Samstag, 27. Oktober 2012

Noctambule III: Das ist Liebe

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

"Monsieur Komarov! Ich erinnere mich!" begrüßte Anselm ihn, doch seine Herzlichkeit hielt sich in Grenzen. Die Anfrage des Russen damals hatte ihn gefreut und geehrt, doch nun entwickelte sich das Ganze zu einer recht dubiosen Geschichte.
Allerdings musste er zugeben, dass der junge Mann sich erfreulich festlich gekleidet hatte. Würde ein Entführer das tun? Anselm entschied, dass ein Entführer das durchaus tun würde, um der sorgfältige konstruierte Lügengebilde bis nach der Hochzeit aufrecht zu erhalten. Der Mönch lebte zwar gerne zurückgezogen, doch bedeutete das noch lange nicht, dass er weltfremd war.


Komarov verbeugte sich galant vor ihm und zeigte ein vorsichtiges Lächeln. Anselm war der Blickkontakt zwischen dem Russen und dem Riesen, der ihm gefolgt war, nicht entgangen.
"Pater, wir kommen später als angekündigt und doch überraschend, ich weiß. Ich denke dennoch, dass unsere Abmachung noch gilt." Anselm schürzte nachdenklich die Lippen und versuchte, das Innere der Kutsche zu erkennen.
"Abmachung hin oder her, junger Freund! Ich bestehe darauf, die Papiere zu sehen und ich bestehe ebenso darauf, ein paar Worte mit der jungen Braut zu wechseln, bevor ich allem zustimme." erklärte er ruhig und verschränkte die Arme vor der Brust, die Hände in den weiten Ärmeln der Soutane versteckend. Zu seiner Überraschung nickte der Bräutigam ruhig und zog ein Bündel Papiere aus der Tasche, das er ohne Umschweife dem Mönch entgegen streckte.
Während Anselm ungläubig die Papiere auseinander faltete, kletterten drei weitere Personen aus der Kutsche. Anselm schaute verwundert auf, denn mit einem jungen Mädchen, einem älteren Mann und einer Frau mit Kind hatte er nicht gerechnet. Die Zwei brachten seinen ersten Eindruck erneut ins Wanken. Welcher Entführer würde so viele Eingeweihte haben? Skeptisch drehte er sich zum Licht der Laternen, die dank eines Spiegels das Kerzenlicht bündelten und verstärkt nach vorne warfen.
Das erste Papier war ein Brief eines Mannes, der unter Angaben von Namen und Wohnort sich als Oheim auswies. Zu Anselms großem Schreck handelte es sich offenbar um eine Comtesse, ein Waisenkind und noch dazu minderjährig. Misstrauisch musterte er erneut den Russen, der eine leichte Verbeugung machte und ein Schmunzeln zeigte. Als habe er die Gedanken Anselms lesen können, meinte er gelassen:
"Ich kann euch beruhigen. Meine Zukünftige ist im Vergleich zu meinem eigenen Vermögen beinahe mittellos. Ich bin kein Heiratsschwindler, der es auf das Vermögen einer hilflosen Waise abgesehen hat." Anselm wurde rot und senkte den Blick wieder auf die Papiere. Das Siegel und die Unterschrift wirkten echt. Zudem entdeckte er auf dem zweiten Papier die Bestätigung eines Richters, dass das erste Papier in seiner Gegenwart von dem Vormund der Comtesse verfasst worden sei. Ob Anselm es nun wollte oder nicht, er konnte keinerlei Gesetzesverstoß erkennen. Er faltete die Papiere zusammen und gab sie dem Bräutigam zurück.
"Nun, die Papiere mögen eure lauteren Absichten bestätigen, Monsieur. Dennoch entscheide ich erst nach dem Gespräch mit der Braut, wenn's Recht ist!" erklärte er fest. Das knappe Nicken des Russen hatte er erwartet, doch war ihm der Riese neben sich nicht entgangen, der den Kopf gesenkt und ihn eindringlich angesehen hatte, auch wenn Anselm tapfer den Blick zu ihm vermied. So presste er nur kurz die Lippen aufeinander, raffte seine Soutane und kletterte in das Innere der Kutsche, nachdem ihm die Tür aufgehalten worden war, die der kleine Mönch mit Nachdruck wieder schloss.
Anselm hatte noch nicht viele Kutschen von innen gesehen, doch diese hier gehörte zu der Klasse, die nur von wirklich reichen Menschen genutzt wurden. In einer Ecke hing eine kleine, leicht abgedunkelte Laterne mit einer Kerze, die den Innenraum in weiches Licht tauchte. Das Innere war größer als man von außen erwartete. Beide Bänke waren weich gepolstert und breit genug, um jeweils drei Menschen aufzunehmen, sofern nicht Damen mit ausladender Kleidung mitreisten. Gegenüber von der Seite, auf der der Mönch eingestiegen war, saß in warme Decken gehüllt und sorgfältig mit Kissen abgestützt eine junge Frau in strahlendem Weiß.
Anselm erschrak über die Blässe der Braut ebenso wie über den seltsamen Glanz in ihren Augen. Ihm entgingen nicht die beiden Verbände an ihren Händen, allerdings auch nicht der aufgeregte, freudige Blick, mit dem sie ihn begrüßte. Sofort wurde der dicke Mönch weich und sanft. Er setzte sich ihr gegenüber und räusperte sich, doch sie ergriff als Erste das Wort.
"Verzeiht, dass ich Euch nicht gebührend begrüßen kann, mon pere." Anselm hob abwehrend die Hände und lächelte, auch wenn er bestürzt war über die Schwere ihrer Zunge und das leichte Lallen.
"Ich bitte Euch, Comtesse! Gerade ist nichts so, wie es üblich ist, dann wollen wir auf solche Kleinigkeiten verzichten, hm? Man sagte mir, Ihr seid schwer erkrankt?" Seine Augen lagen prüfend auf ihrem Gesicht, das er eigentlich als sehr hübsch empfand, jedoch deutlich von Krankheit und Schmerzen gezeichnet war. Nun nickte sie und gleichzeitig flog ihr Blick sehnsüchtig zur Tür, hinter der ihr Verlobter stand und auf sie wartete.
"Und er will mich trotzdem heiraten. Das ist Liebe, nicht wahr?" In Anselm schmolzen die ersten Zweifel und er lächelte sie warm an.
"Ja, so scheint es zu sein, Comtesse. Doch warum so überstürzt? Warum nicht so, wie es einer jungen, schönen Braut gebührt? Vermisst Ihr denn nicht die vielen Gäste, den Sonnenschein, den hohen Staat, Tränen von Verwandten, Lachen, Tanzen und den ganzen Tag feiern?" Noch während er sprach bereute er bereits seine Worte, denn über ihr Gesicht legte sich ein Schatten der Trauer. Sie schluckte schwer und atmete mehrmals tief ein, bevor sie antwortete.
"Meine Familie ist tot, Pater. Meine Freunde sind hier, da draußen. Der Mann, den ich über alles liebe, wartet dort auf mich. Ich möchte vor Gott heiraten, mon pere. Vielleicht werde ich nie wieder gesund und kann mir diesen Wunsch nie erfüllen." Sie hob hoffnungsvoll den Blick und sah ihn eindringlich an. "Ist Gott die Tageszeit denn wichtiger als das Bündnis zweier Liebender selbst?"

1 Kommentar:

  1. Respekt, kleine Miriam, Respekt!

    Sie hatte vermutlich Zeit sich die Worte zu überlegen, während der Anreise und auch während des Gesprächs vor der Tür.

    Nun ist se ganz trunken vor Liebe und vor Laudanum ;) Aber dennoch weiß sie, was sie will!

    Und ich bin sicher, dass auch Anselm jetzt sicher ist, dass es sich an dieser Stelle nicht um eine Entführung sondern um eine Hochzeit aus Liebe handelt. Und genauso sicher in ich, dass er jetzt nichts mehr entgegen zu setzen hat.

    Nun bleibt zu hoffen, dass die Sanghieri diesen Moment nicht zerstören, indem sie zur falschen Zeit auftauchen.

    Viel Glück, Miriam und Sergej.
    Ihr habt es bald geschafft.

    LG
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.