Donnerstag, 21. Juni 2012

Noctambule III: Der Schimmer des Feuers

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Die beiden Frauen waren in stumpfes Brüten verfallen, während sie darauf warteten, dass es draußen dunkel wurde. Hin und wieder blinzelte Miriam in die Dunkelheit des Ganges, doch sie konnte von hier aus weder das Tageslicht sehen, noch irgendeine andere Veränderung, egal wie oft sie es auch versuchte.


Anya hatte den Kopf auf Miriams Schoß liegen lassen und die Augen geschlossen. Mit dem beginnenden Magenknurren Miriams öffnete sie schuldbewusst die Augen wieder und hob die Hand, um Miriams Arm zu berühren.
"Keiner von uns hat daran gedacht, dir etwas Verpflegung mitzugeben." murmelte sie voller schlechten Gewissens. Miriam blinzelte lächelnd zu ihr hinunter.
"Das macht nichts. So schnell verhungere ich schon nicht. Ich will nur endlich raus aus diesem Loch. Diese ewige Dunkelheit, Stille und Enge macht mich langsam wahnsinnig." antwortete sie leise. Anya nickte, denn ihr erging es nicht anders. Zwar war die Dunkelheit für sie nicht ganz so schlimm, doch die Stille lastete drückend auf ihr, denn sie ließ zu, dass Anyas Gedanken um das Kind kreisten, das sich noch immer nicht bewegt hatte.
Schließlich schob Miriam sanft Anyas Kopf von ihrem Schoß und begann, ihre Beine zu bewegen.
"Sie sind eingeschlafen. Das tut ganz schön weh!" kicherte sie verlegen und versuchte, mit einer Massage die Durchblutung zu verbessern. Anya richtete sich mühsam auf und half ihr.
"Vielleicht schauen wir mal nach, ob wir nicht endlich hinaus können?" schlug sie schließlich vor. Miriam nickte eifrig und schickte sich an, weiter zu krabbeln. Wieder hielt sie den kleinen Stummel der weit herunter gebrannten Kerze vor sich und lauschte auf Anyas Bewegungen hinter sich. Als sie den Luftzug wahrnahm, der die Öffnung des Ganges nach Draußen ankündigte, quietsche sie freudig auf und krabbelte schneller.
"Wir haben es geschafft, Anya! Es ist dunkel!" wisperte sie aufgeregt und wollte schon den Kopf hinausrecken, doch Anyas Hand hielt sie am Knöchel fest.
"Sei vorsichtig und mach keine Geräusche!" warnte sie leise. Miriam zwang sich zur Ruhe. Sie reichte Anya die Kerze nach hinten und schob sich ganz vorsichtig Stück für Stück hinaus. Anya konnte das Rascheln von Zweigen hören und ein kurzes, schmerzhaftes Durchatmen von Miriam.
"Hier sind überall Dornen!" beschwerte sich die junge Freundin raunend. Vorsichtig und mit spitzen Fingern schob sie die Zweige beiseite und stemmte sich weiter hinaus. Schließlich sah Anya nur noch die Beine ihrer Freundin, hörte das Reißen von Stoff an den Dornen, ein kleines "Autsch!" und dann verschwanden die Beine mit einem deutlich hörbaren Plumps. Anya roch nun deutlich die frische Nachtluft, die den Duft von feuchter Erde und Gewitter heran trug. Doch mehr sorgte sie sich um ihre Freundin, die wohl tief gefallen war.
Anya hielt den Atem an und stieß ihn erleichtert wieder aus, als Sekunden später Miriams Stimme zu hören war.
"Komm Anya. Hier geht es einen kleinen Hang herunter, sei vorsichtig. Ich helfe dir!" Die schwangere Frau löschte die Kerze aus, verstaute sie sorgfältig und schob sich vorwärts. Wo Miriam schon Schwierigkeiten hatte, wurde es für Anya eine Qual. Die Dornen verfingen sich in den Haaren und hakten sich in Hemd und Haut fest, egal wie behutsam sie auch war und wie verbissen Miriam versuchte, die Zweige auseinander zu halten.
Schließlich war ihr Oberkörper durch die schlimmsten Zweige hindurch gerutscht und sie ließ sich einfach hinaus fallen. Halb seitlich, halb auf dem Rücken liegend rutschte sie ein kleines Stück über nassen Waldboden und blieb erleichtert liegen. Auf ihrem Gesicht spürte sie die Tropfen von Regen und genau in dem Moment, als sie die Augen öffnete, zuckte ein greller Blitz über den Nachthimmel und blendete sie.
Der sofort nachfolgende Donner war so laut und heftig, dass sie ihn bis auf die Knochen spürte. Sogar der Boden bebte. Mit Miriams Hilfe kam sie auf die Beine und streckte ächzend ihren Rücken, wobei sie die Hände fest ins Kreuz drückte. Die Erleichterung, endlich draußen zu sein und frische Luft atmen zu können, stehen zu dürfen und offensichtlich gut geschützt herausgekommen zu sein, brachte beide Frauen in einen Freudentaumel. Leise lachend fielen sie sich kurz in die Arme und drückten sich, dann erst sahen sie sich genauer um.
Anyas scharfe Augen sahen deutlich mehr als Miriam, die nur schemenhafte Umrisse erkannte. Die Gewitterwolken hatten den Nachthimmel so stark verdunkelt, dass selbst Anya die Bäume nur undeutlich sehen konnte. Aber so intensiv sie auch schaute und lauschte, sie konnte nichts Gefährliches ausmachen.
"Scheint dichter Wald zu sein. Deswegen werden wir auch nicht so schrecklich nass. Hörst du auch, wie stark es regnet?" flüsterte sie Miriam zu. Diese nickte stumm und schlang die Arme um ihren Körper.
"Ich finde es unheimlich hier." murmelte sie unbehaglich. Anya nickte zustimmend und legte den Kopf in den Nacken, während sie sich langsam um ihre eigene Achse drehte und versuchte, den Himmel zu erkennen. Dann sog sie zischend die Luft ein und ihre Hand umklammerte so überraschend kraftvoll Miriams Oberarm, dass diese das Gesicht verzerrte. Sie folgte Anyas Blick und erstarrte ebenfalls. Wäre es ein wenig heller, hätte jeder Betrachter geschworen, dass sie nun so blass wie ihre blutsaugende Begleiterin war.

Für beide Frauen war die lange Zeit in den dunklen Gängen insofern keine große Hilfe gewesen, dass die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen konnten, denn das Licht der Kerze hatte sie ständig geblendet. Nun hatten sie aber genug Gelegenheit, sich an den dunklen Wald zu gewöhnen. Für beide war es daher nicht schwer, den rötlichen Schimmer am Himmel zu sehen, der die Gewitterwolken von unten beschien und meilenweit zu sehen war.
Stumm starrten beide auf das Schauspiel, das durch die Baumkronen schimmerte. Beide wussten, was dieser Anblick bedeutete. Miriams Hand schob sich verstohlen in Anyas kalte Finger, die nur kurz mit leichtem Druck reagierte. Keine der Frauen konnte wegsehen und beide waren in Gedanken bei den Männern, von denen sie so Hals über Kopf weggeschickt worden waren. Miriams Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ihr Hals fühlte sich an, als würde eine unsichtbare Hand unerbittlich zudrücken.
Konnte es denn wirklich sein, dass Sergej und Armand einer solchen Übermacht ausgeliefert waren, dass sie nicht mehr hatten fliehen können? Waren sie bereits tot? Oder lagen sie verletzt in den Flammen und brauchten Hilfe? Während alles in ihr danach schrie, loszurennen und zu sehen, ob sie nicht doch irgendwie helfen konnte, sagte ihr der Verstand, dass die Zeit niemals reichen würde, um rechtzeitig dort anzukommen, von wo sie gerade mühsam geflohen waren. Zudem hätte Sergej das auch nicht gewollt, das wusste sie genau. Dennoch bereitete es ihr unglaubliche Schmerzen, sich jetzt abzuwenden und alles hinter sich zu lassen. Sie blieb einfach stehen.
Erst als Anya sich stöhnend krümmte, Miriam ihre Hand entzog und sich hechelnd mit beiden Händen an einem Baum abstützte, wurde Miriam aus ihrer Lethargie gerissen. Ihr wurde heiß und kalt, als sie ihre Freundin dabei beobachtete, eine neue und offensichtlich heftige Wehe zu überstehen. Anyas tiefes Stöhnen löste ein schrecklich hilfloses Gefühl in ihr aus. Unsicher streichelte sie den Rücken der Freundin und drängte sich an sie.
"Tief atmen.. du musst tief atmen." riet sie ihr flüsternd, doch war sie felsenfest davon überzeugt, dass Anya viel besser wusste, was nun zu tun war. Zu ihrer Überraschung entspannte sich Anya aber erneut und ließ seufzend die Stirn gegen die raue Baumrinde sinken. Dabei drehte sie den Kopf, um den rötlichen Himmel noch einmal zu betrachten. Miriam konnte das tieftraurige Gesicht ihrer Freundin kaum ertragen und Tränen rollten über ihre Wangen.
"Was sollen wir denn jetzt tun? Woher wissen wir, ob sie noch leben?" Anya schloss langsam die Augen und schüttelte den Kopf. Mühsam richtete sie sich wieder auf.
"Sie werden sich irgendwie zu deinem Landgut durchschlagen. Wir müssen auch dorthin. So schnell wie möglich." murmelte sie und nickte, als müsse sie sich selbst Mut machen.
"Aber wie denn? Schau dich doch an! Du stehst kurz vor einer Geburt! Und das mitten im Wald!" jammerte Miriam nun hilflos. Anya blickte sie missmutig an.
"Danke, dass du mich darauf hinweist. Ich wäre gar nicht darauf gekommen." knurrte sie und kurz blitzten ihre scharfen Reißzähne auf. Miriam verstummte erschreckt, doch Anya schüttelte seufzend den Kopf und nahm ihre Freundin in den Arm.
"Entschuldige. Das war nicht nett." Miriam nickte, doch fühlte sie sich immer noch nicht besser. Verbissen versuchte sie, ihre Gedanken im Zaum zu halten. Erst hatte sie mit einem Schlag ihre gesamte Familie verloren und den größten Teil ihres Besitzes und nun auch noch Sergej.
Immer wieder drängte sich die Frage in den Vordergrund, wofür sie überhaupt noch lebte. Jeder Versuch, diesen Gedanken zu verdrängen und sich selbst Mut zuzusprechen scheiterte und wieder kaute sie auf diesem unschönen Gedanken herum.
Doch Anya riss sie aus dem Trübsal heraus, indem sie plötzlich energisch wurde.
"Komm. Wir müssen uns ein sicheres Versteck suchen." erklärte sie und nahm Miriam an der Hand. Schon nach wenigen Schritten war sie wieder einmal froh, diese unschicklichen Hosen zu tragen, denn mit einem Kleid hätte sie sich noch mehr im Unterholz verfangen als nun mit der engen Hose. Da Anya im Dunkeln besser sehen konnte als sie, ließ sie sich einfach führen.
Während der nächsten Stunde musste Anya noch vier Mal stehen bleiben, um eine Wehe zu ertragen. Mit jedem Mal wurde Miriam panischer, doch Anya schwieg verbissen und setzte ihren Weg nach der Pause einfach fort. Der Regen wurde stärker und das Gewitter hatte sich inzwischen direkt über sie geschoben. Blitz und Donner wechselten sich ab und ließen den Boden beben.
Miriam war noch nie so massiv einem Gewitter ausgesetzt gewesen. Sie hatte gelernt, bei Regen schnellstens zuhause zu sein oder wenigstens in einer trockenen Kutsche. Jetzt fühlte sie sich hilflos den Naturgewalten ausgesetzt und das machte ihr Angst. Bei einem besonders heftigen Donnerschlag schrie sie auf und presste sich an einen Baum, doch Anya zog sie sofort wieder mit.
"Weg vom Baum! Wir brauchen dringend einen Unterschlupf! Komm schon! Und nicht schreien. Vielleicht werden wir verfolgt." Miriam fragte nicht, sondern folgte ihr stumm. Der Gedanke, dass diese Männer vielleicht Sergej und Armand getötet hatten und nun nach ihnen suchten, lähmte sie fast. Stumpf stolperte sie ihrer Freundin hinterher ohne zu bemerken, dass sie sich dem Rand des Waldes bereits näherten.

1 Kommentar:

  1. Argh!! Jetzt geht es am anderen Ende weiter! Mist!

    So ihr zwei hübschen Mädels, die ihr nach der Ochsentour durch Erdloch und Wald wohl nicht mehr so hübsch aussehen. Was macht ihr zwei nun?

    Ich kann so mitfühlen, wie es sein mus, den brennenden Hof zu sehen und die Hilflosigkeit zu spüren.

    Eure Kerle sind am Leben und nicht in der schlechtesten Augangsposition. Seid da mal sicher.

    Und nach was für einem Versteck haltet ihr nun Ausschau? Eine Hütte im Wald? Nehmt bitte nichts, was so auffällig ist, dass Fabrizio und seine Schergen es auch direkt finden.

    Aber wenn ihr jetzt durchhaltet, habt ihr die Möglichkeit, trotz Schwangerschaft und Miriams, vermutlich magerer, Konstiution, richtig Abstand zu den Kerlen aufzubauen. Ihr wart einen ganzen Tag unterwegs, und jetzt eine ganze Nacht, während die Vampire im schlimmsten Fall (für sie) zu Tagesanbruch erst aus dem Erdloch kommen und dann erstmal rast machen müssen.

    Bis dahin haben Armand uns Sergej auch Enrico auf ihre Seite gezogen oder überwältigt :) Und dann gibts das große Wiedersehen.

    LG
    Joe

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