Samstag, 5. Februar 2011

Noctambule: Eiskaffee

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule



Während Anya eine neue Kreation namens Eiskaffee probierte, naschte Miriam mit wachsender Begeisterung ihr Zitroneneis. Die beiden Freundinnen saßen im Halbschatten des Cafés und genossen den Ausblick auf den alten Hafen und die Promenade. Ein besonders malerischer Hafen war es nun wahrlich nicht. Aber das geschäftige Treiben dort war interessant. Fischerboote kehrten von ihren frühen Touren zurück, Segel und Netze wurden repariert, Schiffe beladen oder entladen und auf einem kleinen Markt versuchten die Fischer und Handwerker ihre Waren feilzubieten.
Zu dem geschäftigen, harten Leben, das hier zu sehen war, waren die Menschen auf der Promenade ein krasser Gegensatz. Im Hintergrund und weit genug entfernt, um edle Nasen nicht zu brüskieren, sah man ausgemergelte, sonnengegerbte Gesichter und praktische, feste Kleidung. Im Vordergrund verwöhnten teure Farben und prachtvolle Stoffe die Augen der beiden Freundinnen. Würden sie sich umdrehen, könnten sie beobachten wie noble Kutschen versuchten, zwischen den Fuhrwerken einen Weg zu finden.

Miriam riss ihre Freundin mit aufregenden Neuigkeiten aus dem stillen Beobachten.
"Hast du schon davon gehört, was vorletzte Nacht im Hafen los war? Nein, hast du bestimmt nicht! Ein Fischer wurde tot aus dem Wasser gezogen. Sein Hals war ganz zerrissen! Stell dir mal vor, was für Ungeheuer da im Wasser herumschwimmen müssen!" Anya verschluckte sich beinahe am Eiskaffee. Miriam klopfte mitfühlend und dezent auf ihren Rücken.
"Ja, schrecklich nicht wahr? Verzeih, ich wusste nicht, dass dich das so erschreckt." entschuldigte sie sich betroffen. Anya starrte sie verwirrt an.
"Wo.. woher weißt du das? Ich meine, woher weißt du, dass es ein Fisch gewesen ist?" stammelte sie und tupfte sich den Mund mehr als gründlich sauber. Damit gewann sie Zeit, sich zu fassen. Miriam löffelte bereits wieder genussvoll ihre Portion auf.
"Der Herzog hat es Papa erzählt. Du weißt doch, dass er die Garde in Marseille befehligt?"
"Nein, das wusste ich nicht! Er ist doch ein Herzog! Wieso .. was hat er mit der Garde zu tun?" Miriam lachte und sah Anya ein wenig mitleidig an.
"Ach, du bist wirklich naiv! Die ganzen hohen Stellen werden doch von der königlichen Familie besetzt. Er hatte bis vor ein paar Jahren irgendeinen hohen Posten in Paris. Aber jetzt hat er ein wenig Ruhe verdient, sagt Papa." Anya nahm diese Information nur am Rande wahr.
"Und er denkt, es war ein Tier im Wasser?" hakte sie nach. Miriam nickte eifrig.
"Naja, was soll man denn sonst denken? Papa meint, der Fischer muss betrunken ins Wasser gefallen sein und da hat ihn dan irgendwas getötet. Gruselig, nicht wahr?" Anya nickte geistesabwesend. Sie hatte es inzwischen bis zur Perfektion geschafft, Armands nächtliche Streifzüge zu verdrängen. Jetzt wurde sie wieder damit konfrontiert. Sie weigerte sich einfach, in Armand ein menschenmordendes Monster zu sehen. Aber vielleicht war ja Sergej noch in der Nähe?
Sergej hatte sich nur wenige Tage bei ihnen aufgehalten. Viel hatte sie nicht von ihm gesehen. Lediglich abends saß man beisammen, bis Anya sich verabschiedet hatte. Armand hatte sie in diesen Tagen nicht aufgesucht und Anya hatte die langen Nächte genutzt, um viel Schlaf zu tanken. Die Verabschiedung war herzlich und ein wenig schmerzlich gewesen, auch für Anya. Sie hatte Sergej als frohsinnigen, unbeschwerten Gauner eingestuft und in ihr Herz geschlossen. Er hatte sein Versprechen wiederholt, jederzeit für beide da zu sein. Anya glaubte es ihm. Nur besaß sie nicht die Fähigkeit der beiden Vampire, einander stumm zu sich zu rufen und so war mit seiner Anwesenheit auch sein Schutz verschwunden.
Dann fiel ihr George ein und eine Gänsehaut rieselte über ihren Rücken. George musste es gewesen sein! Oder Isabelle! Beiden traute sie zu, ihre Opfer unbedacht liegen zu lassen, statt sie so zu verstecken, dass niemand sie finden konnte. Erleichterung machte sich in ihr breit. Dennoch bedrückte sie das Wissen um den Mord und sie sah Miriam unbehaglich an. Miriam tätschelte beruhigend ihre Hand.
"Beruhige dich! Uns passiert ja nichts, wir gehen ganz sicher nicht im Hafenbecken schwimmen! Und sicher wird das Monstervieh bald in den Netzen hängen." kicherte sie und lehnte sich zufrieden zurück.
"Ein herrlicher Tag. Schau, da hinten ist Madame Dubrés mit Lechaivre, diesem Geck. Sie kann ihn nicht ausstehen. Lass uns noch etwas trinken, sonst laufen wir ihr über den Weg und landen wieder in ihrer Kutsche." kicherte sie unbeschwert und winkte dem Kellner. Anya war das Recht. Nachdenklich strich sie über ihr Halsband, während sie Miriams kleinen Lästereien des letzten Nachmittagempfangs lauschte.

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