Donnerstag, 10. Mai 2012

Noctambule III - Rückblick: Die freie Wahl

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Er wandte seinen Blick wieder ab und sah wieder in das Feuer.
"Du darfst dir aussuchen, wie es weiter gehen soll. Du kannst gehen, wenn du willst. Bleibst du hier, wirst du dich meinen Regeln beugen." begann er. Inga befeuchtete ihre Lippen und starrte ihn ahnungsvoll an.
"Meine Regeln lauten: Du wirst mir gehorchen. Weigerst du dich, werde ich dich bestrafen. Wie, das wirst du noch heraus finden. Du wirst das Haus sauber halten, die Wäsche reinigen und kochen. Du wirst tagsüber schlafen und nachts für mich da sein." Er hob erneut den Blick und legte ihn auf ihr erschrecktes Gesicht, das sich gerade dunkelrot färbte. Nun lächelte er wirklich kurz.




"Und ja, natürlich auch im Bett." bestätigte er ihren Verdacht. Inga zog die Beine wieder enger an sich und fröstelte.
"Ich bin verheiratet." kiekste sie und verzog kurz das Gesicht vor Ärger über ihre klägliche Stimme. Er lachte stumm und schaute wieder in den Kamin.
"Du warst verheiratet. Außerdem spielt das für mich überhaupt keine Rolle. Ich habe dich ausgesucht, weil ich dich hübsch finde und du anders bist als die meisten Menschen." erwiderte er ruhig und trank endlich einen kleinen Schluck Wein. Inga atmete tief ein. Ohne auf seine Vorschläge einzugehen, wagte sie nun den ersten Vormarsch.
"Wer seid Ihr?" fragte sie direkt.
Statt sofort zu antworten, stellte er das Glas hin und erhob sich aus dem Sessel. Langsam kehrte er zu ihr zurück und blickte auf sie herunter.
"Mein Name ist Armand Sartous." erklärte er mit einer höflichen Verbeugung, als sei sie eine Dame. Dann streckte er ihr erneut die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen.
"Und nachdem ich mich höflich vorgestellt habe, darf ich doch das Gleiche von dir erwarten, nicht wahr?" Inga zögerte kurz. Aber sie fand, dass er im Recht war und wagte es schließlich, seine Hand zu ergreifen. Mit seiner Hilfe stand sie auf, hielt sich jedoch an der Wand und er ließ ihre Hand sofort los, nachdem sie stand. Mit einem leichten Knicks erwiderte sie seine Vorstellung.
"Inga. Inga Schuster." erwiderte sie nun und nestelte nervös an ihrem Rock. Armand nickte schmunzelnd und deutete einladend auf den zweiten Sessel. Dieses Mal setzte er sich nicht einfach wieder hin sondern wartete darauf, dass sie selbst Platz nahm, als wäre sie eine Dame von hohem Stand. 

Ein wenig schmeichelte ihr das schon, doch befürchtete sie auch, dass er sich über sie lustig machte. Aber sein freundliches Gesicht zeigte keinerlei Hohn. Zögernd ging sie nun zu dem Sessel und ließ sich auf der Kante nieder, den Rücken gerade durchgestreckt und die Hände artig im Schoß gefaltet. Nun endlich setzte auch er sich wieder, diesmal nicht mit ausgestreckten Beinen. Er beugte sich vor und angelte nach dem zweiten Weinglas, das er ihr hinhielt. Zögernd nahm sie es an, trank aber nicht.
"Nun, Frau Schuster. Ich werde dich Inga nennen." erklärte er und nippte an seinem Wein, sie mit einem langen Blick durch die Wimpern betrachtend. "Noch kannst du gehen, Inga. Ich werde dich nicht aufhalten, aber auch nicht noch einmal retten." erklärte er dann und stellte sein Glas ab. 

Inga schaute in ihr Weinglas und betrachtete die rubinrote Flüssigkeit, die sich sanft in dem gläsernen Gefängnis bewegte. Der Feuerschein brachte den Wein zum funkeln und schimmern. Irgendwie beruhigte sie der Anblick. Welche große Wahl hatte sie denn schon? Da draußen würde sie früher oder später den Häschern in die Hände fallen, die ihr den Tod ihres Wärters auch noch anlasten würden. Ein qualvoller Tod war ihr da draußen gewiss.
Von ihrem Retter ging keine Bedrohung mehr aus. 

Er hatte ihr ein Haus und Schutz angeboten. Seine Forderungen waren nicht unnormal, fand sie. Immerhin sah er hervorragend aus und hatte ein angenehmes Benehmen. Er war kultiviert, fand sie, und auch wenn sie es nur ungern zugab, nicht einmal ihr geliebter Mann hatte diese Ausstrahlung besessen. 
Sie hätte es schlimmer treffen können. Doch was hatte sie dann in der letzten Sekunde vor ihrer Ohnmacht gesehen? Hatte sie sich diese schreckliche Fratze nur eingebildet? Hatte er den alten Mann wirklich getötet oder sagte er das nur, um ihr Angst zu machen? Hatte ihre Fantasie ihr nur einen Streich gespielt oder war er wirklich der Teufel, für den sie ihn anfangs gehalten hatte?
Tief seufzend betrachtete sie den Wein in ihrem Glas, als würde sie darauf warten, eine Antwort darin zu finden. Sie konnte nicht anders. Sie musste sich eingestehen, dass er das Böse mit einem Mal verloren hatte. Zaghaft blickte sie auf und bemerkte nun, dass er sie immer noch beobachtete. Sein schönes Gesicht war vollkommen ausdruckslos, aber seine Augen funkelten auf seltsame Weise.
Bevor sie sich in diesem Blick wieder verlieren konnte, senkte sie rasch den Kopf und drehte das Weinglas. Dann hob sie es an ihre Lippen und trank einen Schluck. Wärme durchflutete sie, als der Alkohol seine Wirkung entfaltete. Dann schaute sie wieder auf und befeuchtete die Lippen.
"Ich möchte bitte bleiben." sagte sie mit heiserer Stimme.

1 Kommentar:

  1. Sie möchte also bleiben. Ob sie weiß, worauf sie sich einlässt? Nein, weiß sie nicht! :D

    Doch hatte sie tatsächlich die Wahl?

    Armand ist außerordentlich geschickt vorgegangen. Nachdem er gestern ihr erbärmliche Situation in solch epischer Breite dargelegt hat, hatte sie doch keine Möglichkeit, als zuzustimmen.

    Und seine Forderungen hören sich so harmlos an, wie er sie aufzählt :)

    Ich bin gespannt, ob Inga bereut, sich so entschieden zu haben.

    Liebe Grüße
    Joe

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