Donnerstag, 7. Juni 2012

Noctambule III: Die erste Wehe

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Die rohen, unbehauenen Wände des Erdstalls strömten eine feuchte Kühle aus, die beide Frauen leicht frösteln ließ. Miriam hatte die Kerze an sich genommen und war voraus gegangen, damit Anya sich notfalls mit beiden Händen anstützen konnte. Schließlich war sie mit ihrem runden Bauch nicht mehr so beweglich wie früher.
Die erste Strecke war gar nicht besonders mühsam gewesen. Der Gang war breit genug für eine Person und hatte eine kathedralenförmige Decke, die es ihnen ermöglichte, aufrecht zu stehen und höchstens einmal die Köpfe ein wenig einzuziehen.


Der Boden war ebenso glatt und fest wie die Wände. Es bestand keine Gefahr, auszurutschen, denn obwohl die Luft eine gewisse Feuchtigkeit hatte, waren die Wände und auch der Boden trocken. Aber nach einiger Zeit des stummen, tastenden Gehens verlangte die tiefe Dunkelheit außerhalb des Kerzenscheins ihren Tribut.
Die Enge und Stille drückten auf die Gemüter. Miriam hatte das Gefühl einer Bewusstseinserweiterung. Die Dimensionen schienen sich zu verändern, mal wirkte der Gang breiter, dann wieder schmaler. Ein leichtes Schwindelgefühl bemächtigte sich ihrer und wären nicht für Beide ohnehin schon genug Gründe gewesen, sich immer wieder einmal an einer Wand abzustützen, hätte Anya sicherlich die leichte Schwäche bemerkt.

Doch Anya erging es nicht viel anders. Sie empfand das langsame Gehen nicht als Anstrengung, sondern vielmehr die Stille, die selbst die Schritte von Miriam zu schlucken schien. Sie konnte nur die schlanken Umrisse Miriams erkennen, die das Kerzenlicht mit ihrem Körper abschirmte und nicht mehr als den Lichtschimmer, der sich wie ein Kreis an den Wänden und der Decke abzeichnete.
"Zieh den Kopf ein." warnte Miriam nun und bückte sich tiefer. Mit vorsichtigen Schritten stieg sie durch eine Art engen Durchgang, als wäre ab hier der Gang viel später einmal weitergegraben worden. Doch noch während Anya sich hindurchzwängte, hörte sie Miriams überraschten Ausruf. Kurz hinter dem Durchbruch stand Miriam seitlich und schien die Wand anzustarren, doch als Anya sich neben sie stellte, entdeckte sie den Grund für den überraschten Laut. Vor ihnen öffnete sich ein kleiner Raum, nicht höher als der Gang, aber wesentlich breiter. An beiden Seiten waren Sitzbänke aus lehmiger Erde geformt worden, die direkt in die Wände übergingen.
"Wozu das wohl gut war?" fragte Miriam leise. Anya zuckte die Schultern und drängte sich in den Raum.
"Das ist mir egal. Sitzen!" stöhnte sie und sank auf eine der Bänke. Miriam lächelte und setzte sich ihr gegenüber, die Kerze zwischen sich und ihre Freundin haltend.
"Ist das sehr anstrengend für dich?" fragte sie mitfühlend. Anya schüttelte den Kopf und setzte ein beruhigendes aber kurzes Lächeln auf.
"Nein, aber ich wurde gerade gegen die Lunge getreten." ächzte sie und hielt die Hand unter die kurzen Rippen. Miriam musste kurz lachen, aber eigentlich war ihre Stimmung eher trübselig. Die Beiden schwiegen einen kurzen Moment, dann hielt Miriam es doch nicht mehr aus.
"Ich finde unsere beiden Männer sehr mutig." meinte sie nachdenklich. Anyas Fauchen kam so überraschend, dass sie zusammenzuckte und beinahe die wertvolle Kerze hätte fallen lassen. Erschrocken erkannte sie das Funkeln in Anyas Augen und sah den Zorn darin.
"Mutig? Dass ich nicht lache!" sie spie die Worte fast aus. "Wir könnten sie hier drinnen womöglich gut brauchen. Aber nein, die Herren müssen ja die Helden spielen und sich für uns opfern! Dabei hatten sie eine gute Chance hier mit uns heil herauszukommen und mein Kind hätte seinen Vater!" Während sie sprach wurde Miriams Miene weich und als sie hörte, wie stark die Stimme ihrer Freundin bebte, legte sie ihre freie Hand auf Anyas Bein. Nun verstand sie ihre Freundin besser.
"Sei nicht wütend. Wir kommen schon alleine zurecht und sie sind so stark, sie schaffen es schon irgendwie, zu uns zu kommen. Sergej hat es versprochen." versuchte sie nun zu trösten. Anya ließ die Hand auf ihrem Bein liegen, schüttelte jedoch verbissen den Kopf.
"Armand hat es nicht versprochen. Er weiß genau, dass da draußen eine Übermacht wartet. Und was ist, wenn wir hier eingeschlossen sind? Wenn es gar keinen Ausgang mehr gibt?" Miriam zog die Stirn kraus, doch ihre Zuversicht war unerschütterlich.
"Dann buddeln wir uns eben frei! Jetzt lass deinen Zorn und komm, wir müssen weiter." erklärte sie energisch und stand bereits wieder auf. Anya seufzte und quälte sich wieder auf die Beine. Ab hier wurde der Gang niedriger und sie mussten ständig gebeugt laufen. Auch war der Boden unebener, sodass sie nur langsamer voran kamen.
"Ich glaube, es geht ganz leicht bergauf." hörte Anya Miriams hoffnungsvolle Stimme. Auch sie gewann immer stärker den Eindruck einer Steigung. Aber irgendwie begann sie zu schwächeln, obwohl sie noch gar nicht das Gefühl hatte, sich besonders angestrengt zu haben.
Wie aus dem Nichts schoss der Schmerz in ihren Unterleib und fraß sich zur Wirbelsäule. Mit einem Schlag fehlte ihr die Kraft zu stehen und sie sackte stöhnend auf die Knie. Das heftige Ziehen veränderte sich zu einem Druckgefühl an der Wirbelsäule und es war, als würde sich ein eiserner Ring um ihren Brustkorb schnüren. Wie aus der Ferne hörte sie Miriams besorgte Stimme und spürte die Hand, die an ihrer Schulter rüttelte.
"Anya? Um Gottes Willen, was ist denn?" Anya hatte keine Zeit zum Antworten. Hechelnd versuchte sie, den Schmerz weg zu atmen und blieb auf Händen und Knien am Boden, den Kopf tief gesenkt. Miriam wagte nicht, die Kerze aus der Hand zu legen, sank aber ebenfalls auf die Knie und hielt die Schulter von Anya, als könne sie Trost spenden. Tatsächlich beruhigte sich Anya nach einigen Minuten wieder und sank auf die Fersen zurück, die Hände an den Unterleib gedrückt. Ihre Augen wirkten unnatürlich groß und angstvoll im Kerzenlicht, als sie Miriam nun ansah.
"Ich wurde vorhin nicht getreten. Ich glaube, das Kind hat sich gedreht, und das nicht zum ersten Mal. Es liegt jetzt richtig. Das war gerade eine Wehe, Miriam." stammelte sie entgeistert.

1 Kommentar:

  1. Ich kann mir gut vorstellen, dass einem so eine Umgebung aufs Gemüt drückt. Das ist sicherlich nicht der geeignete Ort um in gute Stimmung zu kommen.

    Ob Miriam weiß, was eine Wehe ist? Ob sie überhaupt eine Ahnung davon hat, wie eine Geburt abläuft? Hat Anya Ahnung?

    Noch einmal zeigt sich, wie dumm die Idee war, die Mädchen allein loszuschicken. Anya ist nun auf Miriam angewiesen, um in einem Erdloch, wo es keine Decke gibt, nichtmal ein Laken, ihr Kind zu bekommen.

    Oder schaffen die zwei es noch? Die Phase der Wehen kann Stunden dauern. Sie könnten doch hoffen, dass sie weitergehen können, solange der Abstand von Wehe zu Wehe noch groß genug ist.

    Jetzt wird es aber auch wirklich vertrackt! Und die Kerle hocken faul da oben! MAN.. Idioten.

    LG
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.