Dienstag, 14. Dezember 2010

Noctambule: Peinliche Offenbarung

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

Vor dem Haus stand eine hübsche kleine, einspännige Kalesche in der modernsten Ausführung. Aus der großen Reisekutsche waren bequeme kleine Damenkutschen geworden, die für Tagesausflüge angenehmen Komfort boten. Und selbstverständlich verfügt die Tochter eines Comte über eines dieser Modelle. Und ebenso selbstverständlich prangte das Wappen des Comte de Moureaux auf den Türen.
Als Anya das Haus verließ, sprang der junge Kutscher in seiner eleganten Livrée geschmeidig herunter und öffnete einladend mit einer kleinen Verbeugung die Tür. Miriam winkte fröhlich und half Anya beim Hineinklettern.

"Wie schön, dass es geklappt hat!" rief sie freudig aus und strahlte Anya aus ihren braunen Augen fröhlich an. "Wir werden uns einen wundervollen Vormittag machen, oder? Und ein Eis müssen wir auch unbedingt essen bei diesem herrlichen Wetter." Miriam plapperte munter drauf los, während Anya mit einem scheuen Lächeln ein wenig unbehaglich neben Miriam ihre Röcke ordnete.
Verstohlen verglich sie ihr Kleid mit Miriams und stellte erleichtert fest, dass die Qualität der Stoffe sehr ähnlich war. Aber im Gegensatz zu Anya kümmerte sich Miriam keinen Deut um Falten oder schmutzige Gehwege. Dafür hatte sie schließlich ihr Personal. Und da Anya genau aus diesen Personalreihen stammte und wusste wie schwer es war, kostbare Stoffe von banalem Schmutz zu reinigen oder hartnäckige Falten zu glätten achtete sie besonders darauf, ihr schönes Kleid zu schonen.
Miriam merkte recht schnell, dass Anya zwar höflich und freundlich aber recht einsilbig antwortete. Sie musterte Anya ungeniert und griff nach ihrer Hand.
"Ich schwatze wieder mal einfach drauf los. Papa würde mich jetzt wieder ausschimpfen!" lachte sie. "Erzähl doch mal? Wo kommst du überhaupt her? Und warum seid ihr hierher gezogen? Und erzähl mir alles über deine Familie.. und natürlich über den schönen Monsieur Sartous… er ist so geheimnisvoll." kicherte sie. Anya hielt kurz die Luft an. Sie hatte diese Neugier befürchtet. Und es war unerträglich, die fröhliche Miriam anzulügen.
Aber was sollte sie schon großartig von sich berichten? Die Wahrheit würde Miriam sicher brüskieren. Aber schon jetzt, als die Kutsche sich gemächlich durch die Straßen Richtung Hafenpromenade schlängelte, hatte sie den Eindruck, neben Miriam aufzufallen und neugierig betrachtet zu werden. Man würde sich fragen, wer die junge Frau neben der Comtesse sein mochte. Anya seufzte und sah Miriam leicht bedrückt an.
"Ich komme aus einem kleinen Pariser Vorort." murmelte sie schüchtern. Miriams Augen wurden kurz größer.
"Oooh! Gar nicht aus Paris selbst? Dann bist du ja ein richtiges Landei!" sie kicherte erneut und drückte Anyas Hand. "Das erklärt, warum du so schüchtern bist!" Anya konnte das nicht leugnen. Miriam war höchstens 17 Jahre alt, ihre Augen strahlten freudige Neugier aus und ihr Leben war bisher in geregelten, behüteten und verwöhnenden Bahnen verlaufen. Für Miriam standen schon nach dem Geburtsrecht alle Türen offen, während Anya noch staunend davor stand und sich jeden Schritt zweimal überlegte. Sie fühlte sich neben der verwöhnten Miriam minderwertig.
"Ach, mach dir nix draus. Ich zeig dir einfach alles, ja? Oh, wir müssen natürlich die Schneiderin besuchen! Und den Schuster.. oh, der macht wundervolle Schuhe! Und dann musst du mich besuchen! Am Besten gleich morgen, denn da kommt meine Hutmacherin. Ach, ich bin so froh, dass ich dich kennengelernt habe! Ich kenne hier kaum jemanden, weißt du? Ich bin erst vor zwei Wochen aus London zurückgekehrt." Anya blinzelte bei Miriams Wortschwall. Aber sie war froh, dass Miriam von sich zu erzählen begann. Das lenkte von Anyas Geschichte ab und gab ihr Zeit.
Aber Miriam war viel zu neugierig. Während die Kutsche gemächlich durch den morgendlichen Fuhrverkehr rollte, drehte sich Miriam ihrer neuen Freundin zu.
"Erzähl doch endlich mal. Wieso wohnst du bei Monsieur Sartous? Bist du verwandt mit ihm?" Anyas Wangen röteten sich leicht.
"Nein.. wir sind nicht verwandt." Unwillkürlich befühlte Anya mit der Zunge ihre Zähne. Miriam riss die Augen auf.
"Nicht verwandt? Aber.. oh.. ich meine.. dann lebt deine Mutter oder deine Tante sicher auch hier?" Da Anya den Kopf schüttelte, wurden Miriams Augen noch größer. Schockiert hob sie ihre Hand an die Wange.

"Sag mir jetzt nicht, dass du alleine bei ihm wohnst?" wisperte sie mit einem dezenten Seitenblick zum Kutscher. Sie war sicher, dass der bereits die Ohren spitzte. Anya schluckte und betrachtete ihre Fingerspitzen. Sollte sie jetzt wirklich eine Lügengeschichte auftischen?
Das folgende Schweigen war für Anya bedrückend. Sie rechnete damit, dass Miriam den Kutscher anweisen würde, umzukehren und Anya wieder nach Hause zu bringen. Schlimmstenfalls würde Miriam sie jetzt einfach hier hinauswerfen und zu Fuß nach Hause laufen lassen.
Aber nichts von beidem geschah. Die Kutsche hielt an der Promenade auf einem großen Platz, wo bereits mehrere wartende Kutschen auf ihre Herrschaften warteten. Miriam und Anya wurde von dem Kutscher beim Aussteigen geholfen und Anya konnte den Mann noch so intensiv anstarren, seiner Miene war nicht das Geringste anzusehen. Ob er wirklich nichts gehört hatte?

Miriam spannte ihr Schirmchen gegen die Morgensonne auf und spazierte einige Meter schweigend vor sich hin. Anya tat es ihr gleich, obwohl sie früher ihr Gesicht genussvoll in die Sonne gehalten hatte. Aber diese Zeiten schienen vorbei zu sein. Vornehme Blässe war Mode. Man puderte sich ja sogar die Haare, weil weiß so edel und würdevoll wirkte. Kurz kam ihr in den Sinn, dass Armand mit seiner natürlichen Blässe absolut modeführend sein musste.
"Ich finde das soooo aufregend!" platzte Miriam schließlich heraus, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass wirklich keine lauschenden Ohren in der Nähe waren. Anya blinzelte verwirrt. Aber Miriam funkelte sie vergnügt mit rosigen Wangen an.
"Du bist seine Geliebte, ja? Ohhh… das ist spannend! Erzähl doch mal!"
Anya war mehr als irritiert. Sprachlos starrte sie das Mädchen neben ihr an, die schon fast zappelte vor Neugier auf anrüchige Geschichten. Ein fassungsloses Lachen entfuhr ihr.
"Das… geht doch nicht." stammelte sie. Unwillkürlich suchte sie an ihrem Gaumen nach dem Geschmack von Armands Sperma. Aber Miriam ließ sich nicht beirren.
"Sag schon! Ist er sehr romantisch? Oder spendabel? Verwöhnt er dich? So, wie er mit dir umging, hatte ich schon den Eindruck, dass er dich auf Händen trägt. Hach, wie romantisch! Oh, ich beneide dich so!" Anya blinzelte noch immer, aber Miriam war in Fahrt.

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