Mittwoch, 24. August 2011

Noctambule II: Der Pferdeschinder

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Armand hockte brütend auf einem Baumstamm und betrachtete sein Pferd. Es war verschwitzt und völlig fertig. Während es in tiefen Zügen aus dem Bach trank, zitterten die Flanken und im fahlen Mondlicht glänzte das nasse Fell. Er hatte es ziemlich voran getrieben und es hatte wirklich gehorsam alles gegeben. Aber es war am Ende. Armand wusste, dass bald eine Wechselstation auftauchen musste. Dort würde er das Pferd stehen lassen, damit es sich erholen konnte.

Aber das nächste Pferd würde er genauso schinden, um vorwärts zu kommen. Er spürte seine Beine massiv. Reiten konnte er gut, doch hatte er es lange nicht mehr getan und die Muskeln beschwerten sich entsprechend. Er stieß ein unwilliges Zischen aus, was das Pferd zusammenzucken ließ. Es war nervös. In seinem erschöpften Zustand scheute es vor allem, was annähernd gefährlich sein könnte.
Armands Blick glitt zum Mond hoch, der fast lachend und beinahe voll den ganzen Wald erhellte. Ihm dämmerte, dass er zum ersten Mal seit langem unüberlegt gehandelt hatte. Sein Zorn hatte sich noch immer nicht gelegt. In einer Situation wie dieser keine Kontrolle haben zu können, hasste er. Er wusste weder, wo Anya sich aufhalten konnte, noch wusste er, ob sie überhaupt zurück kommen würde.
Er hätte sie längst überholen müssen bei dem Tempo, das er seinem Pferd zugemutet hatte. Aber bei allem Umschauen und spähen in den Wald war er niemandem begegnet. Es war unwahrscheinlich, dass sie diesen Weg genommen hatte. Demnach war sie entweder noch in Marseille oder aber sie hatte eine andere Reisemöglichkeit gefunden. Wütend zerbrach er einen Zweig zwischen den Fingern, ließ die Teile fallen und hob einen neuen auf.
Er würde in dieser Nacht nicht mehr weit kommen. Spätestens an der nächsten Station würde er ein Zimmer nehmen müssen, da er sonst in das Tageslicht reiten würde, bevor er die nächste Station erreichte. Zurück kam er also in dieser Nacht auch nicht mehr. Stirnrunzelnd schaute er auf den Zweig und zerbrach ihn in der Mitte. Dann atmete er tief durch und erhob sich. Das Pferd hatte Zeit gehabt zu trinken und ein wenig Gras zu rupfen. Es musste das letzte Stück auch noch schaffen. Ächzend zog er sich hinauf und trieb es wieder auf die Straße.

Er hatte Recht behalten, denn kurze Zeit später erreichte er eine Wechselstation. Wie erhofft war ein Gasthof mit einigen Zimmern angeschlossen und natürlich war nirgendwo Licht zu sehen. Nächtliche Reisende waren einfach zu selten. Armand interessierte sich nicht dafür, ob er jemanden weckte oder nicht. Er stieg ab und klopfte dem Pferd lobend auf den Hals.
"Gut gemacht. Jetzt kannst du dich ausruhen." murmelte er und hämmerte gegen die Tür der Station.
Er musste mehrmals hämmern, ehe er einen Lichtschein hinter einem Fenster bemerkte. Schlurfende Schritte näherten sich und er hörte ein gemurrtes "Ja, ich komm ja schon! Weckt das ganze Haus auf. Immer mit der Ruhe!" Der alte Mann mit der schiefen Nachtmütze auf dem Kopf starrte gegen eine breite Brust und musste den Kopf immer weiter zurücklegen, bis er in das bleiche Gesicht mit dem harten Zug um die Lippen sehen konnte. Die schwarzen Augen sahen ihn stechend an.
"Ich habe ein erschöpftes Pferd und brauche ein Zimmer." verkündete Armand schroff. Der alte schnalzte mit der Zunge.
"Bisschen spät, um schlafen zu gehen, was? Kostet aber ein paar Sou Nachtzuschlag." Armand nickte knapp und versuchte, nicht zu sehr auf die breiten Zahnlücken zu starren, die den Mann zum Lispeln brachten.
"In Ordnung. Wo ist das Zimmer?"
"Momentchen. Erst das Pferd." erklärte der Alte und drehte sich um, während er schon zu brüllen anfing. "Jacques! Jacques du fauler Hund! Hoch mit dir! Kundschaft!" Armand stieß ein unwilliges Schnaufen aus und warf einen Blick zum Himmel, der noch nicht einmal Dämmerung zeigte. Er hätte noch Zeit, doch er war müde und wollte seine schmerzenden Glieder ausstrecken.
Während der Alte auf den Stallknecht wartete, öffnete er die Tür weiter und deutete mit der Kerze in der Hand an, hereinzukommen. Armand musste sich tief bücken, um sich nicht den Kopf am Türbalken zu stoßen und ließ sich in ein kleines Zimmer führen, in dem ein Tisch und ein einzelner Stuhl standen. Es war offenbar nur ein Aufenthaltsraum für das Personal, aber Armand sackte dankbar auf den Stuhl und streckte vorsichtig die Beine aus.
"Ich brauche Papier, Tinte und Feder. Der Brief muss mit der nächsten Kutsche nach Florenz. Unbedingt!" verlangte er. Mit schlurfenden Schritten holte der alte Mann das Gewünschte, stellte es vor Armand und hielt die Kerze näher an sein Gesicht.
"Ihr seid aber blass, Monsieur. Ist alles in Ordnung? Ich kann meine Frau wecken, die versteht was von Heilkräutern." bot er an. Armand winkte nur ab und begann schon emsig zu schreiben. Während er den Brief verfasste trottete ein grobschlächtiger Junge an ihm vorbei hinaus und ließ die Türe offen stehen. Nicht lange danach hörte man ihn fluchen.
"Das arme Tier! Das ist ja völlig fertig! Mann, wie kann man denn ein Pferd so schinden! Großvater, das Vieh braucht mindestens zwei Tage Erholung!" Armand sah auf und musterte den Alten, der offensichtlich vernommen hatte, was sein Enkel beanstandete. In seinem Blick tauchte etwas Berechnendes auf, aber auch Misstrauen. Nicht selten kam es vor, dass flüchtige Verbrecher versuchten, schnell die Grenze zu erreichen.
"Ich zahl das Doppelte dafür, dass das Tier gut gepflegt wird. Morgen will ich ein frisches." schlug Armand vor und da sich der Blick des Alten zwar klärte, er aber noch skeptisch blieb was die Integrität seines Gastes betraf, fügte er schnaubend hinzu:
"Ich werde morgen Nacht zurück reiten. Das Pferd könnt Ihr behalten, das andere gebe ich ab. Natürlich werde ich Euer Haus empfehlen." Das schien zu genügen. Der Alte bellte seinem Enkel zu, dass er sich um das Tier kümmern sollte und wartete, bis Armand seinen Brief fertig geschrieben hatte.
"Das kostet aber auch noch mal…" Armand unterbrach ihn und ließ einige Münzen auf den Tisch fallen.
"Das sollte genügen." knurrte er. Die Münzen wurden hastig eingesammelt und das zahnlose Grinsen des Alten wurde breiter.
"Mehr als genug, mehr als genug!" bestätigte er und begleitete Armand zu seinem Zimmer. Auch wenn es gemütlich eingerichtet war, hatte Armand nur noch Augen für das Bett. Er zog die Vorhänge zu, verriegelte die Tür, warf seinen Mantel über einen Stuhl und zerrte mühsam seine schmutzigen Stiefel von den langen Beinen. Dann ließ er sich auf das Bett fallen und verzog das Gesicht. Ihm tat jeder einzelne Knochen weh. Die Ruhe würde ihm gut tun und morgen konnte er zurück. Vielleicht hatte sich Anya ja inzwischen wieder zu Hause eingefunden. Mit diesem hoffnungsvollen Gedanken schlief er ein.

1 Kommentar:

  1. Gestern Abend in True Grit habe ich noch gesehen, wie man ein Pferd wirklich zu Schanden reitet :) Jag es durch die Nacht, wenn die Sporen nicht mehr helfen jag ihm das Messer in die Flanke und, wenn es erschöpft am Boden liegt, jag ihm eine Kugel in den Kopf.

    So weit hat es Armand dann wohl doch nicht getrieben. Aber was treibt er denn jetzt? Er kehrt um? Schickt nur einen Brief nach Florenz?

    Was wird denn dann aus dem Brief, wenn Anya gar nicht inFlorenz ist? Nicht, dass dann jemand mal nachschaut, was denn da so in Marseille los ist? Sobald der Alte tot ist, ist vermutlich auch der Frieden mit den Sanghieris hinüber.

    Liebe Grüße
    Joe

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