Freitag, 31. Dezember 2010

Noctambule: Ein Häufchen Elend

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

Armand stand wie vom Donner gerührt in dem leeren Salon. Was hatte der Mann da eben gesagt? Frauen konnten nicht so weit denken wie Männer? Man sollte eine Dummheit der Frau als gegeben hinnehmen und nicht zuviel erwarten? Diese Ansicht hörte er in seiner wirklich langen Lebenszeit nicht zum ersten Mal, aber er hatte diese Meinung nie vertreten. Was aber, wenn Maurice Recht damit hatte? Nachdenklich nahm er seine Wanderung wieder auf.


Anya war sehr jung. Sie hatte keinerlei Lebenserfahrung und er hatte sie aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, welche Veränderungen er ihr auf einen Schlag zugemutet hatte. Er hielt sie keineswegs für dumm. Unerfahren traf es wesentlich besser. Armands Schritte stoppten erneut und er starrte in den kalten Kamin.

Er hatte ihr selbst gesagt, dass es ihm gleichgültig sei, welche Geschichte sie der Gesellschaft auftischte. Ihm war klar, dass Anya zu einer Notlüge gezwungen war, wenn sie sich da draußen wenigstens halbwegs anerkannt bewegen wollte. Er konnte ihr zwar vorwerfen, zu lange ihm gegenüber geschwiegen zu haben, aber wenn er sich etwas tiefer in ihre Lage versetzte, konnte er plötzlich die Verzweiflung und Trauer in ihrem Gesicht verstehen, die ihn so verwirrt hatte.

Eine heiße Welle des schlechten Gewissens überflutete Armand. Nun verstand er ihre Reaktion endlich. Jede andere Frau hätte geweint, geschrieen oder ihm etwas an den Kopf geworfen. In Anyas Situation wäre jede andere wohl auf allen Vieren zu ihm gekrochen und hätte stammelnd versucht, ihre Unschuld zu versichern.
Aber er hatte nicht irgendeine andere auserwählt. Anyas Stolz hatte sie von alldem abgehalten. Sie erwartete von ihm, dass er ihren guten Willen erkannte und war bereit gewesen, jede Strafe hinzunehmen. Was für ein Idiot er war. Und er hatte sie auch noch alleine in ihrem Elend gelassen!
Mit hastigen Schritten nahm er die Stufen hinauf, froh dass Maurice seine unnatürliche Geschwindigkeit nicht mehr beobachten konnte. Sekunden später lag seine Hand auf der Türklinke. Lauschend senkte er den Kopf aber hinter der Tür war es still.

Anya versuchte sich möglichst nicht zu bewegen. Aber selbst das Schluchzen, das sie schüttelte, bewegte den Haken in ihrem Darm auf quälende Weise. Mühsam versuchte sie, sich zu beherrschen und ihre alte Fassung zurück zu gewinnen. Sie versuchte ihre Atmung zu kontrollieren und zwang sich zu tiefen Atemzügen. Das half nach einiger Zeit.

Armand hatte schweigend den Raum verlassen. Sie wusste nicht, wann er zurückkommen würde. Aber die letzten beiden Male war die Zeit im Käfig qualvoll lang geworden. Ihre Haut brannte schrecklich an den Stellen, wo die Peitsche sie getroffen hatte. Einige Striemen waren schlimmer als andere, die bereits zu verblassen begannen. Armand hatte wirklich sehr kontrolliert die Peitsche geführt.
Und er hatte ihr das Halsband nicht abgenommen, wie sie befürchtet hatte. Das bedeutete doch, dass sie nicht wieder von vorne anfangen musste. So hoffte sie jedenfalls innig. Oder würde er sie sogar verstoßen?
Nein, das würde er nicht tun. Nicht wegen so einer Kleinigkeit. Es war doch eigentlich nur eine Kleinigkeit? Sie hatte einen dummen Fehler begangen und ein wichtiges Detail übersehen. Hätte sie mit Armand früher darüber gesprochen, wäre es zu dem zweiten, wesentlich folgeschwererem Fehler gar nicht erst gekommen, das sah sie nun auch. Aber reichten diese Fehler tatsächlich für Armands heftige Reaktion? Und wenn nicht, was hatte sie getan, um ihn so wütend zu machen?
Als sie das kurze Knarren der Tür hörte, hielt sie die Luft an und richtete ihre ganzen Sinne auf Armand, dessen hohe Gestalt sie bei einem kurzen Blinzeln erkannt hatte. Mit brennenden Augen verfolgte sie seinen Weg zu ihrem Käfig, bis sie kurz sein Gesicht und besonders seine Augen erkennen konnte.
Grenzenlose Erleichterung überflutete sie, als sie die fast liebevolle Besorgnis in seinem Gesicht erkannte und es brachte sie wieder an den Rand des Weinens. Schnell senkte sie den Blick und biss sich fest auf die Lippen, um ihre Selbstbeherrschung nicht zu verlieren.

Als Armand ihr verweintes Gesicht sah, hätte er gerne das Gitter des Käfigs einfach herausgerissen, um schneller bei ihr zu sein. Wie ein kleines Häufchen Elend lag sie vor ihm und versteckte nun ihr Gesicht vor ihm. Er öffnete nicht die Tür. Mit zwei kundigen Handgriffen löste er zwei Metallstifte an den unteren Seiten des Gitters und klappte die komplette Käfigwand einfach hoch.
Er war stolz auf diese kleine Konstruktion, die er sich ausgedacht hatte. Sie diente der Sicherheit, falls er schnell handeln musste. Und nun wollte er schnell handeln.
Sie zuckte nicht zusammen, als seine große Hand sanft über ihre Seite strich. Mit sanften Griffen löste er ihren Zopf. Dann entfernte er behutsam den Haken aus ihrem Po, was sie zu einem tiefen Stöhnen brachte. Achtlos ließ er den Haken im Käfig liegen und schob seine Arme unter ihren zierlichen Körper.
Als er sie heraushob, trafen sich ihre Blicke. Scheu und fragend musterte sie ihn und löste ein kurzes Lächeln bei ihm aus. Sanft drückte er sie an sich, während er sie quer durch den Raum in sein Zimmer trug und vor seinem Bett stehen blieb. Und sie schmiegte sich mit einem erleichterten Beben an ihn.

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