Samstag, 26. Februar 2011

Noctambule: Keine Sekunde länger

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

"Das ist natürlich sehr spannend. Was bitte schön gibt Euch aber die Sicherheit, dass ich das auch wusste und nun nicht ausplaudere?" Miriams Augen wurden tellergroß. Sie machte einen hastigen Schritt auf ihn zu und blieb wieder stehen.
"Das tut Ihr nicht! Ihr seid doch ein Freund!" hauchte sie entsetzt. "Bitte, auch wenn Ihr das noch nicht wusstet, Ihr vernichtet die Beiden gesellschaftlich! Ich flehe euch an!" Sie bereute ihre Plauderei sichtbar und kaute mit flehendem Blick auf ihrer Lippe. Sergej schmunzelte.
"Beruhigt Euch. Ich wusste es und gedenke zu schweigen. Es sollte Euch aber eine Lehre sein, nicht so leicht und schnell zu plaudern, Mademoiselle." Miriam nickte händeringend.
"Aber was mache ich denn jetzt? Ich habe solche Angst um Anya." jammerte sie. Sergej nickte. Seine Kieferknochen malten heftig.


"Nicht nur Ihr. Nicht nur Ihr." murmelte er und nahm nun seine Wanderung wieder auf, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Miriam beobachtete ihn stumm und wartete auf seine rettende Erklärung.
Sergej kämpfte mit einem Entschluss. Schließlich blieb er direkt vor Miriam stehen und betrachtete sie eingehend. Vorsichtig nahm er ihre beiden Hände in seine.
"Miriam, ich werde Euch etwas erzählen und vertraue auf Eure Verschwiegenheit, auch wenn Ihr sie gerade eben nicht wirklich bewiesen habt. Aber ich möchte Euch ruhig nach Hause schicken können, ohne dass Ihr noch hysterischer werdet." seine Stimme klang dunkel und eindringlich. Miriam starrte ihn mit offenem Mund an und nickte nur knapp. Sergej betrachtete sie noch einmal eingehend.
Nach dieser Musterung war er sicher, vor sich einen jungen, aufrichtigen, geraden Menschen zu haben, der in schierer Angst verzweifelte. Kurz durchschoss ihn der Gedanke, dass sie ein leckerer Happen wäre, verdrängte diesen Appetit aber mühsam wieder.
"Nun, Armand glaubt den Täter zu kennen und ist sicher, dass Anya entführt wurde. Er ist bereits unterwegs, um diesen Verbrecher zu stellen. Sobald ich Nachricht habe, werde ich ebenfalls unterwegs sein. Und ich schwöre Euch bei allem, was mir heilig ist, wir werden sie finden!" So ganz entsprach seine Äußerung nicht der Wahrheit. Er hatte die Wahrheit lediglich ein wenig gebogen, um Miriam zu beruhigen.
"Wirklich?" hauchte sie bebend. "Ihr werdet sie wirklich finden?" Sergej tätschelte ihre Hand.
"Das werden wir! Aber Ihr könnt nichts weiter tun, als nach Hause zu gehen und zu schweigen, egal was Ihr auch hört. Versprecht Ihr mir das?" Miriams Augen füllten sich mit Tränen. Sie nickte und atmete mühsam beherrscht durch. Dann entzog sie Sergej ihre Hände und griff nach ihren Handschuhen.
"Versprochen. Danke für Eure Worte. Und viel Erfolg!" folgsam ließ sie sich von ihm hinausbegleiten und kletterte draußen wieder in ihre Kutsche, verzweifelt einen Grund suchend, warum jemand Anya entführen wollte.

Die beiden Freunde mussten noch den ganzen Tag auf die bestellte Kutsche warten. Zwar gab es in Marseille Kutschen genug, die man für Reisen mieten konnte, doch Armands Sonderwünsche hatten die Suche sehr eingeschränkt. Am frühen Abend endlich rollte eine geschlossene, vierspännige Postkutsche vor das Haus.
Maurice verkündete endlich das Eintreffen der Kutsche. Armand war ungeduldig. Er hätte sogar den kurzen Schmerz des Tageslichts akzeptiert, wenn die Kutsche nur früher gekommen wäre. Mit heftig angespanntem Gesicht und mühsam unterdrücktem Stöhnen ließ er sich von Sergej auf die Beine helfen. Sie waren schrecklich weich und wacklig.
"Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, Armand? Du solltest dich erholen und liegen!" Sergej hatte den halben Nachmittag damit verbracht, Armand zum liegen bleiben zu überreden und zwei Tage später zu fahren. Armand blieb stur.
"Nein. Anya bleibt keine Sekunde länger bei George, als nötig." Armands Antwort war knapp und ruhig. Mit winzigen Schritten und nur mit Hilfe von Maurice und Sergej schaffte Armand es an die Haustür. Ein wenig besorgt blinzelte er und verzog schon in Erwartung von Tageslicht das Gesicht, als Maurice fürsorglich die Tür öffnete. Aber die Sonne war gerade hinter dem Horizont verschwunden.
Mit tief gebeugtem Kopf und schwer auf George und Maurice gestützt schleppte er sich zur Kutsche. Ein letzter Kraftakt in die Kutsche hinein, dann sank er stöhnend auf die Bank und sackte in sich zusammen. Besorgt wandte sich Sergej zu Maurice um und drückte ihm einen Geldbeutel in die Hand.
"Ich hoffe, das wird erst einmal reichen für dich, bis wir wieder da sind. Und vergiss nicht: Kein Wort zu irgendjemandem!" schärfte er Maurice noch einmal ein. Der Butler verstaute das Geld sorgsam in seiner Tasche.
"Ihr könnt unbesorgt sein, Monsieur. Ich werde strengstens Buch über meine Ausgaben führen. Und selbstverständlich halte ich mich an die Befehle." versicherte er mit steinerner Miene. Sergej nickte zufrieden und drehte sich leicht zum Kutscher, der abgesprungen war und interessiert seine neuen Kunden betrachtete. Als er von Sergej einen dicken Geldbeutel in die Hand gedrückt bekam, grinste er breit.
"Dafür fahre ich Euch bis zum Mond, M'sieur!" erklärte er zufrieden. Sergej winkte ab.
"Nur bis Florenz! Tag und Nacht, bis es nicht mehr geht und Ihr Schlaf braucht. Ach was, beschafft Euch einen Kollegen, der Euch ablöst! Wir haben keine Zeit zu verlieren." Der Kutscher stutzte irritiert.
"Ohne Pause?!"
"Wir werden nicht anhalten außer bei Pferdewechseln und wir werden nicht aussteigen. Die Türen bleiben geschlossen bis Florenz!" schärfte Sergej ihm nochmals ein. Dann ließ er den verblüfften Kutscher stehen und schwang sich in die Kutsche. Besorgt schob er sich gegenüber von Armand auf die Bank und beugte sich zu ihm vor.
"Alles klar, altes Haus?" Armand quälte sich ein schiefes Grinsen ab.
"Bestens. Mach dir keine Sorgen." ächzte er. Als sein Freund zu seinem Hemd griff, um es hochzuziehen und den Verband zu kontrollieren, bremste Armand die suchende Hand.
"Es ist gut!! Lass deine elenden Pfoten von mir und scheuch den Kutscher!" knurrte er mit geschlossenen Augen. In diesem Moment setzte sich die Kutsche in Bewegung.
Maurice starrte den beiden kopfschüttelnd hinter her.
"Grundgütiger Himmel. Viel Glück."

1 Kommentar:

  1. Oh, man ich hoffe die beiden kommen noch rechtzeitig und Anya geht es gut. Diese Geschichte ist wirklich, wirklich gut. Lieben Gruß

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