Mittwoch, 7. September 2011

Noctambule II: Ertappt!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Miriam hatte den Abend endlich überstanden. Ihr Onkel Matisse, der Bruder ihrer Mutter, war noch vor der Beerdigung zu ihr gefahren und mit ihr besprochen, wie es weitergehen sollte. Während die Schneiderin bei Miriam war, fand ein ausführliches Gespräch zwischen ihm und Madame Dubrés statt.

Er hatte sofort zugestimmt, die Vormundschaft zu übernehmen und da ihm Madame Dubrés als kompetente Dame bekannt war, erlaubte er Miriam großzügig, dort wohnen zu bleiben. Er selbst hatte sich mit seiner Frau auf sein Landgut zurückgezogen.
Seine beiden Töchter waren verheiratet und führten ihr eigenes Leben und in Wirklichkeit hatte er keine große Lust, nun wieder ein "Kind" zu haben. So fand er die Lösung mit Madame genial und war erleichtert.
Sein Verhältnis zu Miriam war immer nur oberflächlich gewesen. Miriam war zu sehr Wildfang und Tochter ihres Vaters, um bei seinen strengen Prinzipien Verständnis zu finden. Nun siegte eigentlich nur sein Familiensinn und die Furcht vor der Meinung der Gesellschaft.

Miriam hatte sich den ganzen Abend still und höflich gegeben. Sie nutzte die allgemeine Meinung, dass ein Mädchen in ihrem Alter auch durcheinander sein durfte nach solch schrecklichen Erlebnissen und verharrte einfach still, bis sich die Gäste nach dem Essen endlich verabschiedeten.
Es war spät geworden und auch Onkel Matisse sehnte sich nach seinem Bett. Mit den Worten: "Meine liebe Frau ist zum Umfallen müde. Wir werden uns zurückziehen." verabschiedete er sich und ließ Madame mit Miriam alleine in dem nun endlich leeren Salon zurück.
Miriam schnaufte tief durch und schaute kläglich zu Madame.
"Das war der zweitschlimmste Tag meines Lebens!" erklärte sie überzeugt und sah Madame verständnisvoll nicken.
"Aber jetzt hast du das Schlimmste hinter dir und kannst nach vorne blicken, Kindchen." meinte sie optimistisch und sah Miriam zum wiederholten Mal aus dem Fenster spähen. Ihre Braue wanderte nach oben. Sie versuchte ebenfalls hinaus zu sehen, doch die Dunkelheit und ihre trüben Augen konnten sie nichts Nennenswertes erkennen lassen.
"Ich frage mich, was dort draußen nur sein kann?" meinte sie schließlich und gewahrte eine leichte Röte auf Miriams Wangen. Amanda Dubrés war zu abgebrüht und hatte ihr Leben in jeder Hinsicht genug ausgekostet, um nicht sofort hellwach zu sein.
Sie musterte Miriam prüfend und konnte ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken, als Miriam verlegen den Blick senkte.
"Nichts, Madame. Da ist gar nichts." versicherte sie, doch Amandas Schmunzeln verstärkte sich nur.
"Kann es vielleicht sein, dass da ein kleines, verbotenes Rendezvous ungeduldig erwartet wird?" schoss sie ins Blaue.

Volltreffer! Miriams Wangen begannen zu glühen. Hoch verlegen starrte sie auf ihre Finger, die sie artig im Schoß verschränkt hatte. Sie war in der Zwickmühle. Einerseits wollte sie Sergej auf keinen Fall verraten und schließlich wusste sie auch nicht genau, wie Madame auf solch ungehöriges Benehmen reagieren würde.
Andererseits wollte sie aber auf keinen Fall die Einzige belügen, die ihr hilfreich zur Seite stand. Amanda half ihr aus der Patsche, indem sie sich vorbeugte und Miriams Oberschenkel tätschelte.
"Wer ist es denn?" fragte sie interessiert. Miriam kaute auf ihrer Unterlippe und geriet in Zweifel. Was durfte sie erzählen und was nicht? Unsicher betrachtete sie ihre Gastgeberin.
"Er heißt Sergej Komarov. Ich habe ihn durch Anya kennengelernt." erklärte sie schüchtern und fand, dass sie damit ziemlich nah an der Wahrheit blieb. Amanda Dubrés nickte verstehend.
"Aber da musst du dich doch nicht so schämen? Das ist doch wundervoll! Was macht er, wo lebt er, wie sind seine Verhältnisse und welchen Stand hat seine Familie?" Amandas Fragen kamen wie aus der Pistole geschossen und überforderten Miriam sofort. Sie blinzelte. Keine einzige Frage konnte sie zufriedenstellend beantworten. Sie begriff, dass sie sich noch nie über diese Dinge Gedanken gemacht hatte.
"Ich.. ich glaube, er ist ziemlich vermögend, Madame. Aber so was frage ich doch nicht nach!" versuchte sie auszuweichen, während ihre Wangen ein Signalrot annahmen. Amanda lachte und fächelte sich Luft zu. Dieses Thema gefiel ihr ausnehmend gut.
"Natürlich nicht. Da sind ganz andere Dinge wichtig, nicht wahr? Hat er denn noch nie von sich erzählt?" Miriam schaute auf ihre Finger. Wenn sie wüsste, was er ihr alles erzählt hatte! Aber nichts davon konnte sie berichten, ohne ihn zu verraten.
"Seine Familie kommt aus Russland. Er erzählte einmal von einem großen Gut seiner Familie. Vielleicht sollte ich noch einmal nachfragen." erwiderte sie konzentriert, um ja keine Fehler zu machen. Amanda genügten die Auskünfte bereits.
"Mach das. Und wieso schaust du immer hinaus? Bist du heimlich mit ihm verabredet? Wartet er schon da draußen?" Sie linste wieder durch die Fenster, konnte aber noch immer nichts erkennen. Miriam schüttelte heftig den Kopf.
"Nein! Ich meine, ich bin nicht verabredet. Und ich wüsste nicht, warum er im Garten stehen sollte." stammelte sie unsicher. Madame kicherte und schlug Miriam mit dem Fächer neckisch auf die Finger.
"Nun, dann solltest du jetzt zu Bett gehen, junge Dame! Letzte Nacht hast du eindeutig zu wenig geschlafen und junge Menschen brauchen ihren Schlaf! Komm mir nicht wieder mit Augenringen herunter! Und dann stellst du ihn mir vor, verstanden? Ich möchte den jungen Mann zu gerne kennenlernen und es gehört sich auch so!" befahl sie schmunzelnd. Ächzend quälte sie sich aus dem Sessel hoch, nicht ahnend, dass sie Miriam mit diesem Befehl einen Gefallen tat.
Nicht umsonst hatte sie das Fenster in ihrem Zimmer einen Spalt offen gelassen und ihr Herz klopfte heftig, als sie beim Hinaufgehen überlegte, ob er vielleicht schon in ihrem Zimmer auf sie wartete.

1 Kommentar:

  1. "Meine Frau ist müde..." Muahaha.. :D Da muss ich irgendwie an Titanic denken. "Meine Verlobte nimmt das Lamm. Du magst doch Lamm, nicht wahr, Liebes?" - Aber so war das halt.

    Und nun hat Madame sie also ertappt. Mich wundert ja fast, dass sie noch nicht bemerkt hat, was Miriam letzte Nacht den Schlaf geraubt hat. Aber so aufmerksam scheint sie dann doch nicht mehr zu sein. Aber jetzt hat sie getroffen. Wenn sie nur wüsste, das Sergej wohl nicht nur da draußen steht, sondern auch noch plant unbemerkt herein zu kommen.

    Und nun? Sergej soll also präsentiert werden? Ehrlich gesagt: Warum eigentlich nicht? Er ist ein zivilisierter und kultivierter Mann, der, von seiner Tollpatschigkeit mal abgesehen, sicherlich in der Lage ist, in der feinen Gesellschaft zu bestehen.

    Und ein paar Dokumente zu seiner Vergangenheit, lassen sich sicher beibringen. Russland war auch damals schon ein 'wildes' Land. Niemand wird überprüfen können, ob er nun wirklich einer Adelsfamilie angehört oder nicht. Und der Onkel ist ja mit der Vormundschaft nicht wirklich glücklich. Wenn sich da ein aussichtsreicher vermögender Kandidat vorstellt? Warum sollte der nicht gleich die Zusage bekommen. Dann ist der Balg gleich unter der Haube. Alt genug ist er ja.

    Aber irgendetwas sagt mir, dass die eigentliche Entscheidung vermutlich sogar Madame überlassen wird.

    Fragt sich nur, was Sergej davon hält, die kleine Miriam ganz offiziell und nach den Regeln der Gesellschaft zu freien.

    Liebe Grüße
    Joe

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