Donnerstag, 28. Juni 2012

Noctambule III - Rückblick: Die letzte Hürde

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III


Sittard 1585

Um Agnes nicht in der Nacht alleine zu lassen, ging Armand alleine vor und ließ Brid als Schutz bei der zarten Rothaarigen. Agnes hatte einige Schwierigkeiten, den Weg zum Haus richtig zu beschreiben. Besonders rechts und links verwechselte sie immer wieder, was dadurch auffiel, dass sie mit der Hand nach rechts gestikulierte, jedoch von links sprach. Armand war quasi genau so schlau wie vor der Beschreibung und ließ es einfach darauf ankommen.



Er war ausgeruht, erholt und hatte guten Sex genossen. Wie lange er brauchen würde, war ihm völlig egal und wenn Agnes mit Brid vor ihm ankommen würde, wäre das auch in Ordnung.
Sittard lag ruhig und schläfrig vor ihm. Es war ein malerisches Städtchen mit liebevoll gestalteten Gebäuden, Plätzen und Parks. Hier war deutlich der Stand der Bürger zu erkennen, denn in der Innenstadt waren die Gebäude wesentlich aufwendiger und gepflegter als in den Randgebieten. Doch selbst hier schien man großen Wert auf Instandhaltung zu legen. Sogar die kleinsten Häuschen hatten Farbe aufgetragen, bunte Fensterläden und kleine, hübsche Gärten vor der Tür.
Sittard lebte offensichtlich nicht nur gut durch die Bauern und Torfstecher, sondern auch durch den Handel, denn es lag auf einer der Hauptrouten zwischen dem deutschen Reich und der Westküste. Allein letzteres war für Armand und Brid ein wichtiger Faktor. Reisende, die plötzlich verschwanden, fielen nicht auf. Der eine oder andere Geschäftspartner würde zwar jemanden vermissen und sich ärgern, doch suchen würde man wohl kaum.


Mit Armands hohem Tempo erreichte er die Stadt in nur einem Viertel der Zeit, die Agnes benötigt hatte, zumal sie gemütlich gegangen war. Sie hatte sich Zeit lassen können, Armand jedoch hoffte darauf, nicht nur das Haus gut zu finden, sondern auch noch den Sohn anzutreffen. Sollte das nicht klappen, müssten er und Brid wohl notfalls einen Tag länger irgendwo unterkommen. In seiner aktuellen Laune war ihm das Eine genauso recht wie das Andere.
Agnes hatte das Haus selbst gut beschrieben und offensichtlich hatte Armand eine der vielen von Agnes beschriebenen Abzweigungen nicht genommen, denn er stand plötzlich vor genau dem richtigen Haus, ohne noch zig mal abgebogen zu sein. Ein kleines Grinsen zog über sein markantes Gesicht. Agnes hatte gut gewählt. Selbst in der Dunkelheit wirkte das Häuschen gemütlich und die Lage idyllisch. Jetzt war ein Fenster von schwachem Kerzenschein erleuchtet. Armand nahm an, dass der Sohn noch bei der Kranken saß. Zumindest hoffte er das.


Nathan strich sacht mit dem Daumen über die faltige Hand seiner Mutter, die schwach in seiner lag. Er lächelte sie traurig an und beugte sich über sie, um ihr einen Kuss auf die kühle Stirn zu geben.
"Alles ist gut, mein Junge." krächzte die alte Frau und versuchte zu Lächeln, doch es erreichte nur ihre Augen. Nathan schluckte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Nichts war gut. Er wollte einfach nicht, dass sie gehen würde.
"Ach, Maman." seufzte er hilflos. Die kleine Hand bebte und versuchte, ihn zu tätscheln. Ein Hustenanfall schüttelte sie und sie rang mit pfeifenden Lungen nach Luft. Hilflos strich ihr Sohn über ihre dünnen, eisgrauen Haare.
"Was sagst du zu Lucies Idee mit den Mietern?" keuchte sie schließlich und ließ zu, dass er ihren Mund mit einem Tuch trocken tupfte. Nathan lächelte schief und zuckte mit den Schultern.
"Wir würden uns beide wohler fühlen, wenn du Tag und Nacht jemanden hast, der für dich sorgt, Maman." antwortete er ruhig. "Aber ich will sie mir erst ansehen. Lucie war von der jungen Dienerin sehr angetan, aber das heißt ja nichts. Ich lasse hier keinen rein, dem ich nicht vertrauen kann. Lieber ziehen wir wieder hier ein." Die alte Frau versuchte zu lachen, aber es klang eher wie der Ruf einer Krähe. Nathan hatte Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen.
"Papperlapp! Ihr bekommt ein Kind und braucht Platz! Sorg dich nicht um deine alte Mutter. Die ist nur unnütze Last." brachte sie endlich hervor. In ihrer Stimme schwebte Bitterkeit mit. Nathan schüttelte energisch den Kopf.
"Ich will so etwas nie wieder hören, Maman!" befahl er streng. Das energische Klopfen an der Tür schreckte ihn hoch. Er strich beruhigend über die Schulter seiner Mutter und erhob sich, um zur Tür zu gehen. Verblüfft schaute er höher und höher, bis er in das blasse Gesicht Armands sehen konnte. Noch nie hatte er einen solchen Hünen gesehen und noch nie so eine seltsame Ausstrahlung gespürt. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Der Riese wirkte nicht bedrohlich, zumal er einige Schritte zurück gegangen war, nachdem er geklopft hatte.
Nun verbeugte er sich höflich. In der Dunkelheit erkannte Nathan die seltsame Blässe und schwarze Haare. Die Augen wirkten tiefschwarz, was er ebenfalls noch nie gesehen hatte.
"Mein Name ist Armand Sartous. Meine Verlobte und Agnes sind bald hier, Agnes hat mit den Weg beschrieben, damit ich schon einmal vor gehen und mit Euch alles besprechen kann." stellte sich der Fremde vor. Nathan bemerkte, dass er den Atem angehalten hatte und holte erleichtert tief Luft.
"Ja! Meine Frau hat mir berichtet! Tretet ein, bitte!" Nathan machte Platz und sah zu, wie Armand den Kopf tief einzog, um durch die schmale Tür in das Haus zu gelangen. Nachdem er sich vorgestellt hatte, schaute sich Nathan ratlos um und deutete dann in das Wohnzimmer, wo Armand sich setzen konnte. Dabei musste Armand die offene Tür des Krankenzimmers passieren und wurde von der Stimme der alten Frau gebremst.
"Was für ein schöner, großer Mann."
Armand hielt inne und wandte den Kopf. Seine schwarzen Augen senkten sich lächelnd in die hellblauen alten Augen und er machte einen Diener, ohne das Zimmer zu betreten.
"Ihr macht mich verlegen, Madame." raunte er und sah ein zahnloses Lächeln. Nathan räusperte sich kurz.
"Wie es scheint, ist meine Mutter bereits einverstanden, Euch aufzunehmen." meinte er unsicher. Ihm missfiel der Gedanke, seine Mutter wildfremden Menschen auszusetzen ohne auf sie aufpassen zu können. Wie sollte er nur sicher gehen, dass man sie gut pflegte und nicht vernachlässigte? Er musste den ganzen Tag arbeiten und konnte sich nur zweimal in der Woche früher von der Arbeit stehlen, um sie zu besuchen. Und Lucie würde bald niederkommen. Der weite Weg war nun zu beschwerlich für sie. Nathan hasste diese Notsituation und bereute zum hundertsten Mal am Tag, damals dem Umzug in das größere Haus seiner Schwiegereltern zugestimmt zu haben.
"Ich kann Euch meine Dankbarkeit gar nicht richtig ausdrücken. Nicht nur meine Sprachkenntnisse fehlen, meine Dankbarkeit ist zu groß." Armand faltete sich in den alten Sessel und schmunzelte leicht. Er spürte deutlich die Unsicherheit des Mannes. Seine Unruhe war sogar zu riechen. Nathan winkte ab und setzte sich ihm gegenüber.
"Ich bin heute noch verliebt in meine Frau. Nicht auszudenken, was ich getan hätte, wenn man sie mir hätte wegnehmen wollen." überlegte Nathan laut und musterte Armand unruhig. Armand stimmte mit einem Nicken zu.
"Ich bin nicht in der Krankenpflege bewandert. Doch Agnes ist ein liebevolles Mädchen. Sie sagte, sie hat Eure Mutter schon kennengelernt." Nathan holte tief Luft. Seine Mutter hatte es ihm erzählt. Doch konnte er sich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden, drei Fremde hier zu haben, auch wenn seine Mutter das Mädchen zu mögen schien.
"Mit Verlaub, würdet Ihr mir erklären, wovon Ihr leben wollt?" fragte er vorsichtig. Armand beugte freundlich den Kopf.
"Ich bin Sohn eines Landgutverwalters. Ich werde versuchen, hier in Sittard einen ähnlichen Beruf zu finden. Arbeit gibt es zu Hauf und ich bin mir nicht zu schade, eine Axt zu schwingen, wenn es sein muss." Nathan war davon überzeugt, dass ein Mann wie Armand hier etwas finden würde. Die Antwort gefiel ihm.
"Ich hatte schon überlegt, selbst wieder zurückzuziehen und hier zu bleiben, bis meine Mutter… nun ja…" er stockte. Der Gedanke an das baldige Ende schnürte ihm die Kehle zu. Armand schwieg und ließ ihm Zeit.
"Aber meine Frau kommt bald nieder und ihr alter Vater ist verwitwet. Sie wäre allein mit ihm. Ich weiß nicht, was ich tun soll." Es war Nathan anzusehen, wie schwer es ihm fiel, einem Fremden gegenüber sein Problem zu offenbaren. Armand blieb ruhig. Seine schwarzen Augen suchten Nathans Blick und ließen ihn nicht mehr los. Stille breitete sich zwischen den beiden Männern aus. Nathan starrte Armand gebannt an, nicht in der Lage, seinen Blick loszureißen. Doch je länger er ihn ansah, desto ruhiger wurde er. Irgendwie wuchs in ihm plötzlich die Überzeugung, das Richtige zu tun. Er begann, diesem Fremden zu vertrauen und ein Glücksgefühl löste den Knoten im Magen auf. Endlich war seine Mutter in guten Händen. Sie würde in Frieden sterben können, ohne vernachlässigt und hungernd vor sich hin zu siechen.
Nathan begann zu lächeln. Plötzlich wollte er nur noch nach Hause und seine Frau in den Arm schließen. Alles war gut. Maman hatte tatsächlich Recht. Wie immer.

1 Kommentar:

  1. Wenn Nathan wüsste, wen er da ins Haus seiner kranken Mutter lässt, würde er das womöglich alles sehr viel kritischer sehen.

    Und doch denke ich, dass die alte Dame bei niemandem sicherer wäre, als den dreien, die nun dort einziehen. Die Vampire werden wohl wenig Lust auf eine kranke alte Dame haben und auch Nathan und seine Frau müssten sich nicht bedroht fühlen, solange es Reisende gibt, die niemand vermisst.

    Nun haben die drei also ein bequemes Quartier. Das hat die Kleine wirklich gut arrangiert. Jetzt bin ich ja mal auf das Schlafarrangement der drei gespannt. Ob sie höflich genug sind, zu warten, bis Agnes schläft? Und was ist mit der alten Dame?

    LG
    Joe

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