Sonntag, 23. September 2012

Noctambule III - Rückblick: Neue Flecken

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Calais 1588

Der Eintopf war ausgezeichnet. Kochen konnte seine Frau wirklich gut, selbst aus den Resten schaffte sie es immer wieder, schmackhafte Mahlzeiten herzustellen. Dass er seinen Löffel viel zu voll schaufelte und immer wieder etwas herunter tropfte und seinen mächtigen Bauch bekleckerte, störte Jérôme nicht weiter. Auch Maria, seine Frau, nahm dies inzwischen nur noch mit stummen Seufzern zur Kenntnis. Jérômes Tischlerei warf genug Einkommen ab, um es sich leisten zu können, die junge Näherin und Wäscherin zu beschäftigen, die sogar die hartnäckigsten Flecken beseitigen konnte.



Das Essen verlief meistens stumm. Maria hatte ihrem Mann zwar einiges zu erzählen, was am Tage geschehen war, aber Jérôme hatte deutlich gemacht, dass ihn das Meiste nicht interessierte. 

Seitdem die Stadt im Aufschwung war, lief seine kleine Werkstatt immer besser. War sie vorher schon gut genug gewesen, um seinen Lebensunterhalt zu garantieren, profitierte er nun davon, dass die Menschen Häuser und Möbel brauchten.
Sein neuer Reichtum erreichte die Familie nur teilweise. Er investierte natürlich viel in den Betrieb, viel mehr aber in sein eigenes Vergnügen, was zum großen Teil die Schuld seiner Frau war. Hätte sie sich nicht in ein langweiliges Hausfrauchen verwandelt, seitdem die Kinder da waren, wäre vieles anders, davon war er überzeugt. Die Erziehung seiner Kinder ging komplett an ihm vorbei. Wenn er spät abends müde nach Hause kam, wollte er nicht noch mit deren lächerlichen Problemen behelligt werden. Ihn interessierten die häuslichen Belange nicht und er wollte damit auch nicht konfrontiert werden.
Er selbst arbeitete schon lange nicht mehr in der Werkstatt. Er leitete den Betrieb, eröffnete eine zweite Tischlerei und kontrollierte den Eingang und die Bearbeitung der Aufträge. Die fehlende schwere körperliche Arbeit führte dazu, dass er seine athletische Figur verlor, doch das kümmerte ihn nicht. Körpergewicht war nun einmal ein Zeichen für Reichtum, auch wenn die noblen Herrschaften es lieber vorzogen, wie Hungerhaken herumzulaufen, weil die Kirche Abstinenz von den echten Gläubigen verlangte. Das war natürlich alles Humbug!

An diesem Abend war er früher als sonst nach Hause gekommen. Die ausschweifende letzte Nacht hatte ihm den ganzen Tag lang heftige Kopfschmerzen beschert. Er war müde und schlecht gelaunt. Maria spürte das durchaus und warf den Kindern mahnende Blicke zu. Dennoch hoffte sie darauf, dass Jérôme nach dem Essen besser gelaunt sein würde und füllte daher gerne seinen Teller ein zweites Mal auf.
Besorgt stellte sie fest, dass ihre Kinder sich verstohlene Blicke zuwarfen. Clara, die sechsjährige Tochter, verstand es meistens, sich unsichtbar zu machen, wenn ihr Vater zu Hause war. Sie blieb still und ihre Strategie ging soweit auf, dass Jérôme seine Tochter meistens einfach übersah. Störte sie ihn, reagierte sie mit großem Augenaufschlag auf sein Knurren, was ein Schnauben zur folge hatte, doch er ließ sie offensichtlich besänftigt in Ruhe.
Mehr Sorgen bereitete ihr der dreizehnjährige Dominique. Er musterte seinen Vater immer wieder mit einer unterschwelligen Feindseligkeit, die er noch nicht wagte, in voller Energie zu entfalten. Als ein erneuter Schwall auf den Bauch kleckerte, huschte ein kurzer, verachtungsvoller Ausdruck über sein Gesicht, ehe er den Kopf wieder über seinen Teller neigte. Maria warf ihm einen warnenden Blick zu und wandte sich schnell ab, damit Jérôme diese kurze Zwiesprache nicht bemerkte.
Aber er hatte es bemerkt und ließ seinen kritischen Blick von Dominique zum Rücken seiner Frau schweifen.
"Was ist?" herrschte er seinen Sohn an. Dominique zuckte mit den Schultern, worauf hin Jérôme noch finsterer schaute. "Was passt meinem Herrn Sohn nicht?" Maria drehte sich hastig wieder um und griff nach der Wasserkanne.
"Möchtest du noch etwas trinken, Jérôme?" fragte sie eilig. Er beachtete sie nicht, sondern starrte seinen Sohn an. Dieser hob den Kopf und straffte sich.
"Du kleckerst wieder!" erklärte er abweisend. Jérôme ließ den Löffel sinken und beugte sich vor.
"Und das stört den feinen Herrn wohl?" fragte er missmutig. Maria warf ihrem Sohn erneut warnende Blicke zu und schenkte einfach noch einmal Wasser in Jérômes Becher.
"Ich habe nur noch ein sauberes Hemd. Agnes kam heute nicht wie versprochen mit der sauberen Wäsche. Das ist noch nie vorgekommen." versuchte sie im Plauderton die Stimmung zu beschwichtigen.
"Dann wäschst du eben selbst, verdammt!" fuhr Jérôme sie an. "Oder ist Madame sich inzwischen zu fein dazu, ihrem Mann ein Hemd zu waschen?" Maria zuckte mit verletztem Gesichtsausdruck zusammen.
"Du könntest auch einfach mal vernünftig essen und aufpassen!" entfuhr es dem Jungen. Sofort zog er den Kopf ein, doch Jérôme reagierte blitzschnell. Seine Hand schoss vor und traf mit lautem Knall Ohr und Wange des Jungen.
"Nicht!" Marias flehender Ruf verhallte ungehört. Clara verzog bereits das Gesicht weinerlich, Dominique hielt sich am Tisch fest und presste die Lippen aufeinander. Doch Jérômes Wut brach nun voll aus. Beim Aufstehen packte er den Kopf seines Sohnes an den Haaren und zerrte ihn vom Stuhl hoch. Diesmal traf die Faust und der Junge flog durch den Raum gegen das Bett. Jérôme stapfte hinterher, aber Maria bremste ihn, indem sie sich an seine Brust warf und flehend zu ihm aufsah.
"Jérôme! Lass ihn!" schrie sie. Sie hatte ihr Ziel erreicht, denn die Wut ihres Mannes schwenkte auf sie um. Er schob sie grob von sich und schlug mit voller Kraft in ihr Gesicht. Sie taumelte zurück und fing sich wieder, während Clara im Hintergrund laut zu weinen anfing.
"Willst du mir vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, du faule Schlampe?" brüllte Jérôme und schlug erneut zu. Maria hob schützend die Arme über den Kopf und sackte an der Wand zusammen. Ein heftiger Tritt gegen ihre Beine ließ sie auf den Boden rutschen, dann spürte sie den Körper ihres Sohnes, der sich über sie geworfen hatte. Sie hörte die dumpfen Schläge, die Dominique trafen und schlang schützend ihre Arme um seinen Leib. Dann polterte Jérôme mit wütendem Schnaufen aus dem Haus und ließ eine verstörte Familie zurück. Niemand sah das weiße Gesicht am Fenster.

1 Kommentar:

  1. Der dicke Jerome wird das letzte Mal seine Familie drangsaliert haben.

    Letzte Nacht hat er ein unwilliges Mädchen getötet, heute verdrischt er die Familie.

    Auch wenn Armand ein Menschenfressender Vampir ist, hat er doch Anstand. Und auch wenn ich glaube, das dieses Verhalten öfter vorkam, als man so glaubt, ist es auch damals sicherlich nicht anständig gewesen!

    Diese Lektion wird der Dicke lernen müssen! Ein für alle Mal! Ich denke Armand wird ein strenger Lehrer sein.
    Und entgegen seinen Gewohnheiten schnell und schmerzlos zu töten, wird er dieses hier sicherlich ein wenig auskosten.

    LG
    Joe

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