Freitag, 14. September 2012

Wofür brauchen wir einen Anwalt?

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Übersicht Nadja

Etwas enttäuscht sah Maria Nadja auf den Schulhof laufen. Mykola war wieder nicht gekommen. Dabei hätte sie doch so gern noch einmal seine Variante der Geschichte gehört. Nicht, dass sie Nadja misstraute, doch die Geschichte erschien ihr so weit von dem entfernt, was sie von ihrem Vater kannte. "Du solltest doch drinnen warten!", maulte Nadja sie an. "Drinnen ist blöd.", patzte Maria direkt zurück und packte nun ihre Sachen.

Nadja beließ es dabei. Sie sah sich noch einmal um, aber konnte Mykola nirgendwo entdecken. Er war also auch heute hier nicht vorbei gekommen. So richtig hatte sie allerdings auch nicht damit gerechnet. "Ich glaube du wirst Papa schon bald wiedersehen.", fing Nadja dann auf dem Rückweg zum Auto an. Maria blieb abrupt stehen und starrte Nadja hinterher. Mit zwei Laufschritten hatte sie ihre Schwester wieder eingeholt. "Wie meinst du das?", hechelte sie. "Setz dich!", antwortete Nadja und hielt sie damit hin. Sie waren mittlerweile am Auto angekommen.

Als sie beide saßen und angeschnallt waren, lechzte Maria weiter. "Wie hast du das gemeint?", bettelte sie. "Tja.", begann Nadja gedehnt, "Papa hat Mama verklagt, oder angezeigt. Ist auch egal. Jedenfalls hat er vor Gericht behauptet, Mama hätte uns mit in die USA genommen, obwohl sie sich ja eigentlich gemeinsam um uns gekümmert hätten." Maria blieb der Mund offen stehen. "Aber er hat sich doch gar nicht um uns gekümmert.", entfuhr es ihr spontan. "Leider.", schob sie leise nach.

"Trotzdem hat er das behauptet. Und auf dem Papier hatten die beiden wohl auch das gemeinsame Sorgerecht. Jedenfalls musst du am Montag nicht in die Schule. Sondern ins Gericht. Da ist der Termin. Und ich denke, da wirst du Papa wiedersehen.", erklärte Nadja leicht triumphierend. Maria saß völlig überwältigt im Beifahrersitz und starrte abwesend nach vorne. Mit diesem Vorwurf kam sie nicht klar. Papa hatte sich nie um sie gekümmert, seit der Scheidung. Er war nur noch dieses eine Mal dagewesen. Und alles was sie danach von ihm mitbekommen hatte, war, dass sie auf einmal kein Geld mehr hatten, weil er wieder geheiratet hatte. Ansonsten war er aus ihrem Leben von heute auf Morgen einfach verschwunden.

"Wir sprechen gleich bei Joe mit einem Anwalt. Mama kommt auch.", unterbrach Nadja die Stille. "Wofür brauchen wir denn einen Anwalt?", fragte Maria perplex. "Damit Papa uns nicht mit zurück in die Ukraine nimmt, zum Beispiel.", gab Nadja stumpf zurück. "Ich will nicht zurück! Hier ist es viel schöner!", kreischte Maria sofort. "Siehst du? Dafür brauchen wir einen Anwalt." Maria versank wieder in ihrem Sitz und knetete die Riemen des Rucksacks, welchen sie einfach zwischen ihre Beine gestellt hatte. Das lief so gar nicht, wie sie sich das vorgestellt hatte.

2 Kommentare:

  1. Ich bleibe bei meiner Meinung, dass auch Jugendliche das Recht haben, alles zu erfahren, was Eltern und Familie beschäftigt oder bedroht. Sie nur in Watte zu packen löst irgendwann Schock und Angst aus und das ist nun wahrlich nicht das, was man unter "für das leben vorbereitet" versteht. Zudem fühlen sich die Jugendlichen dann ernst genommen und können selbst etwas sinnvolles beitragen und ich erfahre immer wieder, dass sie genau das auch wollen.

    Maria war nun bisher in einer rosafarbenen Welt, in der die Schule nervt und manche Jungen dazu beitragen, dass alle Jungen blöd sind. Andere Sorgen kannte sie offenbar nicht. Auch ihren Vater hat sie ja nicht besonders vermisst.
    Mit seinem Auftauchen wurden Wünsche wach und vielleicht hat Maria auch erkannt, was ihr all die Zeit gefehlt hat ohne dass sie es merkte. Zwar hat Mykola die Wunschrolle gar nicht ausgefüllt, aber es hätte ja sein können, dass er es nun tut.

    Tut er aber nicht. Im Gegenteil. Nicht nur, dass er gegen ihre Mutter agiert, nun greift er ihre heile Welt an, indem er sie einfach aus ihr herausreißen könnte. Ich bezweifle zwar, dass die USA Kinder zwangsweise von ihrer Mutter trennen, wenn es ihnen bei ihr gut geht, nur weil der Verdacht der Kindesentführung aufkommt. Aber man weiß ja nie, was einem pfiffigen Anwalt so alles einfällt und die Lage sieht im ersten Moment überhaupt nicht gut für Lelya aus.
    Aber es ist gut, dass Nadja ihre kleine Schwester aufgeklärt hat, was gerade passiert. Sie werden enger zusammen rücken, die beiden Schwestern. Aber nun müssen sie erst einmal alles tun, um ihre Mutter zu unterstützen.
    Auf auf, Mädels! Erzählt dem Anwalt mal, was alles in der Heimat passiert ist! Und macht ihm klar, dass Lelya die Kinder nur schützen wollte mit dem Wegzug. Vor wem? Vor dem gewalttätigen, egoistischen Drecksack von Vater!

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  2. Sehr gut, Nadja! Erzähl ihr was euer Vater jetzt macht um die Familie wieder auseinander zureissen. Mach ihr Angst, dass ihr neues, schönes Leben in den USA bald vorbei sein könnte, wegen Mykola.
    Maria wird Mykola dann nicht mehr durch die rosarote Kinderbrille sehen, sondern das sehen, was die anderen schon lange erkannt haben.
    Aber ich kann mir auch nicht vostellen, dass ein Gericht die Kinder Mykola zuspricht. Er ist in den USA und ja auch in der Ukraine, arbeitslos und wohnungslos. Im Zweifelsfall könnte ich mir auch vorstellen, dass Joe als Vormund einsprngen könnte.

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