Sonntag, 27. Februar 2011

Noctambule: Viele Vampire

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

"Das ist seltsam. Ich kann nicht einen Gedanken oder ein kleines Gefühl von ihr lesen, nicht einmal wenn sie schläft." Isabelles Worte erreichten Anya durch einen Nebel. Ihr war längst egal, was mit ihr geschah. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Hunger schwächte sie und ihr Körper schmerzte schrecklich.
Es mussten einige Tage vergangen sein seit ihrer Entführung. Ihr war gleichgültig wie lange. Zwar hatte sie anfangs noch versucht, zurück zu rechnen, aber diese Mühe machte sie sich nicht mehr. Immer kam sie durcheinander.


George hatte sie nicht mehr angefasst, außer sie aus der Kutsche zu heben oder wieder hineinzutragen. Sie hatte keine Kraft mehr, selbst auf ihren Beinen zu stehen und dämmerte immer wieder in einen apathischen Zustand hinüber.
Immer wieder hatten sich beide abwechselnd an ihrem Blut bedient. Sie tranken nicht viel, aber ihr Körper hatte keine Zeit, zu regenerieren und sie wurde zusehends schwächer. Selbst das Trinken fiel ihr schwer und es kostete George Mühe, ihr ein paar Schluck Wasser einzuflößen. Isabelle versuchte es gar nicht erst. Wenn es nach ihr ging, konnte Anya ruhig sterben. Und genau das versuchte Anya auch verzweifelt.
"Hab ich auch schon bemerkt. Bei mir klappt es auch nicht. Aber bei mir hast du ja auch Schwierigkeiten." erwiderte George gelangweilt. Er grinste Isabelle breit an. "Dafür kann ich in dir lesen wie in einem Buch." Isabelle fauchte ihn an. Sie hasste es, wenn er das tat und noch mehr, wenn er auch noch darauf herumritt und sie damit hänselte. Sie war einfach nicht in der Lage, sich gegen fremde Gedanken zu schützen.
"Mag sein, aber kannst du auch anderen nur durch deinen eigenen Willen Schmerzen zufügen?" fragte sie bissig. George winkte ab und betrachtete Anya nachdenklich.
"Das können doch alle Vampire außer den Unreinen. Das ist nichts Besonderes. Ich kann es halt nicht. Dafür bin ich wesentlich stärker als du, also lass den Unsinn und knack sie einfach. Ich will alles von ihr wissen! Wenn du es nicht schaffst, muss ich einen mächtigeren finden, der das kann."
Isabelle musterte Anya zornig. Dass George sie derart verletzte, schrieb sie Anya zu. Überhaupt störte die kleine Frau Isabelle gewaltig. Menschen waren schwach und furchtbar leicht zu manipulieren. Nur Anya nicht. Die blockierte einfach irgendwie und hinderte Isabelle daran, vor George zu glänzen. Außerdem bewies dieser zarte Mensch dort in der Ecke trotz ihrer Unterlegenheit eine bemerkenswerte Sturheit und geistige Kraft. Isabelle war absolut klar, dass Anya beschlossen hatte, durch ihren Tod den beiden zu entwischen. Aber als sie George gewarnt hatte, winkte der nur ab.
"Sie wird nicht sterben, wenn ich es ihr nicht erlaube." erklärte er einfach überheblich. Isabelle konnte darüber nur den Kopf schütteln. Sie beschloss, heute einfach ein wenig mehr zu trinken, als sie sollte. So blass und schwach, wie Anya jetzt schon war, würde sie nicht mehr lange durchhalten.
Mit einem bösen Lächeln beugte sie sich vor und bog Anyas Kopf zur Seite. Gezielt grub sie ihre Zähne in die Wunden an Anyas Hals, die bereits nicht mehr verheilen konnten. Gierig zog sie Anyas Lebenskraft aus dem Körper.


Die Postkutsche war nicht sehr bequem und auch nicht besonders gut gefedert. Sie knirschte und ächzte bei den Bodenwellen und schüttelte Armands Körper ordentlich durch, während sie in hohem Tempo über die holprigen Straßen jagte.
Der Kutscher hielt Wort. Er sprach kaum mit den Beiden, wechselte regelmäßig die Pferde und hatte einen zweiten Kutscher für einen Bruchteil seines eigenen Verdienstes eingestellt, der ihn nun hin und wieder ablöste. Dann krabbelte er auf die hintere Sitzreihe und versuchte dort ein wenig zu dösen. Erholsamen Schlaf fand er nicht, aber er war durch diesen einen Auftrag so reich geworden, dass er nun über eine Expansion seines Geschäftes nachdachte.
Sergej hatte ihm in der nächsten Nacht noch einen Obolus versprochen, wenn sie tatsächlich ohne Verzögerung in Florenz eintreffen würden. An einer der Mautstellen, die sie passierten, erfuhr er von einer anderen Kutsche, die wie er auch in hohem Tempo über die Straßen jagte. Sie war vor 12 Stunden hier vorbei gekommen. Nun überlegte er, ob er an einer Verfolgungsjagd beteiligt war. Es roch nach einem verdienstträchtigen Abenteuer.
Erst ab dem dritten Tag setzte Armands Regeneration ein. Sergej hatte ihm ab und zu seinen Arm gereicht, um sich zu stärken. Aber Armand hatte schließlich abgelehnt.
"Du brauchst deine Kräfte selbst für das, was auch immer da kommen mag." hatte er stur wiederholt und so mussten beide während einer Pause, in der die Pferde gewechselt wurden und die Kutscher aßen, auf die Jagd gehen. Da sie am frühen Abend eingetroffen waren, fand Armand schnell einen Bauern, der gerade müde von seinem Feld nach Hause schlurfte. Er jagte nicht, er fiel einfach über seine Beute her.
Sergej schüttelte innerlich den Kopf über seinen Freund. Er machte sich große Sorgen. Armand wirkte nach außen hin ruhig und konzentriert. Wenn sie sich unterhielten, blieb er einsilbig und in sich gekehrt. Sergej versuchte nicht zu bohren und ließ seinen Freund die meiste Zeit in Ruhe. Er spürte, wie in Armand die Mordlust kochte und entdeckte eine neue, kalt analysierende, rücksichtslose Seite an Armand.
Die Befürchtung, dass Anya nicht mehr lebte, wischte Armand einfach beiseite.
"George braucht sie als Lockvogel, wofür auch immer." erklärte er knapp. Sergej runzelte skeptisch die Stirn.
"Nicht unbedingt. Du weißt, wie er mit Frauen umgeht. Er wird sich holen, was er will und hofft auf deinen Rachedurst. Das ist dann Lockvogel genug." argumentierte er dagegen und erntete ein wütendes Zischen als Antwort. Hastig wechselte er das Thema.
"Ich möchte wissen, was in dem Burschen vorgeht. Nach so vielen Jahren muss er doch mal Ruhe geben!" Armand schüttelte den Kopf und betastete seinen Bauch. Die Schmerzen waren noch nicht ganz verschwunden, aber die Heilung machte Fortschritte. Er konnte spüren, wie seine zerstochenen Muskeln sich wieder zusammenfügten und Stunde um Stunde baute sich mehr Kraft in ihm auf.
"Er ist krank! Er hat nie etwas getaugt. Ich vermute, der Aufenthalt in Ungarn hat ihn vollends auf die falsche Seite gezogen." Sergej verfiel ins Brüten.
"Ich bin sicher, dass wir in eine Falle rennen." warnte er schließlich. Armand zuckte mit den Schultern und knurrte über eine Bodenwelle, die ihn gegen die seitliche Wand warf.
"Dann müssen wir eben aufpassen." gab er knapp zurück. Das Schütteln der Kutsche ging ihm auf die Nerven. Er sehnte sich nach den Bequemlichkeiten eines Bettes. Schmerzlich vermisste er den warmen Körper Anyas neben sich und die Art, wie sie mit ihren blauen Augen zu ihm aufsah.
Noch nie hatte eine Frau ihn so fasziniert. Der Gedanke, George könnte ihr etwas antun, schmerzte so heftig, dass er ihn nicht zu Ende denken konnte, bevor verzweifelte Wut aufkam. Er war noch nicht stark genug, um George zu bekämpfen. Selbst Isabelle würde ihn in diesem schwachen Zustand besiegen können. Er könnte einen weiteren Tag Pause gut gebrauchen. Armand hatte keine Ahnung, was auf ihn zukommen würde und wie er Anya retten sollte.
Ein altbekanntes Gefühl befiel ihn. Auflauschend hob er den Kopf und setzte sich auf. Sergej blinzelte ihn müde und gelangweilt an.
"George! Er ist in der Nähe." knurrte Armand. Sofort war Sergej hellwach. Mit dem Wachsein kamen auch seine Fähigkeiten wieder zum Einsatz.
"Nicht nur er." erklärte er trocken und verzog das Gesicht. Er spürte viele Vampire. Auch Armand nahm sie wahr und atmete durch.
"Familie. Wie du gesagt hast. Wir rennen in eine Falle." Sergej nickte und schaute Armand fragend an.
"Versuch gar nicht erst, mich wegzuschicken! Ich habe Anya versprochen, immer für sie da zu sein!" maulte er. Armand grinste kurz.
Das heftige Klopfen des Kutschers gegen die Wagenfront riss ihn aus seinem Lauschen
"Wir erreichen bald Florenz!" Armand blinzelte durch die Vorhänge. Der Abend war längst hereingebrochen.

3 Kommentare:

  1. Hoffentlich kommen die beiden noch rechtzeitig....

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  2. oh man,ich hab gerade mal durchgezählt und es sind mittlerweile (falls ich mich nicht verzählt habe) 151 Kapitel... jetzt meine Frage, ist wirklich nach 200 Schluss? Bitte nicht...*verzweifelt guck* mir gefällt die Geschichte so gut! Liebe Grüße

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  3. Liebe/r anonyme/r Leser/in,

    ich muss dich leider enttäuschen: es ist sogar schon früher Schluss, denn es sind weniger als 200 Kapitel.

    Ich kann dich aber beruhigen: Es gibt eine Fortsetzung ;)

    Liebe Grüße
    Kay Gee

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