Freitag, 11. Mai 2012

Noctambule III: Madame tritt auf

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Madame pflegte meist weit über die Mittagszeit hinaus zu ruhen und sich dann erst blicken zu lassen. Das kam Miriam natürlich sehr entgegen, denn ihre Nächte waren schließlich dank Sergejs Besuche verhältnismäßig kurz. So pflegten sich die beiden Frauen erst spät zu einem ausgiebigen Frühstück im Salon zu treffen und dabei den Tag oder besser den Nachmittag und vor allem den Abend zu planen.


Heute jedoch wurde Madame von niemandem begrüßt, denn Miriam schlief noch tief und fest, was Madame sehr recht zu sein schien. Die Geschehnisse der letzten Nacht mussten das arme Mädchen völlig aus der Bahn geworfen haben und Madame hoffte darauf, dass der Schlaf helfen würde, vieles zu verarbeiten und den Schock auszukurieren. Einmal mehr schüttelte Amanda innerlich den Kopf über die Tragödien, die dieses behütete Mädchen hatte hinnehmen müssen.

So hinterließ sie eine Botschaft für Miriam, dass sie am frühen Abend rechtzeitig zum Dinner wieder da sei und verließ das Haus mit verkniffener Miene. Ihr alter Kutscher half ihr in den bequemen Wagen und dachte sich nichts bei dem Gesichtsausdruck seiner Herrin und lenkte sein Gespann in vorsichtigem Tempo durch das regnerische Marseille, nachdem Madame ihm das gewünschte Ziel zugeknurrt hatte.
Nachdem sie sich umständlich und schwer auf den helfenden Arm des Kutschers stützen aus ihrem Wagen geschält und langsam wieder aufgerichtet hatte, mühte sie sich schwer atmend die drei Stufen zur Tür des vornehmen Hauses empor und ließ herrisch den Türklopfer gegen das metallische Gegenstück an der Tür fallen. Sie musste nicht lange warten und wurde mit einer höflichen Verbeugung eines Butlers begrüßt ohne Einlass zu erhalten.
"Ich bedaure sehr, Madame Dubrés, aber Monsieur Lechaivre ist leider heute nicht in der Lage, Besuch zu empfangen." verkündete er mit bedauerndem Tonfall, in dem jedoch eiserne Entschlossenheit mitschwang, niemanden hereinzulassen. Doch seine Entschiedenheit prallte völlig erfolglos an Amanda ab, brachte sie aber zu einem unwirschen Klopfen mit ihrem Gehstock.
"Erzähl Er mir keinen Unfug! Sein Herr mag eins auf die Nase bekommen haben, aber er wird ja wohl nicht alle Zähne verloren haben und sprechen können!" fauchte sie den überraschten Butler an und marschierte so entschlossen auf ihn zu, dass er unbewusst einen Schritt zur Seite und damit den Weg frei machte. Empört hielt er die Tür weiter auf.
"Ich bin untröstlich, Madame! Mir wurde eindeutig aufgetragen, heute jeden Besuch abzusagen." versuchte er noch einmal, sich durchzusetzen. Die scharfen Augen Madames warfen ihm einen vernichtenden Blick zu.
"Dann hätte Er nicht öffnen dürfen! Nun schließe Er schon die Tür, es ist kalt und ich stehe im Durchzug!" Sie unterstützte ihre Worte mit einem weiteren heftigen Klopfen des Stocks und tatsächlich gehorchte der Butler unverzüglich. Mit unbehaglichem Blick wies er auf die Treppe.
"Wenn Ihr gestattet, gehe ich vor, Madame." verkündete er offenbar in dem Versuch, noch ein wenig Restwürde zu bewahren. Madame nickte knapp. Kurz warf sie einen abschätzenden Blick auf die beiden Gardisten, die neben der Treppe auf zwei unbequemen Schemeln hockten und auf einem winzigen, hastig herbeigeholten Tischchen ihre Langweile mit Würfeln vertrieben hatten. Beide hatten das Spiel unterbrochen und begafften sie nun verwirrt.
"Gibt es einen Grund, Maulaffen feilzuhalten? Ich bin zwar alt, beanspruche dennoch ein gewisses Maß an Benehmen, meine Herren!" fauchte Madame. Unverzüglich schossen beide von ihren Schemeln hoch und standen nach einer knappen Verbeugung stramm. Amanda quittierte die Begrüßung mit einem knurrenden Nicken und begann, sich die Treppen hinauf zu quälen.

Es hätte Madame Dubrés nicht weiter gestört, Lechaivre in seinem Bett anzutreffen, jedoch gestattete sie dem Butler mit einem verkniffenen Kopfnicken, alleine das Zimmer zu betreten und seinen Herren vorzuwarnen. Ungeduldig wartete sie eine ganze Weile auf dem Flur und fluchte stumm vor sich hin, weil sie wie ein Dienstmädchen herumstand und darauf warten musste, eingelassen zu werden.
Die Warterei nährte ihre wachsende schlechte Laune und gerade hatte sie beschlossen, nun einfach ungefragt hineinzugehen, als sich die Tür öffnete und der Butler mit missbilligender Miene signalisierte, dass sie erwartet wurde.

Lechaivre bot ein Bild des Jammers. Um seinen Kopf wand sich ein kunstvoller Verband, der überwiegend die linke Gesichtshälfte verbarg, die Augen und den Mund jedoch freiließ. Mit einer gewissen Genugtuung bemerkte Amanda die mächtige Schwellung unter dem linken Auge und die prachtvolle Verfärbung, die in sämtlichen Regenbogenfarben sein Auge umkreiste und sogar die Nase erreichte.
Lechaivre lag ausgestreckt auf einem Diwan, ein nasses, kühlendes Tuch über der Stirn und stöhnte leise vor sich hin. Er trug einen Hausmantel, unter dem Madame ein teures, bodenlanges Nachthemd erkennen konnte und hatte seine nackten Füße hastig in Hausschuhe geschoben. Ein Dienstmädchen ordnete eifrig sein Bett, während der Arzt offensichtlich seine Behandlung beendet hatte und nun seine Utensilien reinigte und in eine große Tasche sortierte. Dabei hatte er nur ein kurzes, höfliches Nicken für Madame übrig, was sie aber nicht weiter interessierte.
So aufrecht stehend, wie es ihr gerade möglich war, stand sie vor dem wimmernden Hausherren und machte gar keine Anstalten, ihre höhnische Freude über dessen Leid hinter einer mitfühlenden Miene zu verstecken.

1 Kommentar:

  1. Madame also bei Lechaivre. Was will sie dort?

    Auf jeden Fall amüsiert sie sich scheinbar köstlich über seinen erbärmlichen Zustand.

    Und was kommt jetzt? Eine Predigt über ziemliches Verhalten? Oder schafft der kleine Furz es, sie davon zu überzeugen, dass alles ganz anders war? Versuchen wird er das wohl schon.

    Aber Amanda hat eine recht feste Meinung von Sergej und auch von Miriam. Ich bin gespannt was das gibt.

    LG
    Joe

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