Freitag, 4. Februar 2011

Noctambule: Alte Freunde

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

Die Begrüßung der Freunde war für Anya rührend. Armands fragender Gesichtsausdruck hellte sich zu reiner Freude auf, als er mit langen Schritten auf Sergej zu eilte. Der Gast schoss aus dem Sessel hoch, dass Anya zusammenzuckte. Doch er hatte nur Augen für seinen Freund und mit einem freudigen Ausruf umarmte er Armand, der sich tief bücken musste und klopfte ihn heftig auf die Schulter.
"Armand!! Du elende Wanze, du bist in Marseille! Ich glaubte dich sonst wo, auf dem Mond oder noch weiter weg! Verdammt noch mal, ist das eine Freude dich zu sehen, du blöder Hund!" Armand grinste breit und warf über Sergej hinweg einen Blick zu Anya, der sie komplett beruhigte. Alles war gut, sie war in Sicherheit und Sergej wohl tatsächlich ein alter Freund.


"Was für eine Überraschung! Ich dachte, du bist in Russland? Hat man dich vertrieben? Brauchst du mal wieder einen Unterschlupf?" Für Anya war diese Begegnung ein spannendes Schauspiel. Der meist ernste und immer ruhige Armand wirkte gerade wie ein kleiner Junge. Seine Augen leuchteten vor Freude und er drosch dem Freund seine Hand so fest auf die Schulter, dass dieser kurz in die Knie sank.
"Nein, vertrieben nicht gerade und Unterschlupf will ich auch keinen. Ich ziehe ein bisschen herum, gegen die Langeweile, du verstehst? Und als ich merkte, dass du hier bist, bin ich sofort auf die Suche gegangen." Armand grinste und läutete Maurice.
"Ja, du hast mich den ganzen Tag unruhig gehalten. Heute Nacht hätte ich dich gesucht. Deinetwegen bin ich müde und schlecht gelaunt." Aber er grinste ununterbrochen weiter und schloss nur schnell die Lippen, als Maurice erschien und erhaben an der Tür stehen blieb.
"Maurice, wir haben eine Gast zum Dinner. Und bereite bitte eines der Gästezimmer vor." Sein ruhiger Blick glitt nur kurz über Maurice und dieser verschwand sofort mit einem "Sehr wohl, Monsieur." Anya nahm sich vor, mehr Selbstverständlichkeit gegenüber Maurice an den Tag zu legen. Armand hatte nicht einmal gefragt, ob die Küche das schafft. Er erwartete es einfach und das sicher auch zu Recht. Sie musste selbstbewusster werden.
Armand wandte sich wieder Sergej zu.
"Du bleibst doch?" fragte er überflüssigerweise. Sergej lachte und plumpste wieder in den Sessel.
"Deine reizende ..äh.. Gefährtin.. hat mich bereits eingeladen. Und ich sterbe vor Hunger." Anya musste lächeln und erwiderte den zwinkernden Blick Sergejs offen. Er hatte die Arme mit einem Lächeln ausgebreitet, sah aber wieder zu Armand.
"Übrigens muss ich dich beglückwünschen! Ich wurde Madame zwar noch nicht vorgestellt, aber ich bin ihr jetzt schon verfallen." Armand nickte, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
"Nun, dann holen wir das doch nach: Das ist Anya Sanisoise. Anya, mein alter Freund Sergej Komarov. Es bedeutet Stechmücke in seiner Sprache." Bevor Anya etwas erwidern konnte, war Sergej aufgesprungen und machte einen Kratzfuß vor ihr.
"Euer Diener, Madame. Bitte nennt mich Sergej." Als er die Augen in ihr Gesicht hob und sich wieder aufrichtete, las sie darin echte Sympathie und Wärme. Unsicher lächelte sie.
"Falls du länger hier verweilen solltest, musst du wissen, dass wir als Geschwister auftreten. So hat Anya ein wenig Spaß in der Öffentlichkeit." klärte Armand ihn auf. Sergejs Braue schoss hoch, seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen.
"Wie pikant!" kommentierte er diese Neuigkeit. Anya trieben seine Worte die Röte ins Gesicht, verrieten sie ihr doch, dass er mehr wusste, als ihr Schamgefühl es sich gewünscht hätte.
Der Abend verlief entspannt und sehr harmonisch. Es stellte sich heraus, dass die Freunde sich seit knapp 25 Jahren nicht mehr gesehen hatten. Eine alte Abmachung der Beiden bewirkte, dass mindestens einer von beiden sich nach Ablauf dieser Zeit auf die Suche nach dem anderen machen würde, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war.
Beim Essen und auch danach bei einem Glas Wein tauschten die Beiden sich in Anyas Gegenwart in aller Offenheit aus. Anya war still und lauschte überwiegend, teils fasziniert, teils auch erschrocken. Allerdings würzten beide ihre Geschichten immer wieder mit lustigen Einzelheiten, die zu lauten Gelächter führten und auch bei Anya die Unbeschwertheit auslöste. Immer öfter wagte sie schlagfertige Einwürfe, was beide Männer mit anerkennendem Gelächter quittierten. Man ging zum vertraulichen "Du" über.

Aber schließlich war es Zeit für Anya, sich zu verabschieden. Dank des nachmittäglichen Ausflugs hatte sie keinen Schlaf bekommen und die Nacht zuvor war extrem erregend aber auch anstrengend gewesen. Als sie sich erhob, sprang Sergej sofort auf und ergriff ihre Hand, die sie ihm nun lächelnd und entspannt überließ.
"Anya, ich hoffe auf ein Wiedersehen. Armand weiß, dass ich jederzeit bereit bin, euch zur Seite zu stehen, wenn ihr meine Hilfe benötigt. Dies verspreche ich dir hiermit auch. Wer unter Armands Schutz steht, steht unter meinem. Seine Freunde sich auch meine. Wann immer du mich brauchst, ich stehe dir jederzeit zur Verfügung." Mit diesen Worten hauchte er einen sanften Kuss auf ihren Handrücken.
Anya warf über Sergejs gebeugten Rücken einen überraschten Blick zu Armand, doch der schaute nur gelassen zu, als sei Sergejs Verhalten nichts Ungewöhnliches. Als er ihren verblüfften Blick sah, lächelte er leicht und nickte unmerklich. Anya war überwältigt. Als Sergej sich erhob, lächelte sie ihn an und hauchte ihm einen kleinen Kuss auf die Wange.
"Danke Sergej. Ich freue mich sehr, wenn wir dich wieder sehen. Du bist jederzeit willkommen." Nun erhob sich Armand und geleitete sie zur Tür, wo sie ihn allerdings bremste, indem sie eine Hand auf seine Brust legte und zu ihm aufsah.
"Bleib bei ihm. Genieß die kurze Zeit." flüsterte sie ohne zu bedenken, dass Sergejs Ohren mindestens so empfindlich waren wie Armands. Er lächelte warm und beugte sich zu einem Kuss zu ihr herunter. Er bedankte sich nicht, aber seine Augen funkelten amüsiert, dass sie ihm verbot, sie wie immer hinaufzubegleiten. Als sie in ihr Zimmer ging, fiel ihr erst auf, warum er so gelächelt hatte. Und mit einem Schmunzeln wurde ihr klar, dass sie dafür würde bezahlen müssen.

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