Mittwoch, 19. September 2012

Noctambule III: Begrabene Hoffnung

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Als Catherine in Sichtweite ihres Hofs gelangte, sah sie schon von weitem die Wäsche im Wind flattern und lächelte auf. Wahrscheinlich würde sie damit rechnen müssen, dass Belle in ihrer Unerfahrenheit nicht alle Flecken wegbekommen hatte, doch das würde niemanden stören. Auch waschen wollte gelernt sein und kostete teilweise wirkliche Anstrengung.


Doch als Catherine endlich ihre Küche betrat, war sie enttäuscht. Insgeheim hatte sie gehofft, dass die tägliche Kartoffelration schon geschält sein würde, aber sie fand weder den Korb mit den Kartoffeln noch einen gefüllten Topf. Stattdessen saß Yanis in der Eckbank und verspeiste ein Stück Brot. Er begrüßte Catherine zu ihrer Überraschung mit einem warmen Lächeln und erhob sich, um ihr den Korb mit Eiern abzunehmen, die Catherine mitgebracht hatte.
"Du warst lange fort, Maman." meinte er und verstaute die Eier im Schrank. Catherine sank müde auf einen Stuhl und schenkte sich Wasser ein.
"Ja. Wir haben uns wohl doch ein wenig fest geschwatzt." meinte sie entschuldigend und betrachtete noch immer erstaunt ihren Sohn, der sich nun wieder zu ihr setzte.
"Ach, du hattest etwas Ablenkung, das freut mich nur." meinte er. Catherine konnte seinen Sinneswandel zwar nicht begründen, doch er freute sie sichtlich. Um so mehr scheute sie sich vor der Frage, die sie nun stellen musste und sicher wieder seine schlechte Laune auslösen würde.
"Wo ist Belle?" Wider Erwarten verdüsterte sich das Gesicht ihres Sohnes nicht, sondern behielt das freundliche Lächeln. Aber er zuckte unwissend mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Ich habe sie noch gesehen, wie sie Wäsche aufhängte. Dann war ich in der Scheune und habe dort ein wenig aufgeräumt. Als ich wieder raus kam, war sie weg. Aber ich glaube, es fehlt etwas Brot und Wurst." meinte er. Catherine runzelte die Stirn. Er hatte die Scheune aufgeräumt? Das war mehr als ungewöhnlich, doch es fütterte ihre aufkeimende Hoffnung, dass dies die ersten Versuche der Unterstützung seiner Brüder sein könnten. Mehr noch erstaunte sie aber, dass Belle sich an den Vorräten bedient haben sollte. Wozu nur?
"Vielleicht hatte sie ja einfach Hunger? Hast du nachgesehen, ob sie vielleicht schläft?" erkundigte sie sich und löste erneut ein Schulterzucken bei Yanis aus.
"Natürlich nicht, Mutter! Ich werde doch nicht einfach ihr Zimmer betreten!" meinte er empört. Catherine lachte, strich kurz besänftigend über seine Hand und erhob sich, um selbst nachzusehen. Kurz darauf kehrte sie ratlos zurück.
"Das verstehe ich nicht. Ihr Bett ist gemacht und abgezogen. Sie hat ein paar Butterblumen auf das Bett gelegt. Fast wie einen Dank oder Gruß. Meinst du, sie könnte uns verlassen haben?" Sie sank auf den Stuhl und runzelte die Stirn, wodurch ihr entging, dass Yanis sie sehr genau beobachtete.
"Wäre doch möglich oder?" meinte er gleichgültig. Das tiefe, traurige Seufzen seiner Mutter versetzte ihm einen Stich.
"Aber es passt so gar nicht zu ihr! Wohin kann sie denn gegangen sein? Hat sie dir denn gar nichts gesagt?" Ihre Augen hingen hoffnungsvoll an seinem Gesicht, doch erneut zuckte er mit den Schultern.
"Nein. Wir haben gar nicht miteinander gesprochen. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass sie weg ist. Sie hat gestört." meinte Yanis und klang dabei äußerst ehrlich. Catherine schüttelte bekümmert den Kopf.
"Nein, das passt einfach nicht. Irgendetwas stimmt da nicht." meinte sie grübelnd. Yanis wischte die Brotkrümel auf und erhob sich mit einem ungeduldigen Ruck wieder. Der Kummer seiner Mutter war für ihn nur schwer zu ertragen und natürlich lag die Schuld bei diesem Weibsstück.
"Mach dir keine Gedanken Mutter. Wahrscheinlich ist ihr alles wieder eingefallen und sie ist schon wieder bei ihrer Familie. Undankbares Ding, eh?" er drückte ihr einen Kuss auf die Wange, den sie teilnahmslos annahm.
"Ich werde noch mal weg sein. Letztes Jahr sind ein paar Vogelscheuchen kaputt gegangen, hat Noel gesagt. Ich werde direkt an den Westfeldern neue bauen. Plane mich beim Essen lieber nicht mit ein." verkündete er und verließ rasch die Küche.
Seine Mutter sah ihm verblüfft hinterher. Er schien tatsächlich etwas Sinnvolles zu tun und es sollte sie mächtig freuen. Doch gerade überwog der Kummer über Belles Verschwinden. So hatte sie das junge Mädchen nicht eingeschätzt. Catherine seufzte und beschloss, dieses Kapitel abzuschließen. Einmal mehr begrub sie eine Hoffnung und widmete sich wieder ihren Arbeiten.

1 Kommentar:

  1. Yanis hat sich aber sehr geschickt angestellt. Wenn man nicht schreiben kann, was unter Bauern ja vermutlich noch üblich war, wie formuliert man dann einen Abschiedsbrief? Die Blumen auf dem abgezogenen Bett waren eine durchaus gute Idee.

    Doch so ganz hat Catherine den Köder aber noch nicht geschluckt. Der plötzliche Sinneswandel ihres Sohnes gibt ihr neuerliche Rätsel auf. Das ist die Chance für Miriam.

    Ich bin ja noch nicht so ganz sicher, wie das ausgeht.

    Vor allem, was passieren wird, wenn Yanis merkt, dass sein "Köder" als solcher nicht funktioniert.

    Aber jetzt wo der Abend hereinbricht, wird ja Armand auf dem Hof auftauchen, oder Sergej oder Anya. Oder alle drei...

    Auch wenn dies natürlich finstere Gestalten sind, die bei Nacht auftauchen, so wird Catherine wohl vermutlich Auskunft geben. Fragt sich, wer dann schlau genug ist, Yanis zu verdächtigen und das entsprechende Hüttchen findet.

    LG
    Joe

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