Mittwoch, 2. Mai 2012

Noctambule III - Rückblick: Das weiße Gesicht

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Es wurde immer kälter in der Hütte. Die Sonne war längst untergegangen und im Dorf wurde es ruhig. Nach Einbruch der Dunkelheit befand sich niemand noch gerne draußen. Man schloss die Fensterläden und verriegelte die Türen, besonders heute Abend, da man doch wusste, dass eine Hexe unter ihnen lebte. 
Inga kauerte an der Wand ihres Schuppens, die Arme eng um sich geschlungen, um die eigene Körperwärme nicht zu schnell zu verlieren.



Dennoch zitterte sie am ganzen Leib. Wie hatte das nur geschehen können? Nur weil das arme Kind der Nachbarin Helga nun auch krank geworden war? Sie konnte doch nichts dafür! Niemals, nie in ihrem ganzen Leben, hätte sie einem anderen Menschen etwas Schlimmes gewünscht! Nicht einmal diesem dämlichen Manfred. Und doch hatten ein paar lächerliche Anklagen zu diesem schrecklichen Vorwurf geführt und der Pfarrer glaubte das alles auch noch!
Inga hatte schon früher schlimmer Geschichten von Hexen, Teufeln und Dämonen gehört. Sie war nie sicher gewesen, ob sie das alles glauben sollte, aber sicherheitshalber hatte sie brav am Sonntag gebetet und die Kirche besucht. Das musste der Pfarrer doch auch wissen! Hexen würden doch jede Kirche meiden! Aber ein Gottesurteil, das wusste jedes Kind, würde auf jeden Fall den sicheren Tod bedeuten. Man würde sie mit einem Gewicht an den Füßen ins Wasser werfen und zusehen, wie sie ertrinken würde. 


Es gab keinen Zweifel, DASS sie ertrinken würde. Sie war keine Hexe und konnte nicht schwimmen. Schon gar nicht gefesselt und mit einem Gewicht versehen. Würde sie sterben, versprach man ihr einen Platz im Himmel. Aber wenn sie durch irgendeinen Zufall überleben würde, wäre sicher, dass sie eine Hexe ist und käme auf den Scheiterhaufen. Inga fror auf einmal erbärmlich. Kleine Schluchzer drängten sich durch ihre Kehle. Bebend robbte sie an die Tür und versuchte, hinaus zu spähen.
Sie konnte den Geruch des Tabaks riechen, den der bewachende Bauer in seiner Pfeife paffte. Sehen konnte sie ihn nicht, denn er hatte sich neben die Tür auf die kleine Bank gesetzt, die ihr Magnus so liebevoll gebaut hatte, damit sie sich ausruhen konnte.
"Heinrich! Heinrich, glaubst du denn wirklich, dass ich eine Hexe bin?" wisperte sie hinaus und versuchte, ihre zitternde Angst zu unterdrücken. Ein Murren kam von der Seite und gab Inga Hoffnung. Er hatte zumindest reagiert.
"Heinrich, bitte glaub mir, ich habe niemals etwas Böses getan! Bitte lass mich raus und rette mein Leben!" flehte sie leise. Sie hörte, wie die Bank knarrte und hielt hoffnungsvoll die Luft an. Doch Heinrich hatte nur sein Gewicht verlagert.
"Halt dein dreckiges Maul, Schlampe!" maulte er unwirsch und stieß eine Rauchwolke aus. Inga zuckte bei seinen Worten zusammen und presste die Stirn gegen das Holz der Tür.
"Bitte… bitte glaub mir doch! Ich bin keine Hexe!" versuchte sie es noch einmal. Die Bank knarrte und Heinrichs Gesicht tauchte so plötzlich an dem Fenstergitter auf, dass Inga erschrocken zurück fuhr. Seine Augen funkelten sie an und er zeigte eine Reihe schlechter Zähne. Sein schlechter Atem erreichte sie sogar am hinteren Ende des kleinen Schuppens.
"Halt endlich dein Maul, Hexe! Sonst komm' ich rein und zeig dir mal, was ICH mit einer Schlampe wie dir tun würde, bevor sie verreckt!" Inga stieß ein Wimmern aus und schüttelte ängstlich den Kopf. Niemals hätte sie solche Bösartigkeit von Heinrich erwartet, der zwar oft knurrig war aber noch nie etwas Böses zu ihr gesagt hatte. 

Der Bauer starrte begehrlich durch das glaslose Fenster und betrachtete nun unverhohlen ihren schlanken Körper. Inga sank in die Hocke, um sich seinen Blicken zu entziehen und umschlang ihren Oberkörper erneut mit beiden Armen. Doch schien das nicht zu reichen, um Heinrichs Fantasie zu stoppen. Er verzog sein Gesicht zu einer grinsenden Fratze und schien zu überlegen.
"Niemand würde dir zu Hilfe kommen, weißt du?" erklärte er ihr doch schien es Inga, als würde er sich selbst nur Mut zusprechen. Doch plötzlich erstarrte sie. Ohne dass sie weggesehen oder auch nur geblinzelt hatte, war aus dem Nichts plötzlich dieses weiße Gesicht hinter Heinrich aufgetaucht. Inga erstarrte und war nicht in der Lage, den Blick abzuwenden. Der Mann hinter Heinrich war riesengroß und überragte den Bauern um eineinhalb Köpfe mindestens. Aber die Größe alleine war noch lange nicht alles. Sein Gesicht war blass wie der Tod, seine Augen so schwarz wie die Nacht und nur seine Lippen waren von einem lebhaften, sinnlichen Rot. Der Schein von Heinrichs Fackel warf grausige Schatten auf sein Gesicht, das von langen, schwarzen Haaren umrahmt wurde.
"Ja, da gaffst du mich ungläubig an, Weib!" lachte der Bauer höhnisch und senkte den Blick auf die Kette, die mehrfach um den einfachen Türschieber und dessen Halterung gewickelt worden war. Der große Mann hinter Heinrich senkte langsam den Kopf zu Heinrich, dann hob er den Blick wie ein Raubtier zu Inga, ohne den Kopf zu heben. Inga hielt die Luft an und presste ihre Hände auf ihren Mund. Wenn das nicht der Teufel war, dann ein Dämon aus der Hölle! Ihr war bewusst, dass sie nun alle Gebete aufsagen sollte, die sie kannte, aber sie bekam kein Wort über die Lippen.
Wie in Zeitlupe senkte der Tod nun den Kopf zu dem Bauern, der offenbar immer noch nicht bemerkt hatte, dass jemand hinter ihm stand. Als Inga die schrecklichen Zähne sah, die er entblößte, schnappte sie nach Luft. 

Sie versuchte zu schreien, aber irgendwie fehlte ihr die Luft dazu. Sie sah, wie Heinrichs Bewegung stockte und er verwundert die Augen aufriss. Bevor er verstand, was geschah, lief ein Rinnsal seines Blutes den Hals herunter und hörte wie Inga auch das schmatzende Geräusch. Der Schock versteifte seinen Körper, er begann zu zappeln, doch die Kräfte des Bösen waren übermenschlich. Und während ihm die Sinne schwanden, weil die Kräfte ihn verließen, sank Inga in Ohnmacht, weil sie vergessen hatte zu atmen.

1 Kommentar:

  1. Erstaunlich, wie wenig nötig ist, um aus einem brummigen, dennoch ehrbaren, Manne einen solchen Soldaten des Bösen zu machen. Wie er sich uneingeschränkt hinter einen kindischen Glauben und eine haltlose Anklage stellt.
    Und darüber hinaus noch bereit ist seinem Trieb nachzugeben.

    Nun ist also Armand gekommen. Die Zeit der Pest ist eine gute Zeit für Vampire, könnte ich mir vorstellen. Niemand stellt die vielen Toten in Frage. Aber man muss aufpassen von wem man trinkt.

    Nun also ist er aus seiner Silbermiene gekrochen und muss seinen Durst stillen. Aber so ein kräftiger Bauer sollte doch reichen um satt zu werden.

    Und jetzt? Wenn man morgen die Leiche des Bauern vor der Tür findet, wird Inga es nicht mehr lebend in die Stadt schaffen. Man wird sie auf dem Marktplatz verbrennen, weil sie durch Hexenkraft den Heinrich durch die Tür ermordete.

    Oder wird sich Armand der schwachen Frau annehmen? Er hat ja doch eine gewisse Schwäche für das zarte Geschlecht. Aber wird sie mit ihm gehen, nachdem sie gesehen hat, was er ist?

    Es IST spannend.

    Liebe Grüße
    Joe

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