Freitag, 18. Mai 2012

Noctambule III - Rückblick: Neue Pläne

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Das kleine Haus stand auf einer Alm, umgeben von saftigen Wiesen, die an drei Seiten von dichten Wäldern umsäumt wurden. Bergauf, hinter dem Haus, erhob sich eine steile Felswand, die kaum Bewuchs zuließ. Lediglich auf einigen Felsvorsprüngen hatte sich etwas Gras und in einigen Nischen Edelweiß angesiedelt. 
Inga fühlte sich mehr als wohl in diesem kleinen Haus. Einmal in der Woche durfte sie hinunter in das kleine Dorf gehen und Einkäufe erledigen. Das Dorf selbst war nur eine Tagesreise von ihrem Heimatort entfernt, aber sie fühlte sich wie in einer anderen Welt.


Die Dorfbewohner waren zurückhaltend aber freundlich ihr gegenüber. Man hatte hingenommen, dass der eigentliche Besitzer des Hauses einfach verkauft hatte und fortgezogen war, denn auch dieser Mann war ein Eigenbrödler gewesen. Hin und wieder kam die eine oder andere neugierige Frage, mit wem sie dort oben wohl lebte, doch Inga antwortete stets mit der gleichen fröhlichen und nichtssagenden Aussage: Mit meinem Mann! 

Daraufhin gab es kaum noch etwas, was man fragen konnte, ohne unhöflich zu werden, auch wenn niemand nachvollziehen konnte, wovon man dort oben leben konnte, wenn man den Mann niemals arbeiten sah oder hörte. Selbst die Jäger und Holzfäller unter den Dorfbewohnern, die hin und wieder in die Nähe des Hauses kamen, sahen mehr als Wäsche vor dem Haus auf einer Leine flattern und hin und wieder auch einmal Inga selbst, die Hausarbeiten verrichtete.
Bald betrauerte man den Tod eines jungen Bauernsohnes, der offenbar einem Bären zum Opfer gefallen war. Dieser Bär schlug genau eine Woche später wieder zu und die Bauern beschlossen, gemeinsam auf die Jagd zu gehen, um die Menschen mordende Bestie ein für alle Mal zu erledigen. Sie kehrten unverrichteter Dinge zurück und nur Inga hätte ihnen sagen können, wer der wahre Täter war. Doch Inga schwieg.
Der Bär schien nun in Nachbarorten sein Unwesen zu treiben, doch diese Nachrichten kamen erst um Wochen verzögert in Ingas kleinem Dorf an und wieder hörte sie den Neuigkeiten schweigend zu. Sie war blass geworden und ihre Bewegungen langsam. Es schien, als würden die kleinsten Arbeiten sie schon enorm anstrengend und sie musste oft eine Pause einlegen. Armand beobachtete Ingas Veränderungen sehr genau. Er wusste, dass er zu oft ihr Blut kostete, doch wenn er das nicht tun würde, müsste er weitaus öfter auf die Jagd gehen.
In der Vergangenheit hatte er begriffen, dass eine Frau wie Marie nicht zu ersetzen war. Wieder und wieder hatte er gehofft, in einer Frau eine Spur des Wesens von Marie zu entdecken. Er verstand es, ihre Zügellosigkeit zu wecken und den Frauen ganz neue Dimensionen in Lust und Hingabe zu zeigen. Doch keine der Frauen verstand es, Armand auf Dauer zu fesseln. Er begann jedes Mal schnell, sich mit ihnen zu langweilen und auch wenn er sich selbst zwang, diese Langweile zu unterdrücken, brodelte sie unterschwellig weiter und nährte seine Verbitterung. Er hatte Marie getötet und er hatte es auch verdient, nun unter dem Verlust zu leiden.
Doch seine Verbitterung verhärtete ihn. Die Tatsache, dass er sich hin und wieder eine Frau nahm und für eine Weile bei sich behielt, beruhte nicht nur auf dem Wunsch, seine Einsamkeit zu beenden. 

Jede Frau war Personal und Nahrung zugleich und keine der Frauen konnte das lange genug durchhalten, um eine echte Beziehung zu ihm aufzubauen. Inzwischen legte Armand es auch nicht mehr besonders darauf an, sich um die Frauen zu bemühen. Seine Ausstrahlung und sein Aussehen genügten meistens, um den Bann aufrecht zu erhalten, was in seinen Augen sehr schnell nur rechtens war. 

Armand langweilte sich auch diesmal. Inga hatte sich schnell an ihre Situation angepasst. Hier, in dieser einsamen Idylle wusste niemand etwas von Ingas Vergangenheit und sie konnte sich frei bewegen. Die Pest hatte sich nicht bis hierher verbreitet, es gab keine verzogenen Bastarde, die ihr nachstellten und sie musste keine haltlosen Vorwürfe ertragen. 

Nachdem sie ihre Entscheidung getroffen hatte, war ihre Angst vor Armand spürbar zurückgegangen, nach einigen Wochen spurlos verschwunden. Sie entwickelte nicht die lustvolle Hingabe wie Marie und leider hatte sie selbst auch keine Fantasie. Auch ging die Initiative niemals von ihr aus, auch wenn sie jedes Mal bereitwillig auf seine Wünsche einging.
Armand lag oft wach in seinem Bett und lauschte ihren Schritten, wenn sie fleißig durch das Haus lief. Nachdem er ihr erlaubt hatte, einen kleinen Garten anzulegen, versuchte sie mit liebevoller Freude, Kräuter zu ziehen und schloss dabei Freundschaft mit einem jungen Fuchs, der sich bald gerne in ihrer Nähe aufhielt, aber niemals näher als fünf Meter an sie heran kam. Inga sprach gerne mit ihm und Armand lauschte ihren Gedankengängen. So erfuhr er viel von ihrer Vergangenheit und wurde darin bestätigt, dass sie sich hier oben regelrecht glücklich fühlte. Wenn nur ihr Mann noch leben würde.


Armand versuchte zu schlafen, doch seine Unruhe wurde mit jedem Tag in gleichem Maß stärker, in dem Inga schwächer wurde. Sie verlor nicht ihre gute, ausgeglichene Laune, doch die Anstrengung zehrte an ihr. Zu der Blässe und Schwäche wegen des massiven Eisenmangels kam schließlich die Müdigkeit, die sie ständig niederkämpfen musste. Sie war bald zu müde zum Essen und wirkte schließlich ausgemergelt. Armand war das natürlich nicht entgangen. Er seufzte leicht und öffnete seine Augen wieder. An Schlaf war nicht zu denken, bevor er endlich eine Entscheidung getroffen hatte.
Es zog ihn weiter. Die Unruhe war nicht mehr zu überspielen und seine Langeweile begann ihn aggressiv zu machen. Inga würde klaglos weiter machen, so lange sie konnte. Doch das würde nicht mehr lange sein. 

Einmal mehr überlegte er, ob er sie nicht einfach gehen lassen sollte. Vielleicht würde sie sich erholen und doch noch ihr Glück finden. Dagegen sprach, dass eine alleinstehende Frau ohne den Schutz einer Familie keine wirkliche Chance haben würde, besonders weit zu kommen. Nicht ohne den Einsatz ihres Körpers und selbst das bot keinen wirklichen Schutz. Außerdem musste er befürchten, dass sie nur ein Mensch mehr sein würde, die Gerüchte über Vampire streuen konnte und das lag nicht in seinem Sinne. 

Der Gedanke, wieder auf Reisen zu gehen, beschleunigte seinen Puls spürbar. Er könnte seine Silbermine aufsuchen und endlich wirklich mit dem Abbau beginnen. Ein wenig Einsamkeit würde ihm gut tun. Wie lange, das würde man dann sehen. Armand freute sich plötzlich auf eine Reise. Und er würde sie alleine antreten. Die Entscheidung war gefallen. Inga wusste es nur noch nicht.

1 Kommentar:

  1. Arme Inga!
    Sie hat eine schicksalhafte Wahl getroffen. Ich hatte damals schon gesagt, dass sie nicht weiss, worauf sie sich einlässt, aber dass sie ihr Ende besiegeln würde... Wer konnte das ahnen?

    Überhaupt wirft Armands Haltung zu Frauen ein neues Licht auf seine Beziehung mit Anya, welche ja unter vergleichbaren Umständen zu ihm gekommen ist. Sicherlich hat er seine Methoden und Fertigkeiten angepasst, aber das Motiv lieb das gleiche.

    Was hatte er mit Anya vor, bevor sich alles so entwickelte?

    LG
    Joe

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