Montag, 8. August 2011

Noctambule II: Rückblick - Die Wäscherin

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II


Lion 1469

Marie presste die Hände in den schmerzenden Rücken und streckte sich. Ihr frustrierter Blick glitt über die Wäscheberge vor sich, wobei sie ein tiefes Seufzen ausstieß. Ihre Augen brannten und ihre Hände waren von der Seifenlauge gerötet und rissig. Aber an den ersehnten Schlaf war noch lange nicht zu denken.
Die Arbeit musste fertig werden, wenn sie ihre Kundinnen nicht verlieren wollte und die höheren Damen waren zumeist nörgelnde, spät zahlende Kunden. Wenn sie überhaupt bezahlten. Würde Marie zu spät die saubere Wäsche ausliefern, hätte sie schnell gute Kundschaft verloren. Die Konkurrenz schlief nicht.

Maries Blick fiel auf die sauberen Stoffwindeln, die sie gerade gereinigt hatte und ein kleiner Stich drückte ihr Herz zusammen. Sie dachte an ihre kleine Tochter, die sie als alleinstehende Mutter versucht hatte großzuziehen. Maries Mann war im Dienst unter dem König vier Monate nach der Geburt des Kindes gefallen.
Als alleinerziehende Witwe hatte sie keinen anderen Ausweg gesehen, als sich als Wäscherin zu verdingen. Und sie machte ihre Arbeit gut. Zu gut, wie sie bitter feststellte. Sie hatte das Fieber der Kleinen unterschätzt. Als es rapide anstieg, war es bereits zu spät gewesen. Das Kind war gestorben und hatte eine verzweifelte Mutter zurückgelassen, die im Alter von zarten 18 Jahren versuchte, ihren Kummer in Arbeit zu ersticken.

Marie schüttelte ihre Gedanken ab. Sie hatte keine Zeit zum Nachdenken. Müde wuchtete sie einen Korb mit nasser Wäsche in den kleinen Hintergarten. Es war bereits dunkel geworden, doch das Licht ihrer Öllampe genügte ihr zum Aufhängen der Wäsche.
Das nasse Leinen würde in der warmen Sommernacht schnell trocknen und sie würde morgen eine Menge Aufträge ausliefern können. Sie versuchte, sich mit dem Summen eines Liedchens wach zu halten und hängte die erste Leine voll mit Hemden.
Als sie sich der zweiten Leine zuwandte, fuhr sie mit einem Aufschrei zurück. Das frisch gewaschene Hemd fiel auf den schmutzigen Boden, aber Marie bemerkte das gar nicht. Mit schreckgweiteten Augen starrte sie auf den riesigen Mann, der ihr gegenüber an der Mauer ihres Hinterhofs lehnte und sie mit gesenktem Kopf lächelnd betrachtete.
Marie stolperte keuchend rückwärts, bis der Wasserbottich für das Regenwasser sie bremste. Wie war der Mann hier hereingekommen? Der Hof wurde von über zwei Meter hohen Mauern umschlossen. Keiner hatte jemals versucht, diese Hürde zu überwinden. Wozu auch? Sie presste die Hände auf die hämmernde Stelle unterhalb der linken Brust.
"Was.. was wollt Ihr?" jappste sie ängstlich. Der Mann war seltsam blass. Seine Augen ließen sie nicht eine Sekunde los, auch nicht, als er nun den Kopf schief legte. Verwirrt und mit steigender Angst bemerkte sie, dass sich seine Nasenflügel hoben, als würde er ein köstliches Aroma wittern.
Als er sich geschmeidig von der Wand abstieß, stolperte Marie um den Bottich herum und griff nach der dicken Schlagkelle aus Holz, die sie nun wehrhaft vor sich hielt.
Der Mann stieß ein amüsiertes Lachen aus. Maries Waffe schien ihn nicht zu beeindrucken.
"Ich habe dich beobachtet. Du bist fleißig, aber immer allein." Marie schnappte nach Luft und wich weiter zurück. Diese dunkle Stimme betörte sie so sehr, dass ihr kurz schwindlig wurde. Verzweifelt hob sie die Kelle, bereit damit weit auszuholen und zuzuschlagen.
"Kommt mir nicht zu nah!" warnte sie mit entsetzter Wut. Der Mann lachte nur leise und näherte sich weiter. Dann ging alles viel zu schnell für Marie. Noch in ihrer ausholenden Bewegung war er bei ihr. Seine langen Finger umgriffen schmerzhaft fest ihr Handgelenk und verdrehten es, bis sie aufschreiend die Kelle fallen ließ. Dann prallte sie an die Wand und fühlte sich dort mit erhobenen Händen festgehalten. Sein Gesicht war dicht vor ihr.
"Ist dir das schon zu nah?" Er schnurrte beinahe und obwohl er flüsterte konnte sie jedes Wort fast körperlich wahrnehmen. Sie spürte ein Vibrieren in ihren Muskeln, das sie noch nie zuvor erlebt hatte.
"Wie heißt du?" verlangte er zu wissen. Maries Herz schlug bis zum Hals. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in sein Gesicht, unfähig, den Blick abzuwenden. Die Angst lähmte sie und doch spürte sie noch etwas ganz anderes. Ein Kribbeln in ihrem Körper, ein ganz sanftes Vibrieren, das ihren Unterleib zu schamlosen Bewegungen reizte und das sie sich nur mühsam verkneifen konnte. Was sie empfand war abartig und unanständig. So etwas durfte eine Frau nicht einmal denken!
"Marie." Sie hatte geantwortet, obwohl sie nicht hatte antworten wollen. Er sah sie zufrieden an, dann senkte er seinen Kopf bis seine Nasenspitze zart wie ein Schmetterling ihren Hals entlang glitt. Das Geräusch, das er dabei ausstieß, war einem Schnurren nicht unähnlich.

1 Kommentar:

  1. Ui... Armand lernt Marie kennen. Das ist schön!

    Jetzt bin ich aber mal gespannt, was da noch so alles passiert. Es muss ja sehr viel sein, was da noch folgt. Denn immerhin hat er viele hundert Jahre später immer noch ein Gemälde von ihr im Treppenhaus gehabt.

    Ich bin ja mal gespannt, wie das mit den zweien jetzt ausgeht. Marie scheint jedenfalls eine Persönlichkeit voll erstickter Leidenscahft zu sein.

    Liebe Grüße
    Klaus

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