Donnerstag, 13. September 2012

Noctambule III - Rückblick: Die Botschaft

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Er hatte bis tief in die Nacht regungslos bei Agnes gehockt und gewartet, bis die Stadt endlich zu schlafen schien. Als er sich endlich rührte, wusste er nicht mehr, ob er überhaupt an irgendetwas gedacht, geweint oder sich bewegt hatte. Innerlich wie äußerlich fühlte er sich taub und müde. Doch nun hatte er noch einiges zu tun, zumal er jetzt erst bemerkte, dass die Wolken aufbrachen und der Vollmond sein fahles Licht in die Nische zu werfen begann.


Vorsichtig beugte er sich über Agnes und drehte ihren Körper leicht, um sie besser aufheben zu können. Sanft hob er sie an und zog sie an seine Brust. Noch war die Totenstarre nicht vollständig ausgeprägt, was ihm das Tragen erleichtern würde. Doch bevor er seine traurige Last ganz aufhob, hielt er erneut inne und starrte auf den Boden, der nun vom fahlen Mondlicht kurz beleuchtet worden war, bevor eine Wolke ihn kurz wieder verdeckte.
Ungläubig starrte er auf die Blutspur, die zuvor durch Agnes Schatten unsichtbar gewesen war. Es war keine natürliche Blutlache. In zittriger, verschmierter Schrift waren dort Buchstaben zu erkennen, die Armand nur schwer entziffern konnte. Mit dem nächsten kurzen Schimmer des Mondlichts konnte er schließlich ein wackliges "J", "e" und ein halbes "m" oder "n" erkennen. Seine Brauen zogen sich zusammen, während sich die Buchstaben unauslöschlich in sein Gedächtnis brannten.
Nachdenklich drückte er den Körper des toten Mädchens an sich und achtete darauf, dass sie vollständig vom Umhang bedeckt war. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter als würde sie schlafen, sodass es wirkte, als würde er ein schlafendes oder vielleicht krankes Mädchen tragen. Während er durch die Straßen lief, die Kapuze seines Umhangs tief ins Gesicht gezogen, begann sein Denkvermögen wieder zu arbeiten.
Träge versuchte er zu kombinieren. Agnes hatte ihr eigenes Blut benutzt, um eine Nachricht zu hinterlassen. Seine Augen brannten, als ihm klar wurde, dass sie gehofft hatte, er würde sie suchen und als erster auch finden. Nein, sie war ganz sicher davon ausgegangen! Sie hatte ihm vertraut und er hatte versagt und war nicht rechtzeitig gekommen. Schwere Vorwürfe lähmten ihn erneut. Aber was hatte sie ihm sagen wollen?
Seine Gedanken schweiften ab. Sie hatte keine besondere Freude mehr an ihrem Leben gefunden, nachdem sie Brid verloren hatte. Vielleicht konnte sie nun endlich ihren Frieden finden und vielleicht traf ihre Hoffnung ja zu, dass sie nun Brid wiederfinden konnte. Armand hatte keine Religion und seinen anerzogenen Glauben schon lange verloren. Doch da sie fest an Himmel und Hölle glaubte, hoffte er nun für sie, dass sie Recht hatte. Dass er sie früher damit geneckt hatte, dass er nicht daran glaube, einen Vampir im Himmel zu finden, verdrängte er sofort wieder.
Armand durchquerte die Stadt und verließ sie durch das Tor am Hafen, das in Friedenszeiten Tag und Nacht geöffnet blieb. Als er weit draußen vor der Stadt auf einem Hügel stehen blieb, blickte er überrascht zurück. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie weit er gelaufen war. Aber dieser Platz gefiel ihm. Er sah auf das Meer, das im Mondlicht glitzerte, und konnte Calais gut sehen, wobei überwiegend der Hafen im Schein der Fackeln leuchtete. Dieser Platz war der Richtige für Agnes, beschloss er.

Er schob das letzte Bündel Holz an seinen Platz und betrachtete sein Werk traurig. Um genug trockenes Holz zu finden, hatte er weite Kreise ziehen müssen, aber nun sollte es ausreichen. Der obere Teil war abgeflacht und Armand hatte es nicht über sich gebracht, Agnes auf spitzes, stechendes Holz zu legen, sondern eine Matte aus Blättern ausgebreitet, auf der sie nun ruhte.
Mehrfach hatte er sich davon überzeugen müssen, dass sie wirklich nicht mehr am Leben war. Eine Beerdigung in einem Sarg auf dem Friedhof hatte er schnell verworfen. Es wäre sicher ein Leichtes gewesen, einen Sargbauer und den Priester soweit zu beeinflussen, dass sie keine Fragen stellen und seinen Wünschen folgen würden. Ohne Beeinflussung hätten sie den Mord schließlich melden müssen und Armand hätte keinen so leichten Zugriff mehr auf Agnes gehabt. Doch Brid war in dem Haus verbrannt und aus irgendeinem Grund war Armand nun der festen Überzeugung, dass er Agnes nur helfen konnte, Brid zu finden, indem sie den gleichen Weg ging.
Noch einmal trat er an sie heran und betrachtete sie nachdenklich. Als eine leichte Brise ihre Haare erfasste, strich er zärtlich die Strähnen aus dem Gesicht zurück. Dann beugte er sich vor und hauchte einen Abschiedskuss auf ihre Stirn. Sie hatte ein spannendes, aufregendes Leben gehabt, doch es war viel zu kurz gewesen. Seufzend löste er sich von ihrem Anblick und griff in seine Tasche, um einen Feuerstein herauszufischen. Kurze Zeit später begannen kleine Flammen hoch zu züngeln.
Armand trat zurück und sah zu, wie das Feuer aufloderte. Reglos blieb er stehen, fest entschlossen hier auszuharren und mögliche neugierige Besucher zu vertreiben, die vom Schein des Feuers vielleicht angelockt werden könnten. Ihm war klar, dass das Feuer bis weit über Tagesanbruch brennen würde. Doch das konnte er ertragen, wenn er die Kapuze nur tief genug zog. Wenn er sie schon nicht hatte beschützen können, war dies das Mindeste, was er noch tun konnte.
Das Licht des Feuers verlieh seiner blassen Haut einen rötlichen Schimmer. Sein Gesicht war nun maskenhaft starr geworden, seine sonst so sinnlichen Lippen schmal und seine schwarzen Augen wirkten starr und kalt. Die drei Buchstaben waren ihm wieder eingefallen und auch die Lösung war auf einmal da. Der dritte Buchstabe war nicht unvollendet gewesen. Es war kein halbes "m" oder "n" gewesen, sondern ein "r"!
Sie hatte ihren Mörder gekannt. Auch er kannte ihn. Armand wusste, was er zu tun hatte. Es würde ihm eine Freude sein.

1 Kommentar:

  1. J - E - R also?

    Wer soll das sein? Ich habe da so eine leise Vermutung...

    Jerome Chermaut... :) Das passt jedenfalls wie die Faust aufs Auge.

    Agnes hatte darum gebeten, dass Armand den Mann in Ruhe lässt. Doch diese Entscheidung hat sie nun bitterlich bereut. Nun wird Armand also als Racheengel über den Alten herfallen. Und ich bin recht sicher, dass er diesem Opfer keinerlei Glücksgefühle einimpfen wird!

    Die kleine Agnes hat nun also ihren Frieden. Und Armand hat richtig daran getan, das Mädchen zu seiner Freundin zu bringen. Der gewählte Weg erscheint mir dabei sogar plausibel. Und außerdem so wenig problematisch. So hat auch seine Seele Ruhe. Auch wenn er wohl noch eine Weile brauchen wird, diesen erneuten Verlust zu verarbeiten.

    Einmal mehr ein interessanter Blickwinkel auf ein Leben, dass so lang dauert, dass Abschiede von Geliebten 'Menschen' zum Standard werden. Wobei Armand es ja auf Altersschwäche nie hinauslaufen lässt ;)

    Und jetzt, Armand, hol dir das Schwein.

    LG
    Joe

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