Sonntag, 7. Oktober 2012

Noctambule III: Das Kreuz

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Maurice hatte den Anweisungen zufolge den Wagen auf den breiten Hauptweg gelenkt. Eigentlich war der Begriff Hauptweg schon ein wenig übertrieben, denn es war eher ein breiter Feldweg mit tief eingefahrenen Furchen, aus denen der Wagen nur schwer und holpernd herauszulenken war. Hin und wieder hatten die Brüder offensichtlich Erde aufgeschüttet, wenn der Regen die Furchen zu tief ausgespült hatte.


Aus Rücksicht auf das Baby hatte Maurice ein langsames Tempo eingeschlagen, zudem er davon überzeugt gewesen war, mit dem Wagen ohnehin keine Chance zu haben, die Vampire einzuholen und hilfreich einzugreifen. Er war inzwischen nicht mehr von der Meinung abzubringen, dass kein Mensch eine Möglichkeit hatte, sich gegen einen Vampir zu behaupten.
Ab und zu dankte er Gott stumm dafür, unentbehrlich für Armand geworden zu sein, sodass ihm keinerlei Gefahr drohte. Auch wenn er hin und wieder schon einmal das Aufblähen der Nase bei einem der Drei gesehen hatte, wenn er zu nah an ihm vorbeigegangen war und offensichtlich Hunger da war. Jedes Mal stockte sein Herzschlag, was er natürlich niemandem zeigte. Dafür war seine Butlerwürde zu stark.
Schon der erste Schrei, den er hörte, verpasste ihm eine kalte Gänsehaut. Noch nie hatte er so viel Qual in der Stimme einer jungen Frau gehört und er wünschte es auch nie wieder zu hören, doch der zweite Schrei folgte kurz darauf und war noch viel schlimmer. Zu allem Übel hätte er darauf schwören können, die kleine Comtesse erkannt zu haben.
Mindestens ebenso schlimm war die Tatsache, dass der Schrei aus einer ganz anderen Richtung kam als die, in die das Dreiergespann aufgebrochen war. Und der Schrei war sogar noch recht nah. Ohne weiter nachzudenken trieb er die Pferde plötzlich an und warf dabei einen besorgten Blick über die Schulter zu Jocelyn.
"Es wird nun etwas holprig. Pass gut auf!" warnte er das Mädchen und konzentrierte sich nun auf den Weg im Dunkel. Der Wagen ratterte und polterte über den Weg, die Hufe der Pferde donnerten auf den trockenen Boden. Doch Maurice sah keine Möglichkeit, das zu ändern. Der Lärm würde wahrscheinlich diesen Bauernburschen warnen. Maurice hoffte sogar, dass das Getöse des Wagens den Peiniger in die Flucht schlagen würde.
Es ging ihm noch immer nicht schnell genug und er trieb die Pferde immer weiter an, als er plötzlich erschreckend nah das Aufflackern von Flammen sah. Wie gebannt starrte er auf den leichten Feuerschein und überlegte noch, warum er das Feuer jetzt erst sah, als die kleinen Flammen offenbar frische Nahrung fanden und aufflackerten. Abrupt bremste er die Pferde ab bis der Wagen zum Stehen kam und befestigte hastig die Zügel.
"Du bewegst dich nicht aus dem Wagen heraus, verstanden?" befahl er Jocelyn und hört ein zustimmendes Geräusch während er in den Wagen griff und nach dem Knüppel tastete, der immer griffbereit lag, weil Maurice unterwegs mit allem zu rechnen pflegte. Als er sich wieder aufrichtete, sah er aus dem Augenwinkel zwei vorbeihuschende Schatten, Sekunden später dann den dritten. Blinzelnd versuchte er, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, schüttelte dann aber den Kopf. Wieder einmal war er fassungslos über die Geschwindigkeit der drei Freunde.
Doch auch, wenn er nicht so schnell sein konnte wie sie, kletterte er hastig vom Bock herunter und rannte in die Richtung des Feuers, das immer heller wurde. Kurz streifte ihn mit einem bitteren Beigeschmack der Gedanke, dass er früher mit Leichtigkeit vom Kutschbock heruntergesprungen wäre. Er war wirklich nicht mehr der Jüngste, doch jetzt war nicht der Moment sich auszuruhen. Entschlossen konzentrierte er sich auf das Geschehen vor sich.
Das Feuer leuchtete nun weithin sichtbar und erhellte zu Maurices Entsetzen auch das Szenario. Gleichzeitig setzten erneut die gellenden Schreie ein. Maurice erkannte einen hohen Scheiterhaufen, aus dessen Mitte ein stabiles Kreuz ragte. An diesem Kreuz hing der kraftlose Körper Miriams. Sie starrte unter sich auf das hochzüngelnde Feuer, das nun den Saum ihres Kleides erfasste und sich in rasantem Tempo hoch fraß. Miriam schrie und schrie. Der Anblick des brennenden Mädchens lähmte Maurice so sehr, dass er fassungslos stehen blieb.
Wie in Zeitlupe nahm er wahr, dass Sergej den Scheiterhaufen hochsprang. Er versuchte, das Kreuz mit Miriam einfach aus dem Feuer zu reißen, doch es musste gut verankert worden sein. Seine Stiefel schützten ihn nicht lang vor dem Feuer, dann begann seine Hose bereits zu brennen. Maurice musste mit ansehen, wie Sergej verzweifelt an ihren Fesseln zerrte und selbst in Brand geriet. Plötzlich wurde Sergej in hohem Bogen von dem Kreuz weggeschleudert.
Maurice konnte den Grund nicht sofort erkennen, doch er sah, dass Sergej hart auf den Boden aufschlug. Sofort war Anya bei ihm und schlug auf die brennende Kleidung ein. Maurice erkannte nun Armand, der mit einem langen Satz über seinen liegenden Freund hinweg sprang, in der rechten Hand ein langes Messer haltend. Noch während Maurice sah, wie Armand den brennenden Rock von Miriams Körper riss und das Feuer auseinander trat, erkannte er auch den Grund für Sergejs Sturz. In seiner Schulter steckte der lange, stabile Pfeil einer Armbrust.
Hastig glitt Maurices Blick auf die gegenüberliegende Seite, doch das Feuer blendete ihn. Dort drüben, irgendwo in der Dunkelheit war der Feind und Maurice hätte geschworen, den Namen des Feindes zu kennen.
Den Knüppel fest in seiner Faust haltend rannte er los und umrundete das Feuer dabei in großem Bogen. Nun achtete er nicht mehr auf den Schauplatz sondern konzentrierte sich auf den Schuppen, der ein gutes Stück vom Feuer entfernt im Halbdunkel lag, nur schwach erhellt von dem Feuer, das Armand nun bekämpfte.
Dann sah er Yanis.
In all dem Chaos, das er ausgelöst hatte und von Miriams gellenden Schreien begleitet wurde, kniete Yanis völlig ruhig hinter einem Holzstapel, die schwere Armbrust auf dem Holz abgestützt und zielte auf den Scheiterhaufen. Maurice ahnte, dass er Armand anvisierte und warf einen kurzen Blick auf das Bild vor sich. Armand sprang immer wieder zu dem Kreuz hinauf, musste aber schnell wieder herunter, denn die Flammen fanden ständig neue Wege. Gemeinsam mit Anya versuchte er nun, das brennende Holz weiter auseinander zu treten und damit zu verhindern, dass Miriam erneut in Flammen stand.
In Maurice wuchs der Zorn auf den jungen Mann vor sich. Dieser Kerl bedrohte nicht nur seine Freunde, er hatte Miriam mit unvorstellbarer Brutalität gequält. Maurice war kein Freund von Gewalt und bevorzugte kultivierte Gespräche, doch bezweifelte er massiv, dass Yanis ein adäquater Gesprächspartner sein würde.
Entschlossen hob er den Knüppel weit über den Kopf und zielte. Für eine Sekunde setzte die Hemmung ein, jemanden absichtlich zu verletzen, dann presste er die Augen zusammen und schlug zu.

1 Kommentar:

  1. Wie unerwartet!

    Alle sind nun am Ort des Geschehens und Yanis rechnet nicht damit, dass jemand ihm von hinten auflauert.

    So hat Maurice die Chance sich bei Armand und den anderen völlig unsterblich und unentbehrlich zu machen.

    Jetzt müssen sie nur noch schnell genug sein und Miriam da herunterholen. Yanis muss eine unglaubliche Konstruktion gebaut haben, wenn die Vampire sie nicht zerreissen können.

    Das Feuer zu zertreten ist jedenfalls eine gute Idee. Und danach wird Miriam wohl lnichts übrig bleiben, als sich verwandeln zu lassen - oder sollte ich eher sagen, dass Sergej keine Wahl hat, ihr diesen Gefallen endlich zu erweisen?

    Die Verletzungen durch die Nägel würden allein schon genügen sie für Monate außer Gefecht zu setzen und in einer Zeit ohne Antibiotika ernsthaft in Lebensgefahr zu bringen. Nun auch noch gepaart mit den üblen Verbrennungen muss die Entscheidung gefallen sein.

    Doch zuerst müssen sie das arme Ding da endlich herunterholen.

    Sergej wird wohl auch bald hilfreich eingreifne können. Ein Pfeil in der Schulter ist nichts, was einen Vampir weiter außer Gefecht setzen sollte. Jedenfalls nicht für lange.

    Und wie ich es vermutet hatte: Yanis hatte genau einen Schuss.

    LG
    Joe

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