Montag, 11. Juni 2012

Noctambule III - Rückblick: Im Hochmoor

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Sittard 1585

Armand war es nicht mehr gewohnt, auf die langsame Fortbewegung der Menschen Rücksicht nehmen zu müssen. Seine Verfolgung des Heeres hatte stets nach eigenem Tempo statt gefunden und aus ihm einen trainierten Dauerläufer gemacht. Doch Agnes konnte nun einmal nicht schneller und wenn man zuviel von ihr verlangte, erschöpfte sie um so früher. So blieb der Weg nach Westen für ihn ein träger Spaziergang, den er sich durch Unterhaltungen mit Brid und Agnes versüßte.



Er konnte sich nicht entscheiden, welche der Frauen er attraktiver fand. Brid war eine reine Vampirin mit skandinavischem Ursprung. Ihre Abenteuerlust hatte ihr in der alten Heimat nur Schwierigkeiten gebracht, besonders weil sie sich nicht den strengen Regeln der Familie unterwerfen wollte. So verließ sie ihren Clan, bevor es zum Zerwürfnis kam und durchquerte im zarten Alter von nur 85 Jahren bereits Norwegen, Schweden, Litauen, Estland, Pommern und schließlich das deutsche Reich.
Sie berichtete nicht besonders viel von zuhause und sie fragte auch Armand nicht nach seiner Vergangenheit. Er beließ es dabei und genoss lieber ihre gute Laune, die sie so gerne verströmte. In Brids grünen Katzenaugen, die sich flink und aufmerksam in ständiger Bewegung befangen, lag meistens ein warmes Strahlen. Ihre Augenbrauen waren dunkler als das Kopfhaar, was ihrem blassen Gesicht einen zusätzlichen Kontrast bescherte. Armand ertappte sich selbst dabei, die Konturen der schlanken Brauen mit seinen Augen nachzuziehen. 

Brids herzförmiges Gesicht wurde von einem blonden Lockenschopf umrahmt. Ihre Haare waren zwar lang, doch das Gewicht der Haarpracht vermochte es nicht, die Locken in die Länge zu ziehen und modische Glätte zu erzeugen. Brid hatte es bald aufgegeben, die widerspenstigen Locken in eine andere Frisur als einen Zopf zu zwingen und selbst das unterließ sie meistens.
"Deine Locken sind wie dein Charakter. Wunderschön, freiheitsliebend und unbezähmbar." meinte Armand und sorgte damit für einen verblüfften Augenaufschlag, dem ein verlegenes Wegsehen folgte.
Ihm fiel immer wieder die tiefe Vertrautheit zwischen den beiden Frauen auf. Sie rivalisierten nicht mit ihrem Aussehen, wie Armand es von Frauen gewohnt war. Im Gegenteil, sie halfen sich lachend beim Bürsten und ankleiden, neckten sich mit kleinen Sticheleien und freuten sich über die Schönheit der anderen. Oft tuschelten sie miteinander, wobei Armands feines Gehör oft genug seinen Namen verstand. Er grinste jedes Mal zufrieden und ließ den beiden Frauen ihre Heimlichkeiten, indem er den Abstand respektierte, den sie gerade einhielten. Hin und wieder ertappte sich Armand bei der Überlegung, dass beide verliebt wirkten, verwarf den Gedanken aber wieder, denn Frauen waren schließlich emotionaler als Männer und außerdem flirtete jede auf ihre Weise mit ihm.
Die rothaarige Agnes zeigte ihre Bewunderung für Armand sogar recht offen. Armand begründete das jedoch bescheiden mit der Ausstrahlung, die er für gewöhnlich immer auf Menschen hatte. Doch wenn er ihr beim Überklettern eines umgestürzten Baumstammes hilfreich die Hand anbot, ergriff sie diese gerne und dankte es ihm mit einem strahlenden Lächeln und bezaubernden grünen Blick. Auch Agnes hatte grüne Augen, doch sie hätten nicht verschiedener zu Brids sein können.
Brids Augen erinnerten Armand täglich aufs Neue an eine aufmerksame Katze. Agnes hingegen blickte aus großen, unschuldigen und staunenden Augen in die Welt. Sie war gerade 16 geworden, als Brid sie in Pommern gefunden hatte. Agnes lag im Heu des Schuppens, von ihrem Stiefvater hineingeworfen und versuchte mit allen Kräften, sich gegen ihn zu wehren. Er hatte es schon geschafft, ihre Röcke bis zur Hüfte hinaufzuschieben, als Brid auftauchte, ihn herunter riss und mit wütendem Fauchen tötete.
"Hast du denn nicht um Hilfe geschrien, als du gesehen hast, was Brid tat?" fragte Armand interessiert. Agnes schüttelte etwas atemlos den Kopf. Sie musste gerade ihre Röcke raffen und darauf achten, nicht durch einen falschen Schritt ins Moor abzurutschen, das sie durchquerten.
"Nein, warum denn? Sie hatte mich gerettet und ich hätte ihn gerne selbst getötet, wenn ich das gekonnt hätte." meinte sie schließlich. Armand sah Brid lächeln.
"Hatte er dir schon früher Gewalt angetan?" Agnes schüttelte erneut den roten Schopf.
"Oh nein! Er kam nie dazu, weil ich ja mit meinen kleinen Schwestern in einem Bett schlief und immer darauf achtete, nicht allein zu sein. Bis auf diesen Tag." Sie warf einen dankbaren Blick zu Brid hinter ihr und erntete ein wissendes Lächeln. Armand staunte. Da wanderte also eine kleine Jungfrau mit ihm durch ein Hochmoor auf Sittard zu und dabei hätte er schwören können, dass sie ihre Jungfernschaft bereits verloren hatte. Normalerweise bemerkte er so etwas recht schnell, doch Agnes hatte ihn mit ihrer offenen, freien Art augenscheinlich getäuscht.
"Aber du musst doch zu Tode erschrocken sein, als du bemerkt hast, was Brid ist?" hakte er nach. Agnes lachte hell auf.
"Oh das bin ich! Aber sie hat mich nie gebissen, sondern immer nur beschützt! Ich verdanke ihr alles! Brid würde mir niemals etwas antun." Armand warf einen erstaunten Blick auf Brid, die nun, da der Weg wieder breiter wurde, zu ihnen aufschloss und Armand fast herausfordernd musterte, das Kinn energisch vorgeschoben.
"Glaubst du ihr etwa nicht?" schnurrte sie ihn an. Armand grinste. Es war schon verlockend, die junge Vampirin herauszufordern, um zu sehen, was geschah. Doch nicht hier und jetzt. Seine Zeit würde noch kommen. Wie schnell, das ahnte er an diesem Tag nicht.

1 Kommentar:

  1. Nun hat Armand also zwei Frauen um sich, die sich zwar lasziv um ihn winden, aber dennoch nicht heranlassen.

    Ich finde die Konstellation erstaunlich ähnlich der zwischen ihr und seiner "Hexe", deren Name mir gerade entfallen ist. Sie hat er vor einer schlimmen Situation gerettet. Und so ging es auch in diesem Fall zwischen Agnes und Brid.

    Die Vertrautheit der zwei lässt mich doch irgendwie darauf schließen, dass diese Beziehung möglicherweise eine sexuelle Komponente hat. Wobei sich mir dann die Frage stellt, warum sie vor Armand ein Geheimnis daraus machen sollten. Aber vielleicht ist er ja auch gar nicht so chancenlos? :)

    Ich bin mal gespannt, wie das mit denen weitergeht. Armand scheint die Anwesenheit der Damen jedenfalls zu genießen. Und offensichtlich scheint er es gerade nicht allzu nötig zu haben :)

    Liebe grüße
    Joe

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