Montag, 17. September 2012

Noctambule III: Die Armbrust

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Yanis hatte es nun eilig. Sein Plan war während der langen wachen Stunden in der Nacht gereift und die Abwesenheit seiner Mutter machte diesen Augenblick perfekt. Aber er konnte nicht wissen, wann seine Mutter zurückkehren würde und deshalb musste er sich beeilen. Er warf sich Miriams leichten Körper über die Schultern und trug sie zu dem einachsigen Handkarren, mit dem seine Brüder oft schwere Lasten oder die Säcke mit der Aussaat hinter sich her zogen.


Er warf sie unsanft auf die Ladefläche und drehte sie um, bis sie in Embryostellung lag und komplett in den Wagen passte. Schnell holte er Seile, mit denen er sie fest verschnürte, dann warf er eine Decke über sie. Den Wagen stellte er so, dass seine Mutter ihn nicht sehen konnte, wenn sie nun unerwartet nach Hause käme, und lief zurück ins Haus.

Eilig hastete er durch das Wohnzimmer in das elterliche Schlafzimmer zu dem großen Wandschrank, den sein Vater damals selbst gebaut hatte. Das wuchtige Möbel hatte etliche Türen und Schubkästen, in denen seine Mutter Wäsche, Kleidung und allerlei Privates aufbewahrte, doch Yanis wusste genau, wo er suchen musste.
Er riss eine schmale Tür auf und wühlte sich durch Mäntel und Jacken seines Vaters, die Catherine einfach nicht hergeben konnte. Schnell fühlte er das kantige Paket, das ganz hinten an der Wand stand und mit einem Laken umwickelt war. Lächelnd zog er die alte Armbrust seines Vaters heraus und betastete sie durch das Laken hindurch. Alles war zu fühlen. Die Waffe selbst, der Köcher und die langen Pfeile, der Beutel mit den Lappen, dem Fetttöpfchen, Einzelteilen von Pfeilen und Ersatzsehnen, alles war da.

Yanis atmete erleichtert aus. Seitdem der Abbé die Armbrust als sinnvolle Waffe gegen Vampire erwähnt hat, dachte Yanis schon an das alte Erbstück. Sein Vater hatte sie aus dem Krieg mitgebracht und sie immer wieder einmal zur Jagd benutzt. In Notzeiten war diese Armbrust schon oft hilfreich gewesen, auch wenn sein Vater sich der Wilderei schuldig machte.
Nun herrschte wieder eine Notzeit, beschloss Yanis und trug die Waffe hinaus.
Noch einmal lief er ins Haus zurück, um sich in der Küche einen Beutel mit Proviant zu füllen. Auch vergaß er den Wasserschlauch nicht, den er eilig in das frische Wasser des Brunnens tauchte. Alles, was er einpackte, warf er achtlos auf Miriams Körper, dann griff er nach der Handdeichsel und begann den Karren zu den Feldern zu ziehen.
Er bedauerte natürlich, dass seine Mutter traurig sein würde über Miriams Verschwinden. Doch musste er das in Kauf nehmen, wenn er seine Familie schützen wollte. Seine Brüder würden mit den Schultern zucken und schlafen gehen, nachdem sie ihm nochmals nahe legen würden, endlich auf den Feldern zu helfen.
Yanis stieß ein verächtliches Schnauben aus. Die Tölpel hatten keine Ahnung, dass er gerade ihr Leben rettete. Und noch viele Leben in dieser Stadt dazu, denn wenn sein Plan aufging, würde er in einer der nächsten Nächte dieses Vampirweib mit dem neugeborenen Bastard töten.
Und er war sehr sicher, dass sein Plan aufgehen musste, denn sie suchte ja bereits nach ihr. Auch daran hatte er keine Zweifel. Und wenn nicht, würde er Miriam einfach selbst töten und sich danach zu dem Kloster in den Bergen begeben. Dort würde er alles lernen, um gegen die Vampire bestehen zu können. Gott hatte ihm endlich den Sinn seines Lebens gezeigt. Gott würde ihn nun schützen und begleiten. Auch wenn die Pfeile nicht geweiht waren, die Axt im Gepäck würde genügen, um den angeschossenen Vampir zu köpfen und damit ein für alle Mal zu töten.
Yanis stapfte eilig über den holprigen Feldweg. Sein Ziel war noch weit entfernt. Für die Felder, die zu weit vom Haus entfernt waren, hatten die Brüder noch mit ihrem Vater zusammen kleine Schuppen über das Land verstreut aufgebaut. Dort war Platz zum Schlafen, wenn man von einem Unwetter überrascht wurde und außerdem waren darin verschiedene Werkzeuge, Schaufeln und Hacken untergebracht. Yanis würde einen dieser Schuppen wählen, um den Vampir heranzulocken und er war sicher, dass seine Brüder diesen Schuppen in der nächsten Zeit nicht aufsuchen würden. Auf seinem Marsch begann Yanis zufrieden zu lächeln. Alles war gut. Gott war mit ihm.

1 Kommentar:

  1. So Gott mit uns ist, wer mag wider uns sein?

    Mit dieser Idee haben schon Kriege ihre Rechtfertigung gefunden - auf beiden Seiten wohlgemerkt.

    Nun glaubt Yanis also er tut etwas Gutes? Bislang konnte ich ihn noch wirklich gut verstehen, doch nun vergreift er sich, wenn auch unwissend, am einzigen wirklich Unschuldigen!

    Miriam hat keine Chance, sich zu wehren und Yanis überschätzt wohl die Fähigkeiten der Vampire in diesem Zusammenhang. Sie können Miriam nicht aufspüren - also werden sie sie in dem Schuppen wohl nicht finden. Das kann also nur bedeuten, dass Miriam ihrem sicheren Ende entgegenblickt.

    Und selbst, wenn sein Plan auf funktionierenden Füßen stünde, so hat er doch etliche Lücken.

    Was sollte Miriam daran hindern, den Vampiren die Falle mitzuteilen, wenn er sie als Köder benutzen will? Wieso sollten die Vampire sie in der Hütte aufsuchen, wenn sie es tagelang noch nicht getan haben? Wie glaubt er mit der Armbrust agieren zu können? Er hat doch gesehen, wie die Vampire in der Lage sind, sich zu bewegen... Da hält nichts still, wie ein äsendes Wild! Und Selbst wenn es sich "nur" um menschliche Geschwindigkeit handeln sollte, mit der man auf die Hütte zustürmt, so hätte er niemals mehr als zwei Schuss abzugeben. Und selbst der zweite dürfte mehr als knapp werden! Es braucht Zeit eine Armbrust zu spannen!

    Ein wenig befürchte ich, dass diese Hütte nur einer der Menschen lebend verlassen wird. Und es ist tatsächlich völlig offen, ob das Miriam oder Yanis sein wird.

    Der kleine Yanis ging die Sache so sortiert an, so gewissenhaft und jetzt wirft er alles über den Haufen!

    LG
    Joe

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