Samstag, 9. Juni 2012

Noctambule III: Fast geschafft!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Die zweite Kerze war schon zur Hälfte heruntergebrannt und noch immer war kein Ende des Gangs in Sicht. Immer wieder waren die beiden Freundinnen an kleinen Räumen vorbei gekommen, die entweder völlig leer oder wie der erste mit Sitzmöglichkeiten ausgestattet waren. Zwischendurch hatten sie sogar wieder stehen können, doch nun waren sie schon wieder auf allen Vieren.


Anya war erleichtert, denn es hatte sich keine weitere Wehe mehr eingestellt. Sie beschloss, einfach überhaupt nicht mehr daran zu denken. So würde sie auch gar keine Wehe mehr bekommen und alles war gut. Sicher hatte das Kind sich nur über die Anstrengungen beschwert und nun daran gewöhnt. So kroch sie stumpfsinnig hinter Miriam her, die noch immer die Kerze vor sich hielt und sich daher nur mit einer Hand abstützen konnte. Das verlangsamte ihr Tempo und verursachte ihr Überlastungsschmerzen in der Schulter, aber sie schwieg tapfer darüber und blieb vor Anya.
Der Gang zeigte wieder einmal eine rechtwinklige Kurve. Die beiden Frauen hatten jede Orientierung schon lange verloren und auch jedes Zeitgefühl. Ein einziges Mal hatte es eine Abzweigung gegeben und natürlich hatten sie die falsche Richtung gewählt und waren in einer Sackgasse gelandet.
Das hatte viel Zeit gekostet, zumal sie rückwärts hatten kriechen müssen, aber nun waren sie hoffnungsvoll, wieder auf dem richtigen Weg zu sein.
Als Miriam stoppte, fiel Anya beinahe über Miriams Füße und entschuldigte sich murmelnd. Sie war müde und erschöpft und trotz der Kühle hier unten schwitzte sie auf eine ganz seltsame Weise. Miriam schaute über die Schulter hinweg. Ihre Augen leuchteten freudig.
"Anya! Ich glaube, wir haben es fast geschafft!" flüsterte sie nun aufgeregt. Sofort war Anya wieder wach.
"Wirklich? Wieso glaubst du das?" Miriam hielt die Kerze nach vorne, doch Anya konnte nur Wände erkennen und runzelte die Stirn.
"Das ist doch Geröll! Der Gang ist eingestürzt!" meinte sie enttäuscht. Miriam nickte eifrig.
"Ja, das schon. Aber schau doch mal auf die Kerze!!" Anya starrte auf die Flamme und in ihrer Erschöpfung brauchte sie einige Sekunden, ehe sie verstand, was Miriam meinte. Die bisher ruhig brennende Flamme flackerte, wenn Miriam sie hoch hielt! Anya sog zischend die Luft ein.
"Das heißt, es ist nur lockeres Geröll! Und dahinter ist der Ausgang!" wisperte sie freudig. Miriam nickte heftig und reichte Anya die Kerze.
"Halt das mal. Ich versuche, die Erde wegzuschieben." Anya griff nach der kostbaren Kerze und krabbelte ein Stück zurück, um Miriam mehr Platz zu lassen, die bereits mit beiden Händen Erde wegschaufelte und sie zwischen den Knien hindurch schob. Schweigend versuchte Anya, mit einer Hand die Erde an sich vorbei zu schieben, ließ aber Miriams Hände nicht aus den Augen. Jede der Frauen hoffte, als erste den Durchbruch zu erkennen.

Die Erde war tatsächlich recht locker aber dennoch keuchte Miriam schnell vor Anstrengung. Ihre Bewegungen wurden langsamer und sie versuchte, einen Arbeitsrhythmus zu finden, doch kurz darauf begann sie, wieder schneller zu werden.
"Ich bin durch!" jappste sie. Anya konnte beim besten Willen nichts erkennen, weder Tageslicht noch Sternenhimmel, aber Miriam hatte aufgehört zu schaufeln, sondern schob die Erde vor sich her. Dann hielt sie ihre Hand nach hinten und fuchtelte nach der Kerze, die Anya ihr stumm reichte. Erst jetzt konnte sie erkennen, dass Miriam eine Öffnung freigelegt hatte, durch die sie sich hindurch zwängen konnte.
"Hier ist mehr Platz!" rief sie zurück, nachdem sie kurz verschwunden war, aber dann tauchte ihr Kopf auf und sie grinste. Ihr Gesicht war voller Lehm und Sand, ihre Haare ebenso aber Anya hatte keinen Sinn für das groteske Bild. Viel wichtiger war, dass Miriam sich hatte umdrehen können und noch wichtiger war, dass sie nun die frische Luft riechen konnte und gierig einsog.
Miriam steckte die flackernde Kerze an der Seite des Gangs in lockere Erde und half Anya nun, die Öffnung noch zu verbreitern. Sie hätte noch weiter gegraben, wenn Anya nicht die Geduld verloren hätte und begann sich hindurchzuschieben.
"Das schaff ich!" erklärte sie verbissen und zwängte sich mühsam hindurch, wobei sie noch mehr Erde lockerte, die nun auf sie herunter prasselte. Kichernd machte Miriam ihr Platz und hockte sich im Schneidersitz auf den Boden, als Anya hindurch kam und müde auf den Rücken rollte.
"Oh Mann, ich fühle mich wie ein überfetteter Maulwurf." stöhnte sie und hielt ihren prallen Bauch. Besorgt schaute Miriam sie an und strich sanft die schmutzigen Haare aus Anyas Stirn. Aber die befürchtete Wehe blieb aus, was sie mächtig erleichterte.
"Bleib einfach ein wenig liegen, ich schau mal, wie weit es noch ist." schlug sie vor. Anyas Nicken kaum abwartend krabbelte sie mit der Kerze nun weiter und ließ Anya in der Dunkelheit alleine zurück.
Ungefähr 10 Minuten nur krabbelte sie durch einen immer unebeneren Gang, der immer enger und stärker mit Wurzeln durchzogen wurde. Schließlich brauchte sie beide Hände, um die Wurzeln wegzudrücken und griff zu dem Messer, das auch sie bekommen hatte. Dann wurde es sichtbar heller und schlagartig hob sich ihre Laune an, als sie das letzte Stück erkannte.
Freudig machte sie kehrt. Die frische Luft hatte sie mit neuer Kraft versehen aber sie wagte nicht, laut zu rufen. Erst als sie Anyas Gesicht erkannte, plapperte sie flüsternd los.
"Es ist nicht mehr weit, Anya! Und ich glaube, es wird bald dunkel draußen! Wir waren den ganzen Tag hier unten und wir haben es geschafft!" jubelte sie wispernd. Zu ihrer Verwunderung sah sie in Anyas Gesicht statt eines glücklichen Aufstrahlens nur ein mühsames Lächeln und krabbelte näher.
"Was ist mit dir?" hauchte sie erschreckt. Anya schloss die Augen kurz und zog ihre rechte Hand nach vorne. Miriam erkannte im Kerzenlicht den feuchten Schimmer an den Fingern und blinzelte verständnislos.
"Das floss einfach raus. Ich liege in einer Pfütze, Miriam. Was ist das?" Anyas Stimme bebte vor Angst, doch Miriam hatte keine Ahnung, was gerade geschehen war und wusste kaum tröstende oder beruhigende Worte.
"Ich weiß es nicht. Aber es ist kein Blut, das ist doch schon mal gut, oder?"

1 Kommentar:

  1. Sie sind am Ende!

    Wahrlich nur fragt sich an welchem. Viele Enden sind in Sicht.

    Das Ende des Erdstalls ist in sicht. Das Ende von Anyas Schwangerschaft. Das Ende von Miriams Leben? Merkt Anya bald ihren Hunger? Wo kommen sie heraus?

    Im schlimmsten Fall sind sie einfach in einem riesigen Kreis einmal um das Gebäude herumgekrochen und kommen nun vor der Scheune wieder heraus. Oder sind sie kilometerweit weg vom alten Gehöft? Beim Nachbarhof, wo Nahrung wartet?
    Wird eine gute Bäuerin, die den beiden Frauen Hilfe leistet, ihre Gutmütigkeit mit dem Leben bezahlen?

    Jedenfalls sollte Anya schnellstens aus dem Loch kriechen. Oder mindesten zum Ausgang. Ich nehme mal an, dass sie nun ihr Fruchtwasser verloren hat. Das kann also nur bedeuten, dass die Geburt unmittelbar bevorsteht. Wie unmittelbar, wird sich noch zeigen. Sie mag Stunden haben, oder nur noch Minuten.

    Ich hoffe se schafft es noch zum Ausgang. Egal, wer ihnen je helfen könnte: Niemand wird 10 Minuten in ein Erdloch kriechen, um da drin einer Schwangeren zu helfen.

    Und Hilfe wird von Nöten sein. Oder entpuppt sich der menschliche und vampirische Instinkt als stark genug eine Geburt gefahrlos für alle beteiligten durchzustehen?

    Viel Glück ihr zwei.
    Und gebt euren Männern eins auf die Mütze.

    Liebe Grüße
    Joe

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