Montag, 7. Februar 2011

Noctambule: Rückblick - Wiedersehen mit George

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule


Knappe sechs Jahre hatten Armand und Sergej zu festen Mitgliedern der seltsamen Gemeinschaft im Schloss werden lassen. Im Großen und Ganzen kümmerte sich kaum einer um die anderen. So herunter gekommen, wie das Schloss war, so wenig Möglichkeiten bot es auch. Es war schmutzig und ungepflegt. Der Garten bestand nur noch aus verwildertem Gestrüpp, Bänke und Pavillons waren der Witterung zum Opfer gefallen und Maulwürfe hatten den Rasen völlig unterwandert.


So sehr Armand auch versucht hatte, sein kleines Zimmer ein wenig wohnlich herzurichten, begann er doch allmählich genauso zu verwahrlosen wie die anderen es schon lange waren. Er langweilte sich schrecklich. Die Jagd war mühsam. Nur wenige Reisende wagten sich in das Tal, lebend verließ es niemand. Nachdem Janis sich geweigert hatte, Armands Änderungsvorschlägen zuzuhören, geschweige denn sie umzusetzen, waren die Vampire gezwungen, weiter auszuschwärmen.
Die wenigen Frauen hier waren zwar in festen Händen, doch gab es genug unter ihnen, die sich immer wieder zu kleinen Eskapaden anboten. Sergej nahm sie freudig an, Armand lehnte sie jedoch fast angewidert ab. Keine dieser Frauen entsprach in irgendeiner Form seinem Frauenbild. Das hier waren skrupellose, zügellose, gierige Weiber, nur auf ihren Vorteil bedacht. Wie Adaliz. Allen voran Isabelle.
Nachdem Isabelle mehrmals von Armand abgewiesen worden war, schwenkte sie von flirtendem Charme auf bissige Abwehr um. Dabei hatte Armand sie keineswegs wegen Janis abgewiesen, dessen Eifersucht einen fast herrschsüchtigen Charakter hatte. Isabelles Charakter machte sie einfach trotz ihrer Schönheit unattraktiv.
Er war jedes Mal froh, wenn sie für mehrere Tage verschwand, um auf Jagd zu gehen und verstand es inzwischen, seine Ausflüge so einzurichten, dass er ging, wenn sie zurückkam. Aber sein Entschluss, dieses Schloss zu verlassen, reifte ohnehin. Sergej nahm Armands Unruhe mit einem Schulterzucken auf.
"Dann ziehen wir eben weiter, was soll's." erklärte er stoisch und wartete nur noch auf Armands Startsignal.
Die beiden Freunde verbrachten die meiste Zeit miteinander. Armand hatte Sergej das Schachspielen beigebracht. Sie saßen gerade brütend über einer Partie im Hauptsaal, als Sergej aufmerksam den Kopf hob, beinahe gleichzeitig mit einigen anderen. Armand schaute fragend auf. Auch er spürte plötzlich eine neue Präsenz.
"Isabelle bringt einen Fremden mit." knurrte Janis im Hintergrund und richtete sich interessiert auf. Armand war mit einem Mal unruhig. Was er da gerade wahrnahm, löste unangenehme Erinnerungen aus. Sergej musterte ihn fragend. Er kannte seinen Freund inzwischen so gut, dass Worte oft überflüssig waren.
"Es ist George." raunte Armand ohne zu wissen, was ihn da so sicher machte. Zwar hatte er in den Jahren gelernt, die verschiedenen Charakter schon auf weite Distanz zu erkennen, aber dass es tatsächlich auch mit unerwarteten alten Bekannten funktionierte, war neu für ihn. Sergej lehnte sich mit einem lauernden Grinsen zurück.
"Jetzt wird’s interessant. Den wollte ich immer schon mal kennen lernen." Armand lächelte kalt und schwieg. Es dauerte nicht lange, bis sich die Türe öffnete und Isabelle eintrat, dicht gefolgt von George.
Isabelle zog George, der staunend stehen geblieben war, mit sich zu Janis, der gelangweilt auf einem Sofa herumlungerte aber mit scharfem Blick erst Isabelle und dann den Neuankömmling musterte.
"Ich habe ihn unterwegs aufgegabelt. George, das ist Janis. Er ist unser Anführer." stellte Isabelle vor. Armand spürte die Unsicherheit Georges fast körperlich. Doch in Unkenntnis der Tatsache, dass wohl jeder hier besser im Lesen der anderen geübt war als er selbst, versuchte George seine Nervosität mit höfischem Getue zu vertuschen. Er machte eine übertriebene Verbeugung.
"Ich bin überaus erfreut, Janis." näselte er mit breitem Grinsen. Neben Armand stieß Sergej ein kleines Grunzen aus. Noch hatte George seinen alten Bekannten nicht bemerkt. Er war auf Janis konzentriert. Dieser musterte ihn von oben bis unten mit erhobenen Brauen.
"Bist du das?" fragte er leicht aggressiv. Immer wieder flogen seine Blicke von Isabelle zu dem Neuen und zurück. Seine Finger spielten unruhig trommelnd auf der Sofalehne.
"Allerdings. Es ist Ewigkeiten her, dass ich zuletzt einen von uns getroffen habe." George grinste Isabelle an. "Und dann entdecke ich gleich so eine ungemeine Schönheit." Janis stieß ein kleines Zischen aus.
"Sie gehört zu mir!" stellte er bissig fest. Sergej verschränkte vergnügt die Arme.
"Willst du wirklich schon abreisen? Jetzt wird’s doch gerade lustig." fragte er Armand leise. George hob indigniert eine Braue.
"Ja, sie erwähnte bereits, dass du das behaupten würdest." erwiderte er und grinste Janis an, der sich langsam aufrecht hinsetzte.
"Behaupten? Du solltest das als Tatsache hinnehmen oder weiterziehen." grollte er. Isabelle genoss die Situation außerordentlich. Mit einem einschmeichelnden Schnurren schob sie sich neben Janis auf das Sofa und schmiegte sich an ihn.
"Janis, entspann dich. George braucht eine Unterkunft. Und ein bisschen Anleitung. Er ist Waise." sie lachte leise und knabberte an seinem Ohr. Janis schob sie beiseite und musterte George mit misstrauischem Interesse. Ihm entging der kurze unzufriedene Gesichtsausdruck von Isabelle, der es nicht schmeckte, so abgewiesen zu werden.
"Du bist ein Unreiner? Und tappst ahnungslos durch die Weltgeschichte? Auch das noch." Seine Sticheleien wurden durch die höhnisch sanfte Nachsicht in der Stimme noch beißender. Armand bemerkte das breiter werdende Grinsen in Sergejs Gesicht.
Georges Lächeln gefror und in seinen Augen blitzte es kurz auf.
"Ganz so ahnungslos nun auch wieder nicht. Aber ich bin froh, endlich Gleichgesinnte gefunden zu haben." er drehte sich leicht und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen, nun ein höfliches Lächeln auf den Lippen. Als sein Blick auf Armand fiel, erstarrte er jedoch und sein Lächeln wurde zu einer leeren Maske.
Armand blieb entspannt ausgestreckt in seinem Sessel, die Beine weit von sich gestreckt und mit einer Hand über sein Kinn streichend. Gelassen musterte er George von oben bis unten. Unwillkürlich ballte George die Fäuste.
"Ich sehe, ihr beherbergt offenbar jeden. Sogar Mörder." knurrte George hasserfüllt. Armand regte sich nicht bis auf ein feines Lächeln, das nun in seinen Mundwinkeln spielte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Isabelle sehr aufmerksam die Situation beobachtete.
Auch Janis sah nun von George zu Armand. Kurz war ihm eine kleine Überraschung anzusehen, denn er hatte nie nach Armands Vergangenheit gefragt und dieser hatte auch nie von sich berichtet. Die Vergangenheit spielte hier keine Rolle. Allerdings hatte er dem ruhigen, zurückhaltenden Armand nicht zugetraut, gewalttätig zu sein.
Sergej meldete sich ruhig zu Wort.
"Nicht nur einen. Es soll sogar welche unter uns geben, die glatt ihre Tat wiederholen würden." Er hatte die Arme vor sich verschränkt und lümmelte noch tiefer im Sessel als Armand. Aber sein Gesichtsausdruck war nicht misszuverstehen. Was auch immer vorgefallen sein mochte, Sergej hatte sich bereits für eine Seite entschieden.
Eisige Stille lag im Saal. Isabelle hatte sich mit funkelndem Blick vorgebeugt. Janis sah von einem zum anderen und blieb entspannt. Er hatte nicht vor, sich einzumischen. Einige andere schoben sich nun aufmerksam weiter nach vorne oder richteten sich auf.
George überlegte kurz. Armand war hier bekannt und anerkannt. Er selbst täte besser daran, hier keinen Streit zu provozieren, solange er nicht wusste, wie die Würfel verteilt waren. Aber er grollte innerlich. Gerade hatte er endlich Anschluss gefunden und nun tauchte sein Erzfeind auf. Das Schloss hatte erheblich an Anziehungskraft verloren durch Armand.

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