Samstag, 22. September 2012

Noctambule III: Das Erwachen

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Miriam erwachte mit heftigen Kopfschmerzen und einer dicken Beule an der Schläfe. Als sie vorsichtig den Kopf bewegte, verzog sie sofort das Gesicht und erinnerte sich ungenehm daran, dass sie vor einiger Zeit ebenso erwacht war. Doch im Gegensatz zum letzten Mal lag sie nicht in einem weichen, warmen Bett sondern auf einem harten, kalten Untergrund und sie konnte weder ihre Arme noch ihre Beine bewegen.


Sie lag seitlich auf dem Lehmboden eines dunklen Raumes, doch irgendwo musste eine Kerze brennen, denn sie konnte schemenhaft Werkzeuge, Schaufeln und Säcke sehen und ihre Schatten bewegten sich unruhig. Als sie den Kopf hob, entdeckte sie Yanis, der bei ihren Füßen auf dem Boden saß, gemütlich an die Wand gelehnt und die Beine ausgestreckt. Er kaute auf einem Stück Wurst und schien auf seinem Schoß eine ganze Menge Proviant verteilt zu haben. Miriam hätte schwören können, dass er sie ununterbrochen beobachtet hatte, denn er war über ihre Bewegung nicht überrascht, sondern grinste sie böse an.
"Hast ganz schön lange gebraucht." begrüßte er sie. Desorientiert versuchte Miriam zu erkennen, wo sie sich befand, doch sie erkannte lediglich an einer Bretterwand, dass sie in irgendeinem Schuppen liegen musste. Es schien auf den Abend zuzugehen, denn durch die Ritzen der Bretter drang nur schwaches Tageslicht. Miriams Herz klopfte laut, denn sie erinnerte sich wieder an die bedrohliche Situation und den Schlag, den Yanis ihr versetzt hatte. Nun lag sie gefesselt am Boden und war ihm hilflos ausgeliefert.
"Yanis, bitte mach mich los! Ich habe dir doch nichts getan!" flehte sie und das weinerliche Zittern in ihrer Stimme war keineswegs gespielt, denn sie bebte vor Angst. Yanis stieß ein lautloses Lachen aus und spuckte ein Stück Knorpel aus, das vor ihrem Gesicht auf dem Boden landete. Miriam verzog angewidert das Gesicht.
"Hast du nicht, nein? Du kommst in mein Haus, erschleichst dir das Herz meiner einfältigen Mutter, willst meine Familie dem Tod ausliefern und versuchst mir weis zu machen, du hättest mir nichts getan?" Miriam spürte den eisigen Schauer nackter Angst die Wirbelsäule entlang laufen. Fassungslos starrte sie ihn an und schüttelte den Kopf.

"Was redest du denn da?" Sie erinnerte sich wieder an seine Worte von Dämonen und Bissen. Hatte er den Verstand verloren? Oder wusste er mehr über sie als sie selbst? War sie eine Verbrecherin? Aber wenn, was um Himmels Willen hatte sie verbrochen?
"Du kannst mit dem Unschuldsgetue aufhören, Schlampe. Ich glaube dir kein Wort!" meinte Yanis gelassen und trank einen tiefen Schluck aus dem Wasserschlauch. Ihm entging der durstige Blick Miriams nicht, mit dem sie seine Bewegungen verfolgte und grinste sie an ohne darauf einzugehen.
"Ich sagte dir schon, ich habe dein Spiel durchschaut. Du warst mit deiner Herrin bei Bernadette, nicht wahr? Aber sie hat euch erkannt und ihr seid davongerannt. Ein Wunder, dass Bernadette noch lebt." Miriam runzelte die Stirn, inzwischen vor Angst schwer atmend. Wieder einmal beschlich sie das Gefühl, dass ihre Erinnerung ganz nah war, aber sie konnte sie nicht greifen, so sehr sie sich auch anstrengte. Ihr Kopf schmerzte umso mehr, je mehr sie sich versuchte zu erinnern.
"Ich habe keine Herrin!" schrie sie Yanis verzweifelt an.
In Yanis kam Bewegung. Mit einem zornigen Schlag fegte er Brot, Wurst und Apfel von seinem Schoß und sprang auf. Ein Schritt genügte, um bei ihr zu sein und ihren Kopf an den Haaren hochzuziehen, bis sie vor Schmerz aufschrie. Er beugte sich über sie und stierte sie aus nächster Nähe wütend an.
"Keine Herrin? Was ist sie dann? Ich kann es dir sagen, Hure! Sie ist ein Vampir, ein Geschöpf Satans, wenn nicht sogar der Teufel selbst! Sie ist eine Bestie, ein blutfressendes Monster und du lieferst ihr die Opfer, du mieses, dreckiges Miststück!" Wütend schleuderte er sie zurück und wieder schrie Miriam entsetzt auf. Atemlos hechelnd versuchte sie, von ihm wegzurobben, doch er verschwamm vor ihren Augen.
In ihrem Kopf summte es plötzlich wie in einem Bienenstock und ihr wurde übel. Mit einem Schlag war alles wieder da. Das Ufer am Fluss, Anya, das Baby, die Geburt, die Flucht durch die unterirdischen Gänge, Armand, Sergej, Liebe, Angst! Die Bilder liefen rückwärts und in rasantem Zeitraffer.
Mit der Erinnerung an Sergej begann sie am ganzen Leib zu zittern und ihr Magen krampfte sich zusammen. Das Baby! Es war alleine zurückgeblieben, hilflos und schutzlos! Sie hatte das unschuldige Kind zurückgelassen und Anya bitter enttäuscht! Was, wenn Anya das Kind nicht wieder gefunden hatte? Lebte es noch? Es war doch so kalt nachts und es brauchte seine Mutter! Sie hatte ihren Körper plötzlich kaum noch unter Kontrolle und begann heftig zu würgen. Dann erbrach sie sich mit einem Schwall, wieder und wieder, obwohl ihr Körper nur noch Galle von sich gab.
Yanis ließ sie in Ruhe, setzte sich wieder an seinen alten Platz und beobachtete sie völlig ungerührt. Als sie endlich aufhören konnte, war sie schweißgebadet und ließ stöhnend den Kopf nach hinten fallen. Zufrieden sah er, dass ihr Körper viel zu schwach war, um sich noch gegen die Fesseln zu wehren.
"Hast du nun deine ganze Unschuld, deinen Liebreiz und Schönheit ausgekotzt? Kommt jetzt dein wahres Wesen zum Vorschein, Dreckstück?" höhnte er während er aufstand und mit dem Wasserschlauch zu ihr kam. Miriam erwiderte nichts sondern stieß wieder ein Stöhnen aus. Hilflos musste sie zulassen wie er ihren Kopf erneut an den Haaren packte und zu sich zog.
"Oh.. du weinst. Hast du Durst?" Seine Stimme klang höhnisch liebevoll, dann lachte er und setzte den Wasserschlauch selbst an. Durstig hoffte sie darauf, selbst einen Schluck zu bekommen, um wenigstens den widerlich bitteren Geschmack im Mund herunterzuspülen, der nach dem Erbrechen geblieben war. Mit funkelnden Augen senkte Yanis den Kopf wieder zu ihr. Sie sah, dass er das Wasser noch gar nicht herunter geschluckt hatte, doch im nächsten Moment spuckte er es ihr ins Gesicht. Sie presste angewidert die Augen zusammen.
"Ruf deine Herrin her, Schlampe! Ruf sie zu dir, damit ich ihren widerlichen Kopf abhacken kann! Mach schon!" Wimmernd schloss Miriam die Augen und schüttelte den Kopf.
"Ich kann nicht! Ich kann niemanden rufen!" wimmerte sie verzweifelt. Yanis stieß sie zurück, holte aus und verpasste ihr mit weit ausholender Bewegung eine harte Ohrfeige, die sie aufschreien ließ.
"Ruf sie her oder ich verbrenne dich bei lebendigem Leib, Hexe!" kreischte er mit überschlagender Stimme und hieb seine Faust dicht neben ihrem Gesicht auf den Boden.

1 Kommentar:

  1. Na Endlich... möchte ich sagen.. und Oh Gott hinterher.

    Miriam hat ihren Sergej wieder im Kopf und sie macht sich als erstes Sorgen um ihre Unzuverlässigkeit. Sie ist Anya wirklich eine gute Freundin.

    Und nach all dem was passiert ist, ist es nicht verwunderlich, dass ihr übel wird.

    Yanis hat viel mitgemacht und wurde vom unscheinbaren Bäckerlehrling zum grausamn Rächer. Und wen er da vor sich hat und drangsaliert ist nun wirklich die Unschuld in Person. Sicher ist Miriam eine Freundin von Vampiren, doch sie hatte der Familie nun wirklich keinen Ärger machen wollen und hätte mit Sicherheit auch dafür gesorgt, dass niemand ihnen etwas tut. Vermutlich wäre sogar - im Gegenteil - noch eine Belohnung dort gelandet.

    Der Zug ist aber jetz abgefahren. Miriam sieht dem Tod ins Auge. Noch bin ich nicht sicher, wozu Yanis fähig ist. Aber er ist gefährlich.

    Arme Miriam!

    LG
    Joe

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