Sonntag, 31. Oktober 2010

Noctambule: Gespräche

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule


Paris 1748

Das Knacken eines umfallenden Holzscheits im Kamin riss Armand aus seinen Erinnerungen. Nichts im Raum hatte sich verändert. Anya lag nackt ausgestreckt auf dem Fell am Kamin. Aber ihre Augen waren offen und betrachteten ihn.
Mit leichtem Unbehagen wurde ihm bewusst, dass er so in seine Erinnerungen versunken gewesen war, dass er ihr Aufwachen nicht bemerkt hatte. Diese Unachtsamkeit verärgerte ihn. Wie lange sie wohl dort schon lag und ihn ansah? Sie schien sich nicht einen Millimeter bewegt zu haben. Mit aufmerksamem Interesse musterte er sie, irritiert von ihrer reglosen Miene und ihrem klaren Blick, mit dem sie ihn ansah.

"Bist du schon lange wach?" fragte er und zog seine Uhr aus der Westentasche. Sie klappte leise auf und verriet ihm, dass der Abend bereits weit fortgeschritten war. Er hatte tatsächlich den ganzen Tag hier im Sessel verbracht? Ohne seine Verwunderung darüber zu zeigen, klappte er die Uhr wieder zu und steckte sie ein.
"Nein, Herr." Die weiche Melodie ihrer Stimme verzückte ihn aufs Neue und ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. Er setzte sich auf und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, zu ihm zu kommen. Seine Augen ruhten auf ihrem schlanken Körper, als sie sie aufrichtete und mit sanftem Hüftschwung zu ihm ging.
Fasziniert stellte er fest, dass sie sich nicht mehr mit der kantigen Unsicherheit bewegte, die sie vorher gezeigt hatte, sondern die weichen Bewegungen einer sinnlichen Frau zeigte. Sie sank neben seinem Sessel auf den kalten Steinboden und blieb dort in kniender Haltung mit gesenktem Kopf. Seine Hand glitt zu ihrem Kinn und hob ihr Gesicht an, damit er es ansehen konnte. Es war Zeit für ein Gespräch.
"Hast du Angst vor mir, Anya?" Ihre Lippen bebten leicht. Sie sah zu ihm auf mit ihren herrlichen blauen Augen und in seiner Hand spürte er das kaum sichtbare Nicken.
"Ja Herr." Er lächelte. Schaudernd erkannte sie die spitzen Zähne dabei.
"Warum?" Sein Kopf kippte ein wenig auf die Seite.
"Ich.. ich will nicht sterben, Herr." hauchte sie mit kläglichem Blick. Wieder lächelte er und seine Nase sog hörbar ihren Duft ein.
"Ahh.." er nickte verstehend und betrachtete sie weiterhin interessiert. Noch immer lag seine Hand unter ihrem Kinn und sein Daumen streichelte ihre Wange. Wie klein ihr Köpfchen in seinen Händen wirkte.
Überhaupt gefiel ihm ihre Haltung ausnehmend gut. Das blonde Haar schimmerte seidig im Schein des Kaminfeuers und ihre Haut hatte einen samtigen Schimmer. Ihre Hände ruhten auf ihren Oberschenkeln, ihre kleinen Pobacken berührten ihre Fersen. Sie war wirklich verlockend und schien sich dessen nicht bewusst zu sein.
"Wenn du mich etwas fragen möchtest, dann frag ruhig. Du darfst sprechen." erlaubte er ihr mit einem kleinen Lächeln und zog seine Hand zurück. Anya schluckte und schien zu überlegen. Ihre Stirn runzelte sich.
Er konnte sich gut vorstellen, dass sie versuchte, die vielen Fragen in ihrem Kopf zu sortieren, um die wichtigsten zu stellen. Er ließ ihr Zeit und griff neben sich zu dem Tablett, auf dem immer noch Obst, Käse und ein Krug mit Wasser stand. Er füllte ihr einen Becher und reichte ihn ihr. Dankbar griff sie nach dem Becher und trank in tiefen Zügen. Er schnitt Käse in kleine Happen während sie nachdachte.
"Ich würde gerne wissen wie du heißt." Sie hielt den Becher mit zwei Händen fest, als könne er sie beschützen vor seinem Wutausbruch, falls sie eine falsche Frage stellte.
"Armand Sartous." Seine Antwort wurde von einem kleinen Schmunzeln begleitet.


Anya nickte. Sie schien sich den Namen einzuprägen und plötzlich weiteten sich ihre Augen. Maries Halsband! Die Buchstaben darauf waren seine! Armands Blick wurde aufmerksamer. Er hatte ihre plötzliche Erkenntnis bemerkt ohne zu wissen, worum es ging. Offenbar konnte er sehr viel mehr als normale Menschen, aber Gedankenlesen schien wohl nicht dazu zu gehören. Jetzt, wo Anya seinen Namen kannte, rückte er ihr ein wenig näher und verlor den Schrecken des Unbekannten.
"Armand…" flüstere sie leise vor sich hin und glaubte ein neues Schmunzeln bei ihm zu bemerken. Als sie aufsah, musste sie tief Luft holen. Sein schönes Gesicht wurde weich von dem Feuerschein beleuchtet.
Er hatte seine Haare noch immer nicht zu einem Zopf gebunden und einige Strähnen fielen in seine Stirn. Es stand ihm, verlieh ihm eine gewisse Wildheit.
Unterstrichen wurde das noch von seiner lässigen Haltung, aus der er – wie sie inzwischen wusste – mit geschmeidiger Schnelligkeit hervor schießen konnte. Mit Herzklopfen beschloss sie, ein kleines Wagnis einzugehen und ihn mit seinem Vornamen anzureden, denn das beginnende Gespräch verlieh ihr das Gefühl, eine kleine Stufe nach oben gekrabbelt zu sein.
Sie glaubte zu wissen, wann sie ihm ihre Demut zeigen musste und wann nicht. Sie versuchte es zumindest.
"Wirst du mich töten, Armand?" Sie hob den Blick wieder zu seinen Augen, als er sein Gesicht von der Tätigkeit des Obst Schneidens abwandte und sie musterte. Sie hielt den Atem an.
"Ich versuche, es nicht zu tun. Aber auch ich bin manchmal schwach." Seine tiefe, fast bedauernde Stimme unterstrich die Worte auf schauerliche Art. Eine Gänsehaut kroch über ihren Rücken, die feinen Haare auf ihren Armen stellten sich auf. Die Ehrlichkeit in seiner Stimme überzeugte sie auf Anhieb. Sie würde also nie wissen, wie lange sie noch leben durfte, solange sie in seiner Nähe war.

1 Kommentar:

  1. Armand... Dann sind diese Rückblicke also seine Geschichte.

    Cool so zwei in eins

    Aber doof dass man immer beim rückblick weiß, dass er nich sterben wird.

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