Samstag, 13. Februar 2010

Unbequeme Wahrheiten

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Übersicht Nadja

Nadja sah sich am Gebäude um ob sie Steffen irgendwo entdecken konnte. Sie war vollkommen aufgeregt. Ihr Herz hüpfte so stark, dass sie fühlen konnte, wie es von innen gegen die Brust hämmerte. Sollte das wahr sein, würde sie sofort abreisen. Sie konnte keine Minute länger warten ihre Familie zu sehen. In Gedanken überschlug sie schon, wie viele Stunden es wohl sein würden, bis sie in Kiew sein würde.

Sie ging das Gebäude entlang. Steffen kam ihr mit einem Tablett entgegen von dem ein köstliches Mittagessen duftete. "Na? Kannst es schon gar nicht mehr erwarten? So ein Hunger?", witzelte er und stellte das Tablett an einem Tischchen unter einem Sonnenschirm ab. Nadja starrte auf das köstliche Risotto, den Salat und den Nachtisch und besann sich dann auf ihr ursprüngliches Vorhaben: "Steffen, kann ich hier weg?", platzte sie heraus.

Steffen sah sie etwas verständnislos an: "Deine endgültigen Ergebnisse bekomme ich doch erst morgen?" "Ich meine nicht aus der Station. Ich meine von der Insel!", bekräftigte Nadja. Steffen ließ sich auf einem der Stühle nieder. "Das kann ich dir auch beim Essen erzählen. Sonst wird’s kalt. Und ohne Mittagessen willst du ja wohl nicht weg von hier?" Nadja nickte betreten und setzte sich. Dann fing sie an ihr Essen zu verputzen. Es schmeckte schon wieder köstlich.

"Na, wer hat's dir denn erzählt?", fragte Steffen etwas amüsiert. Sie sah ihn verlegen an. "Aber es kommt doch niemand in Schwierigkeiten, wenn ich es dir sage?" Sie klang besorgt aber Steffen schüttelte den Kopf: "Ach woher denn. Das ist doch kein Staatsgeheimnis." "Wir haben uns unterhalten. Ihr Name ist Ga'ilana. Sie ist eine Ne.. äh Schwarze.. oder sagt man Farbige?" Steffen zuckte die Schultern. Das kannst du halten wie du möchtest aber übrigens ist weiß genauso keine Farbe wie Schwarz! Also du möchtest wissen, ob du auf dieser Insel gefangen bist?" Nadja nickte. "Dann überleg doch mal ob du dich gefangen fühlst!"

Sie sah ihn verdutzt an und wenn sie recht überlegte, so hatte sie nicht wirklich das Gefühl gefangen zu sein. Sicherlich saß sie in einem Garten um den herum ein ziemlich martialischer Zaun gezogen war und die Tür zu ihrem Zimmer ließ sich von innen nicht öffnen, wenn Steffen das nicht wollte. Aber gefangen? Im Puff hatte sie sich gefangen gefühlt. Sie dachte an ihre Schwimmrunde im Meer und die Freiheit, die sie dabei gespürt hatte. Sie sah ihn ausdruckslos an: "Ich .. weiß .. nicht. Irgendwie nicht.", stammelte sie schließlich. Steffen nickte: "Und du bist es auch nicht. Du könntest gehen, wenn du das willst! Willst du das?" Sein Blick war eindringlich.

"Oh ja! Mehr als alles auf der Welt. Ich will heim zu meiner Familie!", platzte es aus Nadja heraus und vorsichtig gestattete sie sich ihre Fantasien im Kopf erneut zu formen. Steffen sah sie nach wie vor eindringlich an: "Bist du dir sicher?", fragte er nur. Nadjas Euphorie erstarb und sie sah scheu zu ihm. "Wieso was ist? Ist etwas passiert? Sag es mir bitte." Er schüttelte nur den Kopf: "Es ist nichts passiert. Deine Familie lebt und erfreut sich, soweit sichtbar bester Gesundheit. Deine Eltern, deine Schwester Maria und dein Bruder Lukas alles in bester Ordnung." Nadja schluckte. Dass er die Namen kannte, machte ihr Angst. Man hatte doch nicht vor ihnen etwas anzutun? "Woher..." "Wenn eine neue auf die Insel kommt prüfen wir routinemäßig wer von den Verwandten noch lebt. Oftmals waren Mädchen wie du jahrelang nicht bei ihren Familien. In deinem Fall sind es 'nur' ein paar Monate. Aber auch da ermitteln wir vorsichtshalber ehe die erste Heimreise zum Trauerfall wird. Ich bin, genau wie die anderen, die daran mitarbeiten, der Meinung, dass du ein Recht hättest so schnell wie möglich zu erfahren, wenn ihnen etwas passiert sein sollte. Aber das ist ja in deinem Fall nicht gegeben. Kommen wir nun zu meiner Frage: Bist du dir sicher? Du sagst ja. Aber vor nicht einmal einem halben Jahr, warst du bereit, deine Familie zu verlassen um ein Leben in Deutschland zu beginnen. Das wirst du nicht nur aus einer Laune heraus getan haben. Du hattest gewiss einen Grund. Den brauchst du mir gar nicht zu sagen, wenn du das nicht möchtest. Aber überleg dir bitte, ob dieser Grund jetzt, ein paar Monate später, beseitigt ist. Was wäre gewonnen, wenn du jetzt nach Hause fliegst und in zwei Wochen wieder weglaufen möchtest?"

Nadja klappte wie ein Fisch den Mund auf und zu. Was er sagte, klang so bitter logisch. Natürlich hatte es einen Grund gegeben: Diesen schrecklichen Ivan und die Pläne ihres Vaters. Und wenn man ehrlich war, war nicht zu erwarten, dass er inzwischen verheiratet wäre. Sie schloss den Mund und schluckte. Steffen hatte ziemlich gut getroffen.

"Und noch eins: Du bist ein hübsches Mädchen, aber man sieht dir die Monate der schlechten Behandlung noch deutlich an. Möchtest du deinen Eltern sagen, was du durchgemacht hast. Fragen würden sie allemal stellen." Er machte eine Pause. Nadja war immer noch nicht fähig zu antworten. Ihre Mutter würde vor Scham sterben, wenn sie erführe, dass ihre Tochter eine Nutte war und ihr Vater würde sie verstoßen. "Versteh mich nicht falsch. Ich will dich hier nicht gegen deinen Willen festhalten. Aber ich möchte, dass du es dir gut überlegst."

Inzwischen war Nadjas Überraschung einer leisen Verbitterung gewichen und sie ließ den Kopf hängen. Das Essen schmeckte auf einmal fade und sie legte die Gabel auf den Teller. Steffen schämte sich. Er war zu weit gegangen. "Es tut mir so leid." Sanft nahm er ihre Hand und sah sie freundlich an: "Ich habe einen Vorschlag für dich: Vor Morgen ist ohnehin kein Flugzeug hier. Also überlegst du dir bitte heute genau, ob du wirklich jetzt sofort und so schnell wie möglich hier weg möchtest, oder ob du nicht wenigstens bleibst, bis klar ist, dass du gesund bist und du auch wieder ein wenig zu Kräften gekommen bist. Ich verspreche dir, du wirst deine Familie wiedersehen. Nur überstürze nichts! Und noch einen Vorschlag habe ich für dich: Wir schauen mal ob wir deine Eltern telefonisch erreichen. Dann kannst du ja erst mal mit ihnen telefonieren. Schreiben kannst du ihnen übrigens so oder so! Einverstanden?"

Nadjas Augen leuchteten auf. Die letzten Worte machten es wieder besser. Auf ein paar Tage kam es wirklich nicht an und was Steffen gesagt hatte war ausnahmslos die Wahrheit. Sie musste sich gut überlegen, wie sie nun ihren Eltern gegenübertrat aber sie würde das hinbekommen. Nachdenken und Pläne schmieden das war es, was fürs erste angesagt war. Aber Steffen hatte bestätigt, was Ga'ilana ihr gesagt hatte. Sie würde von hier wegdürfen. Auf Zeit oder für immer. Und das war das Wichtigste. Zaghaft begann sie zu nicken und sah Steffen an. Nach und nach wurde es kräftiger und die Verbitterung wich dem Wunsch es diesmal richtig anzupacken und keine Nacht- und Nebelaktion daraus zu machen. "Einverstanden!", sagte sie fest und griff wieder zur Gabel.

Steffen stand auf und lächelte sie an: "Gut. Und iss nur tüchtig! Umso schneller wirst du dich erholen." Nadja sah ihm nach und begann sich zu überlegen, wie sie ihrer Mutter die fehlenden Monate erklären sollte.

1 Kommentar:

  1. Ganz schön manipulativ dieser Steffen! Fragt sich nur in wessen Interesse er seine Überzeugungskraft benutzt...

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