Samstag, 1. September 2012

Noctambule III - Rückblick: Die neue Heimat

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Calais 1588

Calais war für Armand wie ein Paradies. Die aufblühende Stadt hatte einen regen Schiffsverkehr nach Dover und täglich strömten Reisende zum Hafen oder aus der Stadt hinaus. Wie in den meisten Hafenstädten tobte im Hafen das Leben Tag und Nacht. Hotels, Wirtschaften, Bordelle und Matrosenunterkünfte wetteiferten um ihre Gäste. Die Stadtverwaltung versuchte, den Bereich um den Hafen attraktiv zu gestalten, doch ließ sich das nächtliche Treiben dunkler Gestalten nie richtig kontrollieren.



Armand hatte ein kleines Häuschen erstanden, das der Vorbesitzer nicht mehr hatte finanzieren können. Es stand fast direkt an der Stadtmauer und erinnerte Armand ein wenig an seine Zeit in Kaffa. Allerdings konnte Armand im Gegensatz zu Kaffa nicht über die Stadtmauer klettern, um unbemerkt zu verschwinden, denn die gesamte Stadt wurde von einem Wassergraben umgeben, um sich vor Piraten und in Kriegszeiten auch vor den Feinden zu schützen. Natürlich hätte Armand schwimmen können, aber in nasser Kleidung zu jagen war nicht gerade optimal.
Calais begann, sich auch außerhalb der Mauern auszubreiten. Da die Stadt gerade von den Engländern an Frankreich übergeben worden war, hatte der Staat ein hohes Interesse daran, die aufblühende Wirtschaft zu unterstützen und schuf neue Arbeitsstellen, um Bewohner anzulocken. Der Hafen wurde vergrößert, Marktplätze verschönert und Bauflächen erschlossen. Der Plan ging auf, was Armand einen ständigen Strom neuer, noch unbekannter Menschen bescherte, deren Verschwinden höchstens mit einem Schulterzucken hingenommen wurde.

Schnell stellte sich heraus, dass Calais auch für Witwen attraktiv war, denn durch den wirtschaftlichen Aufschwung zog es viele Junggesellen in die Stadt, die bereit waren, hier eine Familie zu gründen. So wanderten viele junge Witwen, die ihre Männer durch die Hugenottenkriege oder Krankheiten zu früh verloren hatten, nach Calais. 

Für Armand war auch dies von Vorteil, denn viele der Frauen hatten keine Kinder und waren durchaus auch bereit, sich für gute Bezahlung hinzugeben, ohne einem Bordell anzugehören. Allerdings bezahlte nicht Armand, sondern meistens die Dame – mit ihrem Leben.
Wie so oft, wenn er kurz vor Tagesanbruch nach Hause kam, sah er bereits den Schimmer von Kerzenlicht in seinem Haus. Er mochte es, wenn Agnes bei seiner Heimkehr bereits wach war. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt mit Wasch- und Näharbeiten und stand sehr früh auf, um ihr Tagespensum möglichst schnell zu erledigen. Hatte sie alles geschafft beendete sie ihren Tag mit ein paar gemütlichen Stunden am Kamin in Gesellschaft von Armand, bevor sie ins Bett und er hinaus ging. Sie hatte sich sogar bereit erklärt, mit Hilfe von Armand das Lesen und Schreiben zu lernen, was ihr nicht leicht fiel, aber beiden großen Spaß bereitete.
Agnes hatte sich in den zwei Jahren von Brids Tod nie richtig erholt. In ihrer Trauer hatte sie erst zu spät erkannt, dass sich ihre Gefühle mehr zu Brid als zu Armand gewandt hatten. Zwar blieb sie bei Armand, doch ihr Verhältnis zu ihm veränderte sich mehr und mehr, bis es schließlich nur noch eine Art geschwisterliche Beziehung war. Armand drängte oder zwang sie nicht. Er vergaß nie das Versprechen, dass er Brid einst gegeben hatte, Agnes niemals ein Leid anzutun. Außerdem mochte er Agnes sehr, auch wenn es keine wirkliche Liebe war.
So zog Agnes als Witwe in das Haus, das sie sich offiziell mit ihrem Bruder teilte. Sie verbreitete nebenbei, dass Armand gerne in Nachtschichten im Hafen arbeitete, was zwar erklärte, dass er tagsüber nie zu sehen war, aber allgemein auf Desinteresse stieß. Im ersten Jahr lernte sie das Nähen bei einer Nachbarin, die dankbar über jede Hilfe war. Agnes wäre damit zufrieden gewesen, noch lange mit ihr weiter zu arbeiten, doch als diese schwanger war, drängte ihr Mann darauf, dass sie aufhörte und so übernahm Agnes das Geschäft.

Armand betrat das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer und sah den Rotschopf über Näharbeiten gebeugt. Sie blickte auf und lächelte ihm freudig zu. Sofort legte sie ihre Näharbeit zur Seite und erhob sich. Sie trug das übliche Schwarz einer Witwe, was ihr hervorragend stand. Es betonte die helle, zarte Haut und ihre roten Haare schienen noch stärker zu leuchten. Nur wenn sie das Haus verließ, ergänzte sie ihre Kleidung mit einem Kopftuch oder einer Haube in schwarz.
Armand hatte darauf bestanden, dass sie nicht zu schlicht gekleidet war. Sie sollte nicht den Eindruck vermitteln, zu arm zu sein, um sich gute Kleidung leisten zu können. Anfangs beauftragte sie noch ihre Nachbarin für Kleidung. Als sie schließlich selbst gut nähen konnte, erweiterte sie ihre Kleidung mit weißer oder schwarzer Spitze und begann auch für Armand zu nähen.
Es tat Armand weh, in diese großen grünen Augen zu sehen und noch immer den Schimmer der Trauer und Einsamkeit darin zu entdecken. Da er wusste, dass sie das Thema nicht mehr hören wollte, schwieg er, doch es wäre ihm am Liebsten gewesen, wenn sie ihre Trauer endlich beilegen und sich wieder neuen Menschen zuwenden würde. Agnes blockte jeden Versuch Armands ab, sie unter Menschen zu bringen. Ebenso verbot sie ihm, auch nur davon zu sprechen und schweren Herzens hielt er sich schließlich auch daran.

1 Kommentar:

  1. Armand ist ein guter Mensch... äh Vampir.

    Er hat das Versprechen an Brid nicht gebrochen und hat es wohl auch nicht vor. Das finde ich bemerkenswert.

    Interessant, dass Armand also durchaus zu einer relativ platonischen Beziehung in der Lage ist. Und ebenso interessant, wie lange er es nun mit Agnes schon aushält, ohne ihrer so üerdrüssig zu werden, wie es mit Inga der Fall war.

    Aber was sieht die Zukunft für das Mädchen vor? Sie müsste jetzt bald 18 Jahre alt sein. Und sie weigert sich standhaft einen neuen Mann oder auch eine Frau an ihre Seite zu lassen. Was soll da als noch kommen?

    Ich nehme nicht an, dass Armand vorhat, sie zu verwandeln. Aber was sollte dann der nächste Schritt sein, zumal er ja ihrem Wunsch entspricht das Thema Beziehungen nichtauf die Tagesordnun zu setzen.

    Diese Frauengeschichte von Armand scheint eine völlig andere zu werden, als die bisherigen.

    LG
    Joe

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