Sonntag, 24. Juni 2012

Noctambule III: Neues Leben

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Jede Angst und Unsicherheit waren plötzlich verschwunden. Miriam hörte keinen Regen mehr und auch der Donner war weit in den Hintergrund gerückt. Tiefe Ehrfurcht hatte sie ergriffen, als der kleine Körper plötzlich auf der Welt war. Innerhalb weniger Sekunden lag ein neues, unschuldiges Leben vor ihr. Ihr Blick flog zwischen der erschöpften, jungen Mutter und dem Baby hin und her.


Anya hatte nur kurze Zeit, um nach Luft zu schnappen. Sie fiel zurück und behielt die Augen geschlossen. Dann schüttelte sie eine kleine Nachwehe, die sie stumm ertrug ehe sie die Augen wieder öffnete und die Arme ausstreckte.
"Ist es gesund? Lebt es?" Miriam hob das Körperchen vorsichtig an, unsicher die Nabelschnur beäugend. Noch immer hatte es sich nicht richtig gerührt, doch Miriams Bewegung schien etwas auszulösen und ein geballtes Fäustchen ruderte durch die Luft. Erschrocken zuckte Miriam zusammen und hätte das Baby beinahe fallen lassen. Die heftige Bewegung erschreckte das Kind offensichtlich. Mit fest zusammengekniffenen Augen riss es den winzigen Mund auf und stieß einen gurgelnden Laut aus, sofort gefolgt von einem kleinen, aber durchdringenden Schrei, der beide Frauen aufstrahlen ließ.
"Ja. Und alles dran." flüsterte sie andächtig. "Aber die Nabelschnur…" Anya griff nach ihrem durchnässten Hemd und riss mit einem kräftigen Ruck einen Ärmel ab. Wieder einmal staunte Miriam über die Kraft der zierlichen Frau, die zwar gerade eben eine erschöpfende Geburt hinter sich gebracht hatte, aber scheinbar mühelos Stoff in Streifen zerriss. Dann hielt ihr Anya die Streifen hin.
"Bind die Nabelschnur damit ab und dann nimmst du das Messer und schneidest sie zwischen beiden Streifen durch." erklärte sie. Miriam legte das Baby vorsichtig auf Anyas Bauch, die sofort schützend ihre Arme darum legte. Hastig befolgte sie die Anweisungen, dann zog sie die Tasche unter Anyas Kopf heraus und zerrte den Umhang hervor, ohne auf die Kerzen zu achten, die nun zwischen Anyas Beine fielen.
Mit vorsichtigen Griffen zog sie das Baby aus Anyas Armen und wickelte es in den Umhang. Dann reichte sie der jungen Mutter das Kind und sank auf ihre Fersen zurück. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie in der Aufregung nicht darauf geachtet hatte, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Sie hatte nur einen blonden Haarflaum im Licht des Blitzes erkannt.

In Anya kochten die Gefühle hoch. Unendliches Glück durchflutete sie, als sie das Bündel entgegen nahm und zärtlich an sich drückte. Mit dem Zipfel des Umhangs wischte sie das feuchte Gesichtchen sauber, das sich bei der Berührung unwillig verzerrte. Sie spürte die sachten Bewegungen der Ärmchen durch den Stoff und lächelte verzückt über den Zorn des Babys.
Vorsichtig klappte sie den Umhang wieder auseinander und betrachtete den kleinen Körper genau. Ein kleines Fäustchen streckte sich ihr entgegen, dem sie sofort einen Finger anbot. Ohne die Augen zu öffnen griff das Kind mit erstaunlicher Kraft um den Finger, nicht bereit, ihn wieder loszulassen. Anyas Lächeln vertiefte sich als sie feststellte, dass jedes Fäustchen fünf Finger und jeder der kleinen Füße fünf Zehen besaß. Dann hob sie den Kopf und betrachtete stolz ihre Freundin, der die Tränen über das lächelnde Gesicht liefen.
"Es ist ein Junge." flüsterte sie hingerissen. Miriam konnte nicht antworten. Sie nickte einfach.
Die leisen, hilflosen Laute des Kindes zogen sofort wieder die Aufmerksamkeit seiner Mutter auf sich. Der kleine, noch völlig zahnlose Mund öffnete und schloss sich. Schnell öffnete sie ihr Hemd und legte die prallen Brüste frei. Ganz instinktiv hielt sie das Baby richtig, während sie es anlegte und dem suchenden Mund die Quelle anbot. Ein stilles Lächeln breitete sich in Anyas Gesicht auf, als das Kind begriff und kräftig zu trinken begann.
Anya konnte den Blick nicht von dem Kind abwenden. In ihr junges Mutterglück mischte sich die Trauer um Armand, der jetzt dabei sein sollte und vielleicht nie sein Kind sehen würde. Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich. Sie hatte einen Sohn, ganz so wie sie es sich gewünscht hatte. Armand wäre so stolz auf sie, auch wenn er immer von einem Mädchen gesprochen hatte.
Ihr Sohn würde sie stets an Armand erinnern und für sie stand fest, dass sie alles, wirklich absolut alles tun würde, um einen großen, starken und gesunden Mann heranwachsen zu sehen.
Sie hatte in ihrer andächtigen Betrachtung nicht bemerkt, dass Miriam den kleinen Unterschlupf kurz verlassen hatte, um Anyas Tasche zu suchen, die bei dem Sturz verloren gegangen war. Nun riss Miriam Anya aus ihrer Versunkenheit, weil sie neben ihr niederkniete und lächelnd Anyas Umhang herauszupfte. Behutsam breitete sie den leicht feuchten Stoff über Mutter und Kind, beugte sich über Anya und drückte ihr einen sanften Kuss auf die verschwitzte Stirn. Die beiden jungen Frauen lächelten sich innig an.
Eine neue, viel tiefere Bindung hatte sich zwischen ihnen aufgebaut, die beiden in diesem Augenblick bewusst wurde. Mit einem glücklichen Seufzer kuschelte sich Anya in den Stoff, drückte sacht ihr Kind an sich und schloss die Augen.

1 Kommentar:

  1. Ein Junge. Und ich bin sicher, dass Armand stolz wäre.

    Gut, dass Anya wusste, wie man eine Nabelschnur trennt. Und auch sonst kramt sie ja alles heraus, was die Natur und ihr Leben ihr mitgegeben haben. Es wird schon gut gehen!

    Jetzt mus Anya noch die Nachgburt hinter sich bringn, und dann sollte sich zeigen, wie gut die Regenerationskräfte sie all das wegstecken lassen. Hoffen wir al, dass sie bald weiterkommen.

    Und Armand muss nur diesen albernen Fatzke Enrico überwinden. Dann wird er seinen Sohn ebenfalls stolz in die Arme schließen!

    LG
    Joe

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