Samstag, 26. Mai 2012

Noctambule III - Rückblick: Zeit zu gehen

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Die Heftigkeit der beiden Explosionen hatte Armand verwirrt. Eine ganze Weile schien er nur durch Watte zu hören, dumpf und verschwommen. Der Funkenregen hatte seine Haare und Kleider versengt und Brandwunden auf der Haut hinterlassen. Ein Steinbrocken, der durch die Wucht der Explosion zu einem Geschoss geworden war, hatte seine rechte Schulter gestreift und eine Hautschicht abgerissen. Armand spürte jedoch bereits, dass seine Heilkräfte einsetzten und die kleinsten Verletzungen schon wieder schloss.


Er kauerte weit außerhalb des Chaos, das bei den Öfen herrschte. Etliche Männer verdankten ihm ihr Leben, denn er hatte sie aus der Gefahrenzone getragen und Helfern übergeben, die sich um die Verletzungen kümmerten. Doch vor ihm lag ein Junge, auf den er nun traurig herab blickte. Der Bursche war mager und ausgezehrt von der Arbeit und wirkte älter, als er tatsächlich war. Armand kannte ihn und wusste, dass er erst vierzehn Jahre alt war. Kinder wurden hier gerne zu Arbeiten eingesetzt, da ständig Arbeiter gebraucht wurden und die Familie dieses Jungen konnte den Verdienst sicher gut gebrauchen.
Aber der schmächtige Kerl würde keinen Verdienst mehr nach Hause bringen. Die Explosion hatte ihn verwüstet. Das linke Bein war zerquetscht bis zur Hüfte von einem herabgestürzten Balken. Ein Nagel hatte sich durch seinen Kiefer gebohrt und die Hitze seine gesamte linke Seite verbrannt. Doch noch lebte der Junge noch und stieß unter schrecklichem Stöhnen rasselnd die Luft aus den verbrannten Lungen. Armand seufzte schwer und strich über die versengten Haare, die wie trockenes Heu knisterten. Dann schob er seinen Arm unter den mageren Oberkörper und hob ihn vorsichtig an.


Der Junge spürte den Biss bei all den Schmerzen, die seinen Körper zerfraßen nicht. Aber einen Augenblick später verschwanden die Schmerzen komplett und er fühlte sich leicht, beinahe glücklich. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als sein Körper erschlaffte. Armand ließ ihn vorsichtig los und ließ den toten Jungen zu Boden sinken. 

Seine Mutter würde ihn trotz der Verbrennungen wieder erkennen und sein friedliches Gesicht könnte ihr vielleicht helfen, den Verlust besser zu ertragen. Wenn das überhaupt möglich war. Kurz tauchte vor Armands Augen das schöne Gesicht Maries auf, dann schüttelte er sich und vertrieb die Trauer, die frisch aufflammte.
Armand erhob sich und untersuchte die Schäden seiner Kleidung. Besonders schlimm waren die kleinen Löcher nun nicht, zumal der grobe Stoff bereits vorher schon kaputt gewesen war. Er beließ es dabei und schaute sich um.
Die Feuerbrunst um die Öfen herum war nicht mehr zu besiegen. Man versuchte jetzt nur noch, umstehende Gebäude zu schützen, indem man einen dicken Wasserschlauch auf die Dächer hielt. Zehn Männer pumpten schwitzend das Wasser aus dem naheliegenden Bach, der dank der Schneeschmelze genug Wasser führte, um Druck auf den Schlauch zu bringen. Frauen irrten umher und suchten ihre Männer, Wehklagen drang durch geschriene Befehle.
Armand war zwar bereit, seine Hilfe anzubieten, doch fiel ihm schnell ein, dass er wesentlich schlimmer hätte verletzt sein müssen, war er doch nahe am Explosionsherd gewesen. Hätte er den ersten Ruf des Alten mit seinen feinen Ohren nicht sofort gehört, wäre es auch um ihn geschehen gewesen. Ohne nachzudenken, war er viel zu schnell gerannt und damit aus dem Sichtfeld der Menschen geraten. Nun hoffte er, dass das niemandem aufgefallen war. Trotzdem verdankte er dem Alten sein Leben. Jetzt musste er nur noch glaubwürdig aussehen.
Armand beugte sich zu dem toten Jungen und glitt mit der Hand über das bereits gerinnende Blut am verletzen Kiefer. Er bestrich damit seine Hand bis zum Gelenk. Dann riss er ein stück des Hemdes von dem Jungen ab, das ohnehin schon zerfetzt war und schlang es sich als notdürftigen Verband um das Handgelenk. Zufrieden betrachtete er sein Werk und wischte sich durch das Gesicht. Er fühlte, dass er Schweiß, Asche, Staub und Blut dabei vermischte und grinste schief. Er musste schrecklich aussehen. So sollte es sein.


Er fand Rascal mit einem dicken Verband um den Kopf an einen Baum gelehnt. Wimpern und Augenbrauen waren von der Hitze versengt worden und seine Gesichtshaut zeigte kleine Blasen. Getrocknetes Blut tränkte den Verband am Kopf, doch Rascal war bei Bewusstsein und grinste freudig auf, als er Armand erkannte, der sich langsam neben ihm auf dem Boden niederließ.
"Dachte schon, dich hätt's auch erwischt." meinte Rascal und reichte ihm einen Wasserschlauch. Armand trank dankbar einige Schlucke und schüttelte den Kopf.
"Du hast mich rechtzeitig gewarnt. Danke." antwortete er ruhig. Rascal wirkte überrascht und musterte ihn ausführlicher. Armand trank schnell einen Schluck und schloss die Augen, als er scheinbar erschöpft den Kopf an den Baum zurück lehnte. 

Wieder einmal hatte offenbar seine Stimme Staunen ausgelöst. Er wollte auf jeden Fall verhindern, dass Rascal ihm jetzt auch noch in die Augen sah. Rascal seufzte leise, doch hörbar für Armands Ohren, die inzwischen den Lärmschock überwunden hatten und perfekt funktionierten.
"Was für ein Drama. So viele Tote." stöhnte der alte Mann kopfschüttelnd. Armand blinzelte und sah die Reihe der Toten, die man zusammentrug. Eine Weile schwiegen die Beiden.
"Die Öfen sind nicht mehr zu gebrauchen. Wie geht es jetzt weiter?" fragte Armand schließlich langsam. Rascal zuckte mit den Schultern.
"Da müssen neue her. Das wird dauern. Aber man kann auch selbst welche bauen." Nun war Armands Neugierde geweckt und er sah den alten Mann fragend an. Doch der bemerkte den fragenden Blick nur aus den Augenwinkeln heraus, denn er schaute noch immer auf die Feuersbrunst.
"Für diese große Mine hier taugt das nichts. Aber für kleinere Minen ist es recht einfach." Er begann mit leiser Stimme zu erzählen, wie er den ersten Ofen gebaut hatte und schwelgte in Erinnerungen. Armand hörte sehr genau zu und stellte nur wenige Fragen zwischendurch. Schließlich trat wieder eine Pause ein und beide Männer beobachteten, wie das Dach der Gießerei einstürzte und sich eine neue Funkendecke über den Platz legte, die aber von Staub und Asche erstickt wurde.
"Du bist anders als die anderen." meinte Rascal plötzlich ohne jeden Zusammenhang. Armand drehte wachsam den Kopf zu ihm.
"Was meinst du?" fragte er vorsichtig. Rascal sah ihn nicht an, lachte aber leise und bereute das sofort. Schmerzverzerrt tastete er über den Verband an seinem Kopf.
"Du hältst dich aufrecht und gerade wie ein stolzer Mann. Ich habe dich beim Essen beobachtet. Du hast ein feines Benehmen. Und wenig Hunger, scheint es. Alle anderen fressen, was sie bekommen können, du nicht." er lächelte leicht und schaute durch die Flammen hindurch ins Leere. "Du bist höflich und aufmerksam. Und keineswegs so dumm, wie du gerne möchtest, dass wir es glauben." Armand seufzte und blickte auf seine langen Finger. Offenbar hatte er nicht aufgepasst. Doch nun drehte Rascal vorsichtig seinen Kopf zu ihm und schmunzelte ihn an.
"Hier wird jetzt jeder Mann gebraucht. Aber du solltest gehen. Inspektoren werden den Unfall untersuchen und jeden befragen. Hier bist du nicht mehr sicher. Du musst woanders untertauchen." erklärte er ruhig. 

Armand betrachtete ihn nachdenklich. Dieser alte Mann verurteilte nicht, er kombinierte nur, soweit seine Sichtweise dies zuließ. Offenbar hielt er ihn für einen feinen Pinkel, der etwas auf dem Kerbholz hatte. Aber das war nicht schlimm. Sollte er das weiterhin denken. Diese eine kostbare Information hatte er noch gebraucht. Bald würde er aufbrechen und seine Mine aufsuchen. Es wurde ohnehin Zeit, diesen Ort zu verlassen. Daher erwiderte er das Schmunzeln leicht und nickte langsam.


1 Kommentar:

  1. Hehe... ich hatte recht.

    1. konnte Armand den Unfall für einen Snack gbrauchen. Dass er damit ein Lächeln auf das Gesicht eines Toten zaubert und eine Mutter ihr Schicksal vieleicht besser ertragen kann lässt ihn fast großmütig erscheinen.

    2. ist rascal ein kluger Kopf. Er hat Armand sehr viel besser durchschaut, als selbst Armand das gedacht hätte.

    Und Armand kann sich nun seinen ersten Hochofen bauen. Dan kann er die ersten paar losen Brocken Silbererz hineinwerfen und wird die ersten Barren nach Hause tragen. Aber - wo ist "zu hause" derzeit eigentich?

    Und was hat er dann vor. Bärenkräfte hin oder her, er wird die Miene mittelfristig wohl nicht allein betreiben können.
    Viel Erfolg Armand. Dass es klappt, weiss ich ja schon. Sonst wäre er ein paar hundert Jahre später nicht stinkend reich.

    aber es ist ja schon eine fast groteske Situation. Zwei Männer haben das Unglück nur knapp überlebt und sitzen jetzt unterm Baum im Mondlicht und der eine erklärt dem anderen den Hochofenbau.

    Nun denn. Auf gehts.

    Liebe Grüße
    Joe

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