Donnerstag, 18. Oktober 2012

Noctambule III: Zwei Probleme

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Der Fall ließ Lucien nicht mehr in Ruhe. Wie versprochen tauchte er am Tag darauf wieder auf und reinigte erneut mit zeitloser Ruhe die Wunden. Auch während des Tages kreisten seine Gedanken wieder und wieder um die arme, junge Frau, die so schwer misshandelt worden wahr und es war bereits am zweiten Tag schon zu einer Frage seiner Berufsehre geworden, diese Patientin nicht aufzugeben, sondern zu heilen.


Mittlerweile war ihm völlig egal, ob man ihn bezahlte oder nicht. Das junge Mädchen Jocelyn brachte ihm schon am dritten Tag seines Besuches einen Teller sehr schmackhafter Gemüsesuppe und er konnte nicht anders, als sie für ihre Kochkünste zu loben. Sie strahlte vor Freude auf, doch ebenso schnell verschloss sie sich wieder, wenn Lucien versuchte, mehr über seine Patientin zu erfahren.
Mit der Zeit stellte der Arzt fest, welche Personen das kleine Häuschen bewohnten. Die normalsten schienen ihm Jocelyn, der seltsame Diener und die schwerkranke Patientin zu sein. Die beiden anderen Männer und auch die Frau mit dem Baby jedoch zogen ihn in einen beängstigenden und dennoch faszinierenden Bann, dem er sich gar nicht entziehen wollte. Sie alle hatten einen seltsam hungrigen, lauernden Ausdruck in den wunderschönen Augen und diese seltsame Blässe, die er sich aus medizinischer Sicht einfach nicht erklären konnte.
Die junge Frau mit dem Kind hatte ihm ruhig versichert, bei hervorragender Gesundheit zu sein und ermahnt, sich lieber um die eigentliche Patientin zu kümmern. Diese Drei strahlten eine geheimnisvolle Zurückhaltung aus, die Luciens Neugier mehr und mehr anstachelte.

Das Laudanum zeigte tatsächlich Wirkung. Man hielt sich akribisch genau an die Anweisungen des Arztes und verabreichte Miriam nur dann die Tropfen, wenn sie die Schmerzen kaum noch aushalten konnte. Doch sobald die Wirkung einsetzte wurde sie ruhiger, fast apathisch und sie fiel schnell in einen unruhigen Schlaf. Luciens Sorge bestätigte sich bereits am dritten Tag, dass die kranke Frau beim Abklingen der Wirkung schon nach neuen Tropfen bat.
Sicher hatte sie bisher einfach nur erkannt, dass die Tropfen ihre Schmerzen reduzierten und bat deshalb rechtzeitig um Nachschub. Aber das würde sich sehr bald ändern, dessen war er sich sicher. Dass sich eine gewisse Sucht einstellen konnte, hatte er bereits erlebt und damals die Tropfen als gefährlich sofort wieder abgesetzt. Am vierten Tag seines Besuches plante er dies auch bei dieser Kranken.
Wie immer stellte er erfreut fest, dass das Krankenzimmer gut gelüftet war und sehr sauber gehalten wurde, obwohl der süßlich-modrige Geruch faulenden Fleischs in der Luft hing. Als er den Raum betrat, sprang Jocelyn sofort auf, der große, schwarzhaarige Mann lehnte an der Wand und hob nur leicht den Kopf, um ihm einen langen Blick zuzuwerfen. Lucien zwang sich, ihn zu ignorieren und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Nachdem er mit der Reinigung und Versorgung der Wunden fertig war, wusch er sich die Hände und atmete tief durch.
"Ich habe zwei Probleme" eröffnete er das Gespräch und zog damit die Aufmerksamkeit Jocelyns und des großen Kerls auf sich. Der Mann, er hatte sich inzwischen als Sartous vorgestellt, musterte ihn aufmerksam und sein auffordernder Blick veranlasste Lucien, sofort weiter zu sprechen.
"Diese Tropfen, die ich hier gelassen habe, gehen dem Ende zu und ich kann es nicht verantworten, meiner Patientin weitere Tropfen zu geben." erklärte er mit fester Autorität. Sartous bewegte sich keinen Millimeter, doch sein Blick wurde schärfer.
"Aus welchem Grund?" kam die knappe Frage. Lucien spürte einmal mehr die Gänsehaut, die diese dunkle Stimme auslöste und versuchte, das Frösteln zu unterdrücken.
"Ich erkenne deutliche Suchtgefahr. Sie kann bereits ohne diese Tropfen nicht mehr auskommen und neben den Schmerzen bilden sich schlimme Entzugserscheinungen, die ich kaum kontrollieren kann. Mein Berufskodex verbietet es mir, eine Patientin bewusst in eine Sucht zu treiben." Lucien straffte seine Schultern bei seinen Worten, hatte jedoch Schwierigkeiten, unter dem bohrenden Blick des Hünen nicht nachgiebig zu werden.
Langes Schweigen setzte ein, in dem Jocelyn die schmutzigen, blutigen Schüsseln nahm und leise aber hastig den Raum verließ. Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, als die magische dunkle Stimme wieder erklang.
"Die Sucht spielt erst einmal keine Rolle. Ich werde Euch die Tropfen und Euren Arbeitsaufwand gut bezahlen, Doktor. Aber sie bekommt diese Tropfen weiterhin." Lucien stieß schnaubend die Luft durch die Nase aus.
"Monsieur, das wäre soweit durchaus machbar. Dennoch ist da noch das zweite Problem. Der Wundbrand in Armen und Beinen breitet sich aus. Ich habe es bislang nicht vermocht, ihn aufzuhalten. Wir müssen uns mit dem Gedanken befassen, dass ich die Gliedmaßen amputieren muss." Nun war sie raus, die schreckliche Wahrheit. Lucien hatte mit Schreck, Schock und Angst gerechnet, doch dieser Mann reagierte völlig anders.
Während der letzten Worte hatte er die vor der Brust verschränkten Arme fallen gelassen und sich von der Wand abgestoßen. Nun stand er vor ihm, den Kopf leicht gesenkt, da er sonst an die niedrige Decke gestoßen wäre und blickte mit fast wütendem Blick auf ihn herunter. Lucien spürte, wie seine ärztliche Autorität einfach von ihm abfiel und er sich in eine Verteidigerposition gedrängte fühlte. Dennoch starrte er mit bedauerndem aber festem Blick in die schwarzen Augen, in denen er neben dem Zorn durchaus tiefe Sorge lesen konnte.
"Ich danke Euch für die offenen Worte, Doktor. Seid so gut und kommt morgen mit den neuen Tropfen. Bis dahin haben wir entschieden, was wir tun werden." meinte Sartous nun ruhig. Lucien schluckte und nickte langsam. Er fühlte sich zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht dazu in der Lage, zu widersprechen und auf seiner Entscheidung zu bestehen.

1 Kommentar:

  1. Vier Tage nun also schon? Die Sanghieri sind wohl sehr weit abgedampft, wenn Armand und Sergej sich so sicher fühlen, dass sie keinerlei Gedanken an Flucht oder Verschwinden in Betracht ziehen.

    Nun ist also eingetreten, was zu befürchten war. Die Wunden übersteigen die Heilkunst des Arztes.

    Das kommt wenig überraschend, doch de Frage ist, wie zu verfahren ist. Narben bilden sich bei der Verwandlung zum Vampir zurück. Doch wachsen auch Gliedmaßen nach? Und was hätte Miriam davon, arm- und/oder beinlos ihre Hochzeit zu erleben.

    Das war nicht, was sie sich vorgestellt hatte!

    Ich hoffe Sergej ist weise genug, dem Leiden nun ein Ende zu setzen. Und ich hoffe, Lucien ist weise genug, nicht zu viele Fragen zu stellen. Er wird seinen Aufwand vergütet bekommen und kann seiner Wege gehen. So er denn den Mund hält.

    Ansonsten wird er vermutlich als Snack dienen.

    LG
    Joe

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