Dienstag, 26. Juni 2012

Noctambule III: Seitenwechsel

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Enrico hatte seinen Kameraden aus der gefährlichen Hitze und dem Funkenregen getragen und unter dem Kirschbaum abgelegt, wo er wenigstens etwas Schutz vor dem Regen hatte. Seit über zwei Stunden stand er nun mit verschränkten Armen an den Baumstamm gelehnt und beobachtete die beiden Männer, die an dem Brunnen saßen und auf ihre Tod warteten.


In ihm tobten erneut widerstreitende Gefühle. Was mit diesen Beiden dort geschehen würde, dürfte ihn eigentlich gar nicht so sehr beschäftigen. Oft genug hatte er im Auftrag des alten Sanghieri seinesgleichen töten müssen, doch diese hatten ohne Ausnahme gegen wichtige Gesetze verstoßen und man hatte ihm auch die Beweise dafür geliefert. Nun hatte Fabrizio ein Urteil gefällt und er müsste ihm gehorchen, wären da nicht die großen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Urteile.
Sein alter Freund hatte sich unglaublich verändert. Er war immer schon sehr ungestüm gewesen, doch voller Respekt und Achtung vor seinem Vater und dessen Wort. Nie hätte Enrico vermutet, dass solch aufrührerische Gedanken in ihm wüteten und noch weniger hätte Enrico geglaubt, dass sein alter Freund nicht einmal vor dem Tod einer schwangeren Vampirin zurückschrecken würde.
Einmal mehr atmete Enrico tief durch und ließ die letzten Tage Revue passieren. Fabrizio hatte ihn mehr als aufmerksam beobachtet und deutliches Misstrauen ihm gegenüber gezeigt. Er hatte es sich verkniffen, weitere Beschwichtigungsversuche anzustrengen. Schließlich mochte es wirklich stimmen, dass dieser große Mann, der dort so schwer verletzt am Brunnen saß, die Schwester Fabrizios getötet hatte. Eindeutige Beweise hatte nicht einmal der alte Sanghieri gefunden. Was also schürte diesen Hass Fabrizios so sehr? Enrico fand keine Antwort, egal von welcher Seite er diese Frage betrachtete.
Seine Augen lagen auf dem Inferno. Das Gewitter hatte sich inzwischen verzogen, doch der Regen prasselte nun heftiger denn je auf die brennenden Häuser und sorgte für eine starke Rauchentwicklung, die vom Wind schnell wieder abgezogen wurde. Enrico beobachtete, wie der große Mann den Kampf aufgab und sein Kopf zurück an die Brunnenwand fiel. Der Feuerschein beleuchtete die Beiden gut. Funken hatten Brandlöcher in die Kleidung gefressen und Verbrennungen in den Gesichtern verursacht, auch wenn der Regen die zwei Gefangenen vor dem Schlimmsten bewahrte.
Der Freund des großen Mannes kämpfte noch immer gegen die Fesseln an. Enrico konnte ihn durch den Lärm des Feuers keuchen, husten und fluchen hören. Sein Blick wanderte zu dem Kameraden, der sich stöhnend auf die Seite gerollt hatte und wieder eingeschlafen war. Dann stieß er sich mit zusammen gepressten Lippen vom Baum ab und ging mit langen Schritten zurück zum Brunnen, wo er sich einfach vor die Beiden Männer setzte und sie betrachtete.
Sergej hatte inne gehalten mit seinen Bemühungen und starrte Enrico feindselig an. Seine Lippen waren rau und aufgerissen von der Hitze, die Haare hingen nass in der Stirn und Regentropfen fädelten sich ihren Weg über Brandblasen und Asche im Gesicht. Enrico spürte die massive Hitze, die das brennende Bauernhaus ausstrahlte, während der Schuppen krachend in sich zusammen fiel und eine dichte Funkenwolke auslöste.
"Warum hasst Fabrizio euch so sehr?" fragte Enrico unumwunden. Sergej starrte ihn verwundert an.
"Frag ihn doch! Wir wissen es selbst nicht genau!" fauchte er sein Gegenüber an. Enrico musterte ihn nachdenklich, dann deutete er mit dem Kinn auf den bewusstlosen Armand.
"Ist der da an dem Tod seiner Schwester schuld?" Sergej stutzte.
"Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass Fabrizio selbst beinahe seine Gefährtin getötet hätte und Armand ihn am Leben ließ und sogar darüber beim Alten schwieg!" Enrico runzelte die Stirn, was Sergej sofort veranlasste, weiter zu reden, wobei er gegen den Lärm des Feuers anbrüllen musste.
"Der Alte hat uns begnadigt und sogar geholfen. Fabrizio ist sein Sohn und doch wirft er alle Entscheidungen seines Vaters über den Haufen. Du weißt selbst, wer hier die Fehler macht!" Er wollte weiter reden, doch ein Hustenanfall schüttelte ihn und brachte ihn zum Röcheln. Enrico zog sein Messer aus dem Gürtel. Entschlossen richtete er sich auf, beugte sich über Armand und durchschnitt die Fesseln. Während Armand in sich zusammen sackte, wandte sich Enrico Sergej zu und befreite auch ihn. Dann richtete er sich auf und verstaute sein Messer wieder.
Sergej war verblüfft, rappelte sich aber so schnell er konnte auf die Beine. Taumelnd blieb er vor Enrico stehen, lauerndes Abwarten im Gesicht und bereit, sich sofort auf ihn zu stürzen.
"Ich weiß, dass es falsch ist, eine Schwangere zu jagen, statt sie zu ehren und zu schützen." murmelte Enrico nun so leise, dass Sergej Mühe hatte, ihn zu verstehen.
"Schlag mich nieder. Aber gründlich. Und dann trag mich zum Baum da hinten." verlangte er. Sergej blinzelte ratlos. Doch lange zögerte er nicht.
"Danke." sagte er nur knapp, dann griff er Enrico an.

1 Kommentar:

  1. Ha! Da ist die Wendung! Ich wusste doch, dass Enrico keinen blinden Kadavergehorsam pflegt. Und er hat auch gleich die Variante gefunden, mit der er selbst heil aus der Nummer herauskommt!

    Jetzt kann Armand sich vernünftig hinlegen. Hoffentlich ist er in ein paar Stunden wieder fit. Dann können sie sich auf die Suche nach dem Rest machen und Anya retten!

    Und nicht nur Anya, sondern auch das Baby. Ach wird Armand sich freuen! Das wird zwar alles nicht einfach werden, aber ab jetzt können sie wieder den Überraschungsvorteil auf ihrer Seite nutzen.

    Viel Erfolg!

    Liebe Grüße
    Joe

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