Donnerstag, 12. Juli 2012

Noctambule III: Der Schrei

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Miriam war einfach nur dankbar und erleichtert gewesen, eingelassen worden zu sein. Nun schob sie sich die leckere Wurst in viel zu großen Bissen in den Mund und genoss die kraftvolle Wärme, die ihren Körper mit der Nahrung füllte. Ohne groß auf Manieren zu achten, stillte sie ihren Hunger und dachte nur kurz an ihre Erziehung, bevor sie sie genussvoll einfach ignorierte.


So entging ihr das steigende Misstrauen der Alten, bis sie erschrocken und mit vollem Mund aufsah, als die Bäuerin den letzten Satz von sich gab. Ihr Blick irrte zwischen der alten Frau und Anya hin und her, ehe sie wirklich verstand, was gerade geschah. Anyas Gesicht war plötzlich völlig verändert. Sie hatte den Mund leicht geöffnet und zeigt ihr spitzes, messerscharfes Gebiss. An diesen Anblick hatte Miriam sich bereits gewöhnt, doch der Augenausdruck durchfuhr Miriam wie ein Blitzschlag.
Noch nie hatte sie das Aufleuchten darin gesehen und auch jetzt war es ihr entgangen, doch waren diese sonst so sanften, blauen Augen plötzlich kalt und fremdartig geworden. Die Pupillen waren vergrößert und ließen die Augen fast schwarz erscheinen. Miriams Blick fuhr wieder zu der alten Frau. Sie war froh, dass Anyas Blick nicht ihr galt, denn auch wenn sie nicht direkt angesehen worden war, hatte sie eine leichte Lähmung verspürt, die jedoch geballt Bernadette traf. Die Bäuerin saß wie versteinert vor Anya am Tisch und stierte sie an.
Noch immer vergaß Miriam zu kauen. Sie wagte allerdings auch nicht mehr, Anya anzusehen. Mit gruseliger Faszination betrachtete sie die alte Frau, die faltiger denn je aussah und dem Blick Anyas nicht auszuweichen vermochte. Umso mehr zuckte sie zusammen, als sie Anyas sanfte Stimme hörte.
"Beeil dich mit dem Essen, Miriam. Wir sind hier nicht mehr sicher." Die junge Freundin warf den Kopf herum und sah erleichtert, dass Anya wieder völlig normal wirkte.
"Was war das?" Noch bei ihrer Frage bemerkte sie, dass sie einen vollen Mund hatte und begann hektisch zu kauen, immer wieder unsicher zu Bernadette schauend. Anya senkte den Kopf zu ihrem Kind und lächelte liebevoll, während sie das eingeschlafene Baby wieder in den Umhang hüllte und ihr Hemd verschloss.
"Sie hat mich erkannt. Sie hat aus irgendeinem Grund beschlossen, alten Sagen zu glauben und in mir den Vampir gesehen. Leider kann ich nicht in ihr lesen, ich beherrsche diese Fähigkeit nicht. Eine von vielen." Ihre Stimme klang traurig bei ihrem letzten Satz, doch dann hob sie den Kopf wieder und wirkte entschlossener denn je.
"Aber ich kann sie beeinflussen. Sie wird hier sitzen bleiben und schweigen, doch lange wird das nicht anhalten. Beeil dich." Miriam kaute zu ende, während sie hastig Brot und Wurst in ihre Tasche stopfte, bis kaum noch etwas hinein passte. Anya legte das schlafende Kind vorsichtig auf den Tisch und beugte sich über den Wasserbottich, um ihr Gesicht und ihre Hände zu waschen. Schließlich hatte auch Miriam fertig gegessen und nahm den Platz am Fass ein.
"Ihr Sohn schläft oben. Wir sollten ihn nicht wecken, aber etwas frische Kleidung wäre schon gut." meinte Anya nachdenklich. Sie trocknete ihr Gesicht ab und fuhr sich durch die nassen Haare. Miriam richtete sich prustend wieder auf.
"Ich bin froh, dass du sie nicht getötet hast." meinte sie mit einem Blick auf die reglose Bernadette. Anya zuckte mit den Schultern.
"Das ist nicht nötig. Sie wird von Vampiren faseln, aber wer glaubt schon einer so alten Frau? Ihr Sohn wird sich fürsorglich um sie kümmern und wir können ruhig verschwinden. Niemand wird uns verfolgen." Miriam schulterte ihre Tasche und griff nach dem Wasserschlauch, der leer an der Küchentür hing. Während sie ihn füllte, sah sie über die Schulter zu ihrer Freundin.
"Aber der Sohn wird doch sehen, dass jemand hier war." warf sie ein. Anya lächelte und wischte Miriams Teller sauber. Da ihrer unberührt war, stellte sie beide einfach wieder zurück, hob ihr Kind vom Tisch und wischte die Krümel von der Tischplatte herunter. Dann löschte sie die Kerze und schob Miriam zur Haustür.
"Jetzt nicht mehr. Wir finden woanders etwas zum Anziehen. Komm, wir müssen los."

Die Nacht verschlang die beiden Frauen wieder. Zurück blieb Bernadette in der dunklen Küche, aufrecht sitzend und den Mund leicht geöffnet. Erst als Anya und Miriam schon lange fort waren, atmete die alte Frau stöhnend durch und starrte angstvoll um sich. Ihr Schrei riss ihren Sohn und die Nachbarn aus dem Bett. Anya und Miriam konnten ihn schon nicht mehr hören.

1 Kommentar:

  1. Anya hat ihren menschlichen Anstand behalten. Das ist gut für Miriam und gut für die arme alte Frau und ihren Sohn mit seinem Geschäft.

    Amüsant übrigens, wie Miriam, welche der feinen Gesellschaft entstammt, sich eine gute Bauernwurst reinstopft, als wäre es die Henkersmahlzeit.

    Und jetzt schreit wieder eine Frau in die Nacht.

    Ich hoffe ein wenig, dass das nicht eine Spur für eventuelle Verfolger legt. So ein Schrei bei Nacht ist weit zu hören.

    Liebe Grüße
    Joe

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