Freitag, 2. November 2012

Noctambule III: Die alte Mühle

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Nach gut zwei Stunden Fahrt erreichte die große Reisekutsche die verlassene Mühle am Vaucluse, der sich in dieser Jahreszeit stets zu einem reißenden Strom voller Schmelzwasser aus den Vogesen verwandelte. Wäre das schwere Mühlrad noch intakt gewesen, hätte es spätestens jetzt den Gewalten des Flusses nachgegeben. Offenbar hatten die Erbauer der Mühle die Kräfte des Wassers an dieser Stelle unterschätzt und man hatte das Gebäude schließlich aufgegeben.

Während Maurice und Jocelyn eifrig in den verlassenen Räumen herumliefen, Feuerholz sammelten, Kamin und Ofen wieder in Gang setzten und versuchten, den Staub hinauszufegen, erkundeten Armand und Anya mit dem kleinen Raoul die kleinen Zimmer.
"Einmal mehr muss meine Kleine auf den Komfort verzichten und auf dem Boden schlafen." schmunzelte Armand mit bedauerndem Blick und zog Anya in seine Arme. Doch sie zuckte nur mit den Schultern und blickte lächelnd zu ihm auf.
"Ich bin bei dir und Raoul ist gesund. Das ist alles, was ich brauche." raunte sie ihm zu, woraufhin Armand sich zu ihr herab beugte und ihr einen sachten Kuss auf die Stirn hauchte. Still blickten die Beiden sich an, während in der Ferne leises Donnergrollen zu hören war. Über den Bergen schien sich ein Unwetter zusammenzubrauen.
Sergej blieb mit Miriam in der Kutsche, um dort zu warten, bis einer der Räume für sie bereit war. Er hatte sie keine Sekunde von seinem Schoß herunter gelassen und war die ganze Fahrt über darauf bedacht gewesen zu verhindern, dass sie zu sehr durchgeschüttelt wurde. Lächelnd hatte er sie beobachtet, wie sie vor Erschöpfung eingeschlafen war, den Kopf an seine Brust gelehnt und noch immer den Ring zwischen ihren Händen haltend.
Doch als Jocelyn die Tür der Kutsche öffnete, erwachte sie blinzelnd und schaute fragend zu Sergej hoch.
"Wir sind da, mein Engel." murmelte er leise und hob sie an, um vorsichtig mit ihr aus der Kutsche zu klettern. Die kühle Nachtluft weckte Miriam nun vollständig, doch in der Dunkelheit konnte sie außer den Umrissen der Mühle nicht viel erkennen.
"Wo genau sind wir denn?" murmelte sie schwach. Sergej spürte den schmerzhaften Stich in seiner Brust wie immer, wenn er die Schwäche ihrer Stimme hörte. Vorsichtig wie ein rohes Ei trug er sie hinein, geführt von Jocelyn, die zielstrebig ein Zimmer ansteuerte.
"Nur noch eine Tagesreise von deinem Gut entfernt." erklärte er lächelnd und schaute sich in dem Zimmer um. Jocelyn hatte wieder einmal gezaubert. Die ehemalige Stube des kleinen Hauses war der einzige Raum mit einem Kamin. Nur noch die Küche hatte einen Ofen, in dem ebenfalls schon das Feuer prasselte, doch dort war es nicht halb so wohnlich wie hier.
Das kaputte Fenster hatte Jocelyn mit einem Umhang abgehängt, damit die Nachtluft nicht zu heftig herein wehte. Gegen die kaputten Fußbodendielen hatte sie nichts ausrichten können, doch dicht vor dem Kamin hatte sie aus dem Sack mit den Stoffresten für Raouls Windeln ein notdürftiges Lager hergerichtet. Der Wasserschlauch mit frischem Quellwasser lag in griffbereiter Nähe neben ein paar Äpfeln. Jocelyn wusste zwar, dass Sergej nicht unbedingt Äpfel benötigte, doch ihrer Meinung nach strahlte dieses kleine Stilleben einen Hauch von Wohnlichtkeit aus.
"Das hast du schön gemacht, Jocelyn." lobte Sergej die Arbeit des Mädchens, woraufhin er ein strahlendes Lächeln erntete. Doch sie deutete bedauernd auf das kaputte Fenster mit dem Umhang, der sich immer wieder aufblähte.
"Das ist genau die Wetterseite und ich weiß nicht, wie ich es zumachen kann." entschuldigte sie sich leise. Hinter Sergej machte sich Armand bemerkbar.
"Kein Problem. Lass mich mal ran." meinte er und ging in langen Schritten durch den Raum. Sein Ziel war ein alter, sehr massiver Holzschrank, der bereits deutlich bessere Zeiten gesehen hatte. Eine Tür hing schief in den Angeln, ein Fuß war abgebrochen und Holzwürmer hatten große Teile des Innenlebens bereits in feine Sägespäne verwandelt.
Mit einigen gezielten Tritten entfernte Armand die drei intakten Füße bis der Schrank rumpelnd auf den Boden sackte. Dann packte er ihn und zog ihn ohne nennenswerte Kraftanstrengung über den Boden, was lärmendes Quietschen zur Folge hatte. Jocelyn hielt sich die Ohren zu und auch Miriam verzog kurz das Gesicht. Doch dann stand der alte Schrank fest vor dem Fenster und verdeckte die komplette Fläche. Seine Rückwand hielt den Wind ab und würde auch verhindern, dass es zu heftig hereinregnen würde, wenn das Gewitter ins Tal kommen sollte.
Jocelyn klappte der Mund auf, als sie die enorme Kraft sah, mit der Armand scheinbar mühelos den Schrank verstellt hatte. Doch war sie die Einzige, die sich damit beschäftigte, denn Sergej nickte nur dankend und trug Miriam zu dem Lager, während Armand noch den Umhang hinter dem Schrank heraus fischte und schnell als Unterlage auf die Stoffreste legte, bevor Sergej Miriam dort ablegen konnte. Mit einem kurzen Lächeln zu Sergej verließ Armand das Zimmer wieder und schloss die Tür, die in ihren rostigen Angeln protestierend quietschte.

1 Kommentar:

  1. Also noch eine Zwischenetappe...

    Man macht es sich bequem und richtet sich ordentlich ein. Das find ich gut. Allerdings befürchte ich, Sergej will warten, bis sie auf dem Gut sind, bevor er Miriam verwandelt.

    Sagte ich schon, dass er VIEL ZU LANG WARTET... DU TROTTEL....

    Aber vielleicht besinnt er sich ja noch in dieser Nacht.

    Der Weg zu besagtem Kloster scheint kürzer gewesen zu sein, als gedacht. Schließlich steckt die Gruppe scheinbar im gleichen Unwetter wie Yanis.
    So macht es jedenfalls den Eindruck.

    Jetzt ist nur noch zu überlegen, wo die Sanghieri gerade sind.

    LG
    Joe

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