Mittwoch, 12. September 2012

Noctambule III - Rückblick: Brids Haarband

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Etwas ratlos huschte Armand durch die Straßen. Er kannte die Geschäfte, in denen Agnes besonders gerne einkaufte und hatte die Wege dorthin bereits zweimal abgelaufen. Er wusste, dass Agnes zurückgezogen lebte und sich mit niemandem besonders angefreundet hatte. Doch selbst wenn dies so wäre, würde sie nicht einfach fortbleiben, wenn sie ein gemeinsames Essen angekündigt hatte.


Mehr denn je war Armand davon überzeugt, dass ihr etwas zugestoßen sein musste und seine Sorge wandelte sich allmählich in nagenden Zorn gegen Unbekannte, die Agnes etwas angetan haben könnten. Inzwischen lief er ziellos durch die Straßen und hatte nicht mehr darauf geachtet, wo er sich befand. 

Aber er kannte die Stadt inzwischen wie seine Westentasche und nur einen Straßenblock weiter hatte er die Orientierung wieder.
Das Hafengebiet hatte er bewusst nicht aufgesucht, da Agnes keinen Grund gehabt hätte, sich dorthin zu werden. Nun befand er sich an der Ostgrenze der Stadt und zwischen den Häusern konnte er hin und wieder schon die Zinnen der bewehrten Stadtmauer erkennen. Die Stadtväter achteten peinlich genau darauf, dass die Hauptstraßen gepflegt und sauber blieben, um einen guten ersten Eindruck bei neu ankommenden Reisenden zu erwecken. Doch in vielen Seitenstraßen herrschten andere Gesetze. Statt hier Ordnung zu schaffen, machte man lieber außerhalb der Stadtmauern neues Land bebaubar und zog so mehr Zuwanderer an.
Hier war die Pflege der Häuser vernachlässigt worden. Etliche Dächer hatten Lücken, durch die es hinein regnete, Fensterläden hingen schief in ihren Befestigungen und der Hausputz bröckelte von den Fassaden. Armand hatte noch keine zwei Blocks passiert und doch roch es bereits nach Müll und Exkrementen. Wer hier Probleme mit jemandem bekam, konnte selten auf Hilfe hoffen, denn die Bewohner sahen lieber weg oder schlossen die Fenster und Türen nach Einbruch der Dunkelheit.
Armand schüttelte den Kopf über sich und kehrte um. Agnes hätte hier nicht einmal Kunden gehabt, die sich eine Reinigung hätten leisten können, geschweige denn Näharbeiten in Auftrag gegeben hätten. Er konnte sich eher vorstellen, dass in dieser Gegend ganz andere Geschäfte getätigt wurden. Geschäfte, bei denen man unerkannt bleiben wollte. Es gab genug Kneipen in der Umgebung und sicher auch genug Frauen, die ihre Körper verkauften.
In alter Gewohnheit streiften seine Augen prüfend umher, während er in langen Schritten der Hauptstraße zustrebte. 

Er sah das zusammengekauerte Bündel schemenhaft in einer Nische eines verkommenen Hauses. Das war nichts Ungewöhnliches, denn viele Menschen schafften es in ihrem Rausch nicht mehr nach Hause oder besaßen gar kein Heim mehr. Dennoch wurden seine Schritte langsamer und er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. In seiner Nase kribbelte es, weil er menschliches, für ihn bereits giftiges Blut roch. Seine Schritte stockten, als er eine kleine, zierliche Hand erkannte, die aus dem Schatten ragte. Sie war blutverschmiert.
Es hätte irgendeine Frau sein können, die dort lag. Eine Hure, die von ihrem Freier zusammengeschlagen worden war vielleicht, doch Armand wollte sicher gehen. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er sich dem Körper näherte. Die Hand war zu gepflegt, um zu einer Hure zu gehören und er glaubte bereits, den roten Schimmer von langen Haaren zu erkennen. Mit nagender Vorahnung griff er sacht nach dem Körper, der zusammengekrümmt auf der Seite lag, zog ihn herum und blickte in das blasse Gesicht von Agnes.
Die großen, grünen Augen blickten starr an ihm vorbei, als ihr Kopf herumrollte. Das schöne Gesicht war verzerrt von Schmerz und Angst, an der linken Schläfe schimmerte ein Bluterguss und ihre Lippen waren von Schlägen aufgeplatzt. Fassungslos sank Armand in sich zusammen. Sein Inneres fühlte sich starr und kalt an, sein Hals war viel zu eng, um auch nur einen Laut heraus zu bringen. Behutsam schob er mit den Fingerspitzen den Stoff ihres Umhangs zur Seite und erkannte dunkle Würgemale an ihrem Hals.
Armand schloss kurz die Augen und rang nach Luft, überzeugt davon, dass diese Male nicht die Todesursache waren. Er hatte genug erstickte Leichen gesehen, um zu erkennen, dass man Agnes nur soweit gewürgt hatte, um sie am Schreien zu hindern. Mit dumpfer Vorahnung schob er den Umhang weiter zur Seite auf der Suche nach der Verletzung, die Agnes' Hand so mit Blut besudelt hatte.
Seine Finger tasteten mit liebevoller Vorsicht ihren Körper ab. Ihre Augen konnte er nicht mehr schließen, da die Totenstarre die Augenlider offen hielt. Ihre Finger ließen sich noch bewegen, sodass Armand klar wurde, dass sie noch keine zwei Stunden zuvor gestorben sein musste, also ungefähr zu der Zeit, zu der er das Haus verlassen hatte. Doch in der Zeit davor musste sie schrecklich gelitten haben.
Ihr Kleid war an mehreren Stellen zerrissen und an der freiliegenden Brust erkannte er dunkle Quetschungen. Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich, als er die Stichwunden in ihrem Oberkörper fand. Jemand hatte mit dem Messer dreimal auf sie eingestochen und sie dann einfach liegen gelassen. Das ausgetretene Blut war bereits zu einer klebrigen Masse geworden, nachdem ihr Kleid und der Umhang sich damit vollgesogen hatten.
Armand erkannte, dass der Rock ihres Kleides der Länge nach aufgeschnitten und gerissen worden war. Ihr schlankes, frei liegendes Bein sagte ihm genug, um noch mehr sehen zu wollen. Mit zitternden Fingern zog er den Umhang über ihre Beine, um ihren Körper so gut es ging zu bedecken. Dabei entdeckte er in ihrer anderen Hand das schwarze Haarband von Brid, das sie fest umklammert hielt. Im Schatten der Nische sackte sein Kopf kraftlos nach vorne und er ließ stumm seinen Tränen freien Lauf.

1 Kommentar:

  1. Diesmal hasse ich es, dass ich Recht hatte.

    Auf Armands Frauengeschichten liegt aber auch ein Fluch! Keine schafft es besonders lange bei ihm durchzuhalten. Auch Anya hat zwar schon viel mit ihm erlebt, aber dennoch ist die Beziehung als solche ja erst kurz.

    Aber Armand scheint zu merken, dass er Agnes mehr mochte, als er selbst gemerkt hat, wenn er nun weinend neben ihr hockt.

    Ich frage mich, wer das wohl gewesen ist. Aber ein wenig vermute ich, dass da jemand nochmal Flecken machen wollte, und Agnes Gegenwehr missachtet hat. Schlussendlich kann man für so einen Akt natürlich keine Zeugen brauchen!

    Doch ist das für Armand auch so naheligend? Und reicht ihm seine Vermutung?

    LG
    Joe

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