Montag, 3. September 2012

Noctambule III: Wir brauchen Gottes Hilfe!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Yanis hatte eine schreckliche Nacht hinter sich. In Alpträumen war sein toter Bäckermeister zum Leben erwacht, nun als grausiger Vampir, der seine Familie töten wollte. Die junge Unbekannte, die seine Brüder ins Haus geschleppt hatten, entpuppte sich in seinen Träumen ebenfalls zum Monster und kurz bevor sie ihn beißen konnte, wachte er schweißgebadet und zitternd auf.


Der Morgen war schon angebrochen, was bedeutete, dass seine Brüder sicher schon auf dem Feld waren. Er quälte sich aus dem Bett und schaufelte sich kaltes Wasser aus der Waschschüssel in sein Gesicht, um die grässliche Schwere loszuwerden, die ihn bedrückte. Doch ein Blick in den kleinen, halb blinden Spiegel zeigte ihm dunkle Ringe unter eingefallenen Augen. Sein ohnehin schon schmales Gesicht wirkte blass und verhärmt. Fluchend dachte Yanis an die Kommentare seiner Mutter bei seinem Anblick und beschloss, sich einfach wieder ins Bett zu legen.
Doch auch wenn er wenigstens noch einmal einen traumlosen Schlaf genießen konnte, als er erwachte und die Mittagssonne sah, fluchte er erneut, denn nun würde seine Mutter auch noch über seinen faulen Lebenswandel lästern.
Trotzdem schälte er sich aus dem Bett und wusch sich diesmal gründlich. Ihm fiel sein heutiger Plan wieder ein und seine Stimmung stieg. Während er sich anzog, überlegte er, wie er am Besten ungesehen aus dem Haus schlüpfen konnte, denn er hatte keine Lust, diesem fremden Frauenzimmer zu begegnen, die ihn sogar in seinen Träumen heimsuchte. Und mit ihr an einem Tisch zu sitzen beim Essen passte ihm noch weniger.
Das Haus war still, als er die knarzende Treppe hinunterstieg. Catherine hatte offenbar das schöne Frühlingswetter zum Anlass genommen, das ganze Haus durchzulüften. Alle Türen waren weit geöffnet und wurden mit Stühlen daran gehindert, durch den Durchzug wieder zuzufallen, denn auch die Fenster waren offen. Yanis konnte den Duft des sonnigen Frühlingstages riechen, der seine Laune deutlich anhob. Aber er schaffte es nicht, seiner Mutter zu entwischen.
"Yanis! Bist du von den Toten auferstanden?" fragte sie ihn gutgelaunt, als sie mit einer Schüssel Kartoffeln das Haus betrat, die sie wohl gerade aus dem Schuppen geholt hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr die Schüssel abzunehmen und ihr in die Küche zu folgen. Dort saß die Fremde auf der Bank und blickte ihn mit scheuem Lächeln an, das sofort erstarrte, als er sie finster anstarrte und dann den Blick anwandte.
"Ich habe schlecht geschlafen, Mutter. Ich hatte Alpträume." erklärte er und wuchtete die Schüssel auf den Tisch, wo Catherine sich tatenfreudig niederließ und dem Mädchen ein Messer reichte, damit sie ihr beim Schälen half. Nun schaute sie mitfühlend zu ihrem Jüngsten auf.
"Kein Wunder bei dem, was du erleben musstest. Setz dich zu uns. Möchtest du frische Milch? Belle und ich waren heute morgen schon bei Jaques." Yanis liebte frische Milch und hatte als kleiner Junge bei dem benachbarten Milchbauern gerne beim Melken geholfen, um als Belohnung eine Kanne Milch zu erhalten. Doch nun schüttelte er den Kopf.
"Nein. Ich will gleich los. Muss noch einiges erledigen." murrte er mit einem Seitenblick auf die Fremde. Erstaunt fiel ihm auf, wie unbeholfen sie die Kartoffeln schälte, als würde sie dies zum ersten Mal in ihrem Leben tun. Catherine bemerkte seinen Blick. Auch sie hatte die viel zu dicken Schnitte bemerkt.
"Isst du sonst nie Kartoffeln, dass du sie nicht schälen kannst?" giftete Yanis sie misstrauisch an. Das Mädchen wurde dunkelrot, sah aber nicht auf. Seine Mutter dagegen wurde ungehalten und warf ihm einen bösen Blick zu.
"Yanis, wo sind deine Manieren? Weißt du denn, ob man auch vergessen kann, wie man schält? Es ist schwer genug für sie, ärgere sie nicht auch noch damit!" Yanis zuckte mit den Schultern. Er konnte nicht ahnen, dass Catherine ganz andere Gedanken hatte, denn in ihren Augen saß dort eindeutig eine junge Adlige, der bisher das Essen fertig aufgetischt worden war.
Yanis zuckte mit den Schultern und verließ das Haus ohne weitere Worte, obwohl er das tiefe, besorgte Seufzen seiner Mutter deutlich gehört hatte.
Mit schnellen Schritten eilte er seinem Ziel entgegen. Hier lagen die Häuser weit auseinander und der einzige Schweinebauer weit und breit war über eine Stunde Fußmarsch entfernt auf der anderen Seite des Flusses. Er begegnete dem Bauern Marcel weit vor dessen Haus auf einem Feld, auf dem er Zuckerrüben für seine Schweine züchtete und winkte ihm nur grüßend zu. Mit einem kleinen Plausch wollte er sich nicht aufhalten und auch Marcel schien keine besondere Lust darauf zu haben, denn er schlug sofort seine Hacke wieder in den Boden.
Yanis kannte natürlich das Schicksal des jungen Witwers und wunderte sich daher nicht, die alte Bernadette vor dem Haus ganz in Schwarz gekleidet vorzufinden. In Gedanken versunken fegte sie den Weg und murmelte dabei unverständlich vor sich hin. Behutsam ging Yanis auf sie zu. Sein Herz klopfte vor Aufregung. Nach den Worten des Priesters hatte sie die Begegnung mit einem dieser Monster vor nicht allzu langer Zeit überlebt und er brannte darauf, mehr zu erfahren.
Als sein Schatten vor Bernadette auf den Weg fiel, hielt sie inne und schaute auf. Ihre Miene erhellte sich, nachdem sie ihn erkannt hatte.
"Der junge Yanis. Gott, bist du groß geworden! Aber du siehst krank aus, mein Junge." begrüßte sie ihn. Yanis musste unwillkürlich lächeln und bereute nun, ihr nicht eine Kleinigkeit mitgebracht zu haben. Seit Beginn seiner Lehre hatte er sie nur noch selten gesehen.
"Ich habe nur schlecht geschlafen, Mémé." Er begrüßte sie bewusst mit dem Kosenamen, den alle Kinder für die alte Frau benutzten, eine zärtliche Form für Großmutter, denn Bernadette hatte immer eine Kleinigkeit für die Kinder im Haus gehabt, wenn sie auf ihren streunenden Ausflügen bei ihr vorbei geschaut hatten. Nun nahm er ihr den Besen mit sanftem Griff ab und fegte für sie mit kraftvollen Bewegungen weiter.
"Das wundert mich nicht. Ich habe von dem schrecklichen Geschehen schon gehört. Armer Junge!" Bernadette ließ sich dankbar auf die Bank vor dem Haus fallen und sank dort in Gedanken verloren in sich zusammen. Yanis fegte den Weg rasch zu Ende, stellte den Besen dann weg und setzte sich zu ihr.
Erschreckt musste er feststellen, dass sie nun wirklich alt geworden war. Früher, in seiner Kindheit, war sie eben Mémé, die Großmutter, die immer ein Lächeln und immer etwas Süßes im Haus hatte. Und Großmütter waren eben alt. Nun aber wirkte sie müde und kraftlos, was ihn mit plötzlicher Sorge erfüllte. Sanft nahm er ihre faltige Hand und hielt sie zwischen seinen fest.
"Hast du auch gehört, wie die Männer getötet worden sind, Mémé?" fragte er vorsichtig. Die alte Frau stieß ein Seufzen aus und nickte langsam. Als sie den Kopf hob und ihn ansah, durchfuhr ihn ein Schauer. In diesen alten, blassen Augen stand Grauen und resigniertes Wissen.
"Ja, mein Junge. Der Teufel weilt unter uns. Wir brauchen Gottes Hilfe und das mehr als alles andere."

1 Kommentar:

  1. Yanis macht sich akribisch an die Recherche. Das ist durchaus geschickt dabei.
    Er sammelt genau die Informationen, die zur Verfügung stehen. Den Priester hat er schon ausgequetscht und jetzt redet er mit der Alten. Und ich bin sicher er wird recht schnell feststellen, dass hier der gleiche "Geist" am Werk war, wie in der Backstube. Aber was noch gefährlicher ist: Die Alte hat Miriam und Anya zusammen gesehen.
    Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass er die richtigen Fragen stellt und dabei die 'falschen' Antworten bekommt.

    Die Luft wird dünner.

    Ich hege ja durchaus Bewunderung für Yanis und seine Beharrlichkeit und seine Schlussfolgerungen. Aber passen muss mir das ja deshalb noch lange nicht.

    LG
    Joe

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