfalls ist alles spärlich beleuchtet, aber es sind keine Lampen zu erkennen. Auch an der, ebenfalls roten, Decke hängt nichts. "Da lang?", frage ich verstört. "Da lang!", ist die knappe Antwort.
Ich setze mich in Bewegung und betrete den Flur nur zögerlich. Der Boden erscheint mir weich und mit einem Mal sieht es aus, als seien die Wände in Bewegung. Lautlos schließt sich hinter mir der schwere Stoff des Vorhangs. "Komm nur her! Lass dich von Garm nicht erschrecken!"


Ich wache im Bett auf und taste wie automatisch nach den Zigaretten, welche auf dem Boden liegen. Schlaftrunken zupfe ich einen Glimmstängel aus der Schachtel und schiebe ihn zwischen die Lippen. Noch bevor ich mich aufgesetzt habe, brennt die Zigarette und der Rauch steigt auf und neuer Dunst mischt sich mit dem kalten Rauch von letzter Nacht, der noch im Raum hängt.
Es ist ruhig. Viel zu ruhig. Ich öffne die Augen und erwarte einen mächtigen Kater, doch es geht mir gut. Kein Schwindelgefühl, keine Schwäche und auch kein Kopfschmerz. Nicht einmal Unwohlsein. Ich sehe mich im Raum um. Dies ist nicht mein Schlafzimmer. Mein Schlafzimmer ist ein verwohntes Appartement mit kahlen Wänden, ewig kaltem Linoleumboden und ständigem Straßenlärm. Dies ist ein edel eingerichtetes Boudoir, wo schwere Vorhänge den Raum angenehm leise machen. Ich reibe mir die Augen um sicher zu gehen, dass ich mich nicht täusche, doch es bringt nichts. Der Eindruck bleibt der Gleiche.

Was ist gestern Abend eigentlich geschehen? Ich war losgezogen, um mir an der Adresse die Gabriel mir genannt hatte, für mein letztes Geld das noch einmal zu besorgen, was Gabriel mir am Vorabend gegeben hatte. Diese kleine Tablette, von der ich nicht einmal wusste, wie sie heißt. Bin ich überhaupt dort gewesen?
Mein Blick gleitet durch den Raum und ich finde meine Hose, ordentlich über einen Stuhl gehängt. Ich stehe auf und meine Füße werden von weichem hochflorigem Teppich umschmeichelt. Doch dafür habe ich gerade keine Aufmerksamkeit übrig. Ich fummle meinen Geldbeutel aus der Gesäßtasche und klappe das Scheinfach auf. Gestern waren 110 Euro darin und noch ein paar Münzen. Jetzt stapeln sich die Hunderter. Bei 2000 Euro höre ich auf zu zählen. Verdutzt lasse ich mich wieder aufs Bett sinken und ziehe an meiner Zigarette und starre ins Leere.
"Hast du gut geschlafen?", säuselt sie und umschlingt mich von hinten mit den Armen. Ich erschrecke mich heftig und schreie kurz auf. Die Zigarette fällt mir aus dem Mund. "Ganz ruhig.", meint sie sanft und haucht mir Küsse auf den Nacken. "Hab ich dich erschreckt? Soll ich es wieder gut machen?", lächelt sie und drückt mich sacht auf den Rücken.
Ich weiß kaum wie mir geschieht, als sie mit wenigen gezielten Griffen in meinen Schritt die Lebensgeister meines Penis aktiviert und sich schließlich wortlos darauf setzt. Was geschieht hier? Wie bin ich in diesem Bett gelandet, und wer ist diese Frau? Meine Gedanken werden von ihren Bemühungen jäh unterbrochen. Ich bin kaum fähig mich zu bewegen, geschweige denn, mich zu wehren. Warum sollte ich mich auch wehren, es fühlt sich viel zu gut an.
Keiner von uns bemerkt den Rauch der langsam das Zimmer füllt. Erst als die Flammen schon hochschlagen und ihre Hitze abstrahlen bemerke ich, was passiert ist. Das Bett ist bereits umzingelt. Ich fange an zu zappeln. Sie muss es doch bemerken, was hier passiert? Doch sie stöhnt nur lauter und scheint meine Gegenwehr zu genießen. "Es brennt! Wir müssen hier raus!", schreie ich sie an. Doch sie hat die Augen geschlossen, sieht nach oben und ignoriert mich scheinbar völlig. Wie wild, will ich sie abwerfen, doch sie reitet mich, wie einen Bullen und ich komme nicht dagegen an.
Die Flammen schlagen immer höher und schließlich sind wir von einer Wand aus Feuer umgeben, die das Bett aber nicht anzugreifen scheinen. Dann endlich scheint sie mich zu beachten. Sie senkt ihren Blick und ich schaue in zwei brennende Augenhöhlen. Dann reißt sie ihren Mund auf und pustet mir Rauch ins Gesicht. Ich habe keine Kraft mehr mich zu wehren. Die Rauchschwaden füllen meine Lunge und ich muss husten. Dann wird mir schwarz vor Augen.

"War das Mädchen nicht dein Fall? Es gibt noch unendlich mehr!"

Der Wagen düst über die leere Autobahn in der Abenddämmerung. Ich schrecke hoch und huste noch ein letztes Rauchwölkchen aus. "Alles okay?", lächelt sie vom Fahrersitz aus und streichelt mir übers Knie. Verliebt sehe ich sie an. "Alles okay. Ich hab nur schlecht geträumt.", winde ich mich um die tatsächliche Antwort. Sie ist wunderschön und auch wenn ich nicht einmal ihren Namen weiß, so spüre ich doch, dass wir schon seit Ewigkeiten zusammen sind. Und ich kann die tiefe Liebe spüren, die sie in ihren Blick legt, als sie mich besorgt ansieht. Ich lächle und greife nach ihrer Hand. Sie greift ebenfalls zu und lächelt zurück. "Ich liebe dich.", flüstert sie verspielt. "Ich liebe dich auch.", antworte ich wie automatisch, doch es erscheint mir richtig, das zu sagen.
Als ich den Blick wieder nach vorn richte, ist es zu spät. "Pass auf!", kreische ich noch. Zwei Lichtkegel nähern sich uns rasant und sie reißt das Lenkrad herum um auszuweichen. Nur knapp verfehlt unser Wagen den Geisterfahrer und schleudert quer über alle Spuren und schlägt gegen die Leitplanke. Wir heben ab und der Wagen rollt einmal um seine eigene Längsachse. Wie panisch versuche ich mich irgendwie abzustützen doch ich werde wild herumgeschleudert. Die Augenblicke kommen mir wie Ewigkeiten vor. Das Geräusch von splitterndem Glas und Plastik und knirschendem Blech ist so ohrenbetäubend, dass es noch unsere Schreie übertönt. Dann endlich kommt der Wagen auf dem Standstreifen zum Stehen. Ein letzter Ruck und er fällt wieder auf seine Räder.
Ich atme heftig durch und taste reflexartig meinen Körper ab. Nirgendwo spüre ich Blut. Ich reibe heftig über meinen Kopf. Ich habe Schmerzen, aber scheine tatsächlich nirgendwo zu bluten. 'Raus hier!', schießt es mir durch den Kopf und ich stemme mich gegen meine Tür. Tatsächlich bekomme ich sie auf und kann aus dem Wagen schlüpfen. Von außen bietet das Wrack einen noch jämmerlicheren Eindruck. Kein Teil, wo der Lack nicht zerkratzt ist und das Blech nicht eingedrückt.
"Hilf mir!", weint sie jämmerlich und sofort renne ich an die Fahrertür. "Ich helfe dir. Ich hole dich da raus!", schreie ich panisch. In einem letzten Anflug von Verstand, schaue ich noch, ob ich mich selbst dabei gefährde. Tue ich nicht. Der Wagen liegt so glücklich auf dem breiten Standstreifen, dass genügend Platz auch neben der Fahrertür ist, um sich daran zu schaffen zu machen.
Ihr Anblick auf dem Fahrersitz ist erbärmlich. Ihr wunderschönes Gesicht wurde von Glassplittern förmlich aufgeschlitzt und ist blutüberströmt. Ein besonders großer Splitter steckt in ihrem Auge. Kraftlos hängen ihre Arme herunter. Der rechte hat am Unterarm einen offenen Bruch.
Mühsam kämpfe ich gegen den Würgereiz. Doch die Angst sie zu verlieren ist stärker. Wie ein Ochse zerre ich an der Fahrertür, doch kann ich sie nicht öffnen. Sie bewegt sich keinen Millimeter. "Ich hole dich durch die Beifahrerseite raus.", verkünde ich und renne um den Wagen herum. Als ich mich der Tür nähern will, schlagen unter dem Wagen bereits die Flammen hervor. "Scheiße!", entfährt es mir. Doch ich mache weiter und will auf den Beifahrersitz klettern um sie herauszuholen. Gerade als ich einsteigen will, beginnt das Polster zu brennen und beißender Qualm von schmelzendem Kunststoff schlägt mir entgegen. Dazu diese unendliche Hitze.
"Hilf mir. Bitte hol mich hier heraus. Ich will nicht verbrennen.", schreit sie weinerlich. Ich schaue nach irgendetwas, dass ich als Decke verwenden könnte um die Flammen wenigstens ein paar Augenblicke zu ersticken, bis ich sie herausgeholt habe, doch ich trage nur ein dünnes Baumwolltshirt. Trotzdem versuche ich es und drücke es auf den brennenden Sitz. Doch sofort geht es in Flammen auf, als wäre es in Benzin getränkt. Einen Versuch mache ich noch, mich direkt über den Sitz zu beugen, doch die Hitze lässt mich das keine Sekunde aushalten.
"Bitte. Alles brennt. Hol mich hier raus! Ich will nicht sterben!", weint sie nun lauter. Wieder renne ich zur Fahrertür. Ich halte schon hier die Hitze des brennenden Wagens kaum noch aus. Flammen schlagen aus den Ritzen, der Motorhaube und durch die Reifenaussparungen in den Kotflügeln. Wild zerre ich am Türgriff. Doch nichts bewegt sich.
"Meine Beine! Sie verbrennen. Bitte!", kreischt sie jetzt panisch und rüttelt mit ihrem gesunden Arm an der Tür. Doch immer noch bewegt sie sich keinen Millimeter. Nun kann ich sehen, wie aus dem Fußraum die Flammen zu ihr hochschlagen. Ich mobilisiere alles was ich habe und zerre an der Tür. Vergeblich. Nur Sekunden später ist ihr Körper von Flammen eingehüllt. Sie schreit erbärmlich. Die Hitze ist jetzt unerträglich. Ich kann mich dem Auto nicht mehr nähern. Ich muss zurück, sonst verbrennt es mich auch.
Drei Schritte hinter dem brennenden Wrack stehe ich und höre ihre Schreie, die sich in das Tosen der Flammen mischen und nicht aufhören wollen. Ich breche weinend auf die Knie zusammen.

"War das Mädchen nicht dein Fall? Es gibt noch unendlich mehr!"

Ich schlage die Augen auf und weiß nicht wo ich bin. Doch ich bin sicher, es wird hässlich. Ich hatte gedacht, ich wäre hierfür bereit. Doch ich war es nicht.

2 Kommentare:

  1. Nice :-). Wie immer sehr schön geschrieben und es schreit gradezu nach einer Fortsetzung :-D.

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  2. Klasse geschrieben, lieber Joe! Es liest sich völlig anders als deine üblichen Kurzgeschichten, aber es reimt sich für mich alles zusammen, je weiter ich komme.

    Ich glaube, ich will gar nicht wissen, was dich auf diese bizarre Idee gebracht hat, aber das Ergebnis ist absolut nach meinem Geschmack. Düster, gruselig, spannend, grausig und stimmt mich gerade ein wenig nachdenklich. Also absolut passend zu Halloween :-)

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