Samstag, 12. Mai 2012

Noctambule III: Die Kriegserklärung

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Lechaivre fiel es schwer, die Augen so weit zu öffnen, um zu ihr aufsehen zu können. Der mächtige Verband hinderte seine Kiefer daran, sich weit genug zu öffnen, um klar sprechen zu können und selbst die kleinsten Bewegungen mussten ihm höllische Schmerzen bereiten. Als er nun zu sprechen begann, erkannte Madame mit tiefer Befriedigung, dass er nicht nur schwer verständlich nuschelte, sondern nicht in der Lage war, den Schmerz beim Reden zu unterdrücken.


"Meine liebe Madame Dubrés, bitte verzeiht meine unhöfliche Aufmachung. Ich bin in der Tat extrem angeschlagen, doch wollte ich um keinen Preis Euren Besuch ablehnen. Bitte nehmt doch Platz.. dort in dem Sessel?" er deutete mit einer schwachen Handbewegung auf einen bequemen Sessel. Madame stieß ein abfälliges Schnauben aus und marschierte zu dem Sessel. Sie plumpste hinein und machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Röcke zu sortieren, sondern stützte sich auf ihren Stock und blieb vorgebeugt, um Lechaivre nicht aus den Augen zu lassen.
"Dass Ihr es überhaupt noch wagt, mich "liebe Madame" zu nennen!" knurrte sie erbost. Lechaivre öffnete sein rechtes Auge und betrachtete sie offensichtlich verwirrt.
"Aber ich bitte Euch! Das alles ist ein ganz übles Missverständnis!" nuschelte er und seine Stimme blieb weinerlich jammernd. Madames Braue schoss nach oben.
"Ist es das?" Ihre Frage war schneidend scharf und Lechaivre schloss kurz das gesunde Auge wieder. Madame nahm sich vor, diesem jungen Russen zu gratulieren. Er hatte gute Arbeit geleistet und offensichtlich Übung darin.
"Ich versichere Euch, Madame, ich bin gänzlich unschuldig! Ich wollte Eurem Schützling nur einen letzten Besuch abstatten und mein Bedauern über ihre Zurückweisung ausdrücken. Ganz wie es sich gehört! Im Traum nicht würde ich diesem zarten Wesen etwas antun können!" jammerte Lechaivre. Madame lehnte sich nun doch zurück und räusperte sich, woraufhin das Dienstmädchen zu ihr sah und deren Kopfbewegung richtig deutete. Mit einem hastigen Knicks unterbrach sie ihre Arbeit und verschwand aus dem Zimmer.

Der Arzt hingegen ließ sich Zeit und schien sich auch nicht von dem eisigen Schweigen beeindrucken zu lassen. Doch dann schloss auch er endlich seine Tasche und verließ mit einer knappen Verbeugung den Raum. Kaum hatte die Tür sich geschlossen, als Madame tief durchatmete.
"Wir sind unter uns, Lechaivre! Ich bitte um eine klare Stellungnahme! Wie kommt mein Butler dazu, die Geschichte der Comtesse zu bestätigen, dass Ihr sie angegriffen und beschimpft habt?" Ihre Frage schoss wie eine Pistolenkugel auf den jämmerlichen Hausherrn zu und dieser verzog leidend das Gesicht. Vorsichtig legte er das feuchte Tuch ein wenig weiter nach links und öffnete wieder sein gesundes Auge.
"Dass er dies bestätigt, ist mir tatsächlich ein Rätsel, Madame, denn er war nicht im Salon! Soweit ich mit erinnere, hatte Mademoiselle de Moureaux ihn für den Abend bereits entlassen." antwortete er und klang sehr ehrlich dabei.
"Nun, das mag wohl sein. Was ich ganz und gar nicht verstehen kann, hatte sie doch Besuch, nicht wahr? Schließlich war Monsieur Komarov bereits anwesend?" Madames Stimme wies vielleicht eine winzige Spur Ironie auf, aber wenn überhaupt, dann so verschwindend gering, dass sie Lechaivre entging.
"Aber nein! Der Bursche sprang einfach durch das Fenster und griff mich an! Er bedrohte mich, schlug wie ein Boxer einfach zu und ließ mir überhaupt nicht die Gelegenheit für einen fairen Kampf unter Gentlemen!" beschwerte sich Lechaivre nun. Er konnte die nach oben schnellende Braue Madames nicht sehen und beging den Fehler, einfach weiter zu reden.
"Ich fürchte, ich fiel über ein kleines Tischchen direkt auf die arme Comtesse, was ich zutiefst bedaure! Ich schwöre es! Doch die Vorwürfe gegen mich sind völlig fehl am Platz! Allein die Schmach, unter Hausarrest zu stehen und Gardisten in meinem Haus zu wissen! Eine Schande!" Lechaivre fiel in leidvolles Schweigen und befühlte mit der rechten Hand immer wieder den dicken Verband.
"Der Arzt sagte, es würde Wochen dauern, bis dieser Knochenbruch verheilt! Ich kann froh sein, noch alle Zähne zu haben! Wenn Ihr wüsstet, welche Schmerzen mir das Reden bereitet!" stöhnte er, wurde aber von dem ungeduldigen Klopfen von Madames Stock unterbrochen.
"Erspart mir Euer Mädchengehabe, Monsieur! Ein Mann, der für Recht und Ordnung in dieser Stadt sorgen sollte, müsste wohl als Erster ein vorbildliches Verhalten an den Tag legen!" Ihre Stimme war so schneidend, dass Lechaivre den Kopf hob und sie entgeistert angaffte. Er öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, denn Madame war nun in Fahrt.
"Erklärt mir dann bitte, wie ein blutjunges, unschuldiges Mädchen etwas von 'Stute', 'Flittchen' und … wie war das noch: 'besser zureiten als ein Russe' spricht? Waren das nicht Eure Worte?" Lechaivre schluckte und ließ den Kopf in das Kissen zurückfallen, bereute die heftige Bewegung aber sofort und stöhnte leise.
"Vielleicht ist sie ja doch nicht ganz so unschuldig, sondern ein verlogenes, durchtriebenes kleines Biest?" konterte er leise. Madame donnerte ihren Stock auf den Boden.
"Vergesst nicht, dass Ihr von MEINEM Schützling sprecht, Monsieur!" herrschte sie ihn an. Lechaivre schluckte.
"Seid Ihr sicher, dass sie so unschuldig ist, wie sie es sein sollte? Wie lange kennt sie diesen Komarov schon?" Lechaivres Vorwurf war eine katastrophale Beleidigung, obwohl Madame selbst darauf schwören könnte, dass Miriam schon lange mit diesen attraktiven Russen angebandelt hatte.
Doch war sie die letzte auf Gottes Erdboden, die das verurteilen würde, war sie selbst doch nicht anders gewesen in jungen Jahren. Immerhin hatte die Kleine größte Vorsicht walten lassen und nie einen Skandal durch Entdeckung heraufbeschworen.
Madame rechnete dies ihrem kleinen Schützling hoch an. Sie war zu abgeklärt, um nicht zu wissen, dass Verliebte immer einen Weg zueinander fanden. Nun ließ sie ein langes, eisiges Schweigen zu und erhob sich nach einiger Zeit ächzend aus dem Sessel. Humpelnd stellte sie sich dicht vor Lechaivre und blickte mit verachtungsvoller Miene zu ihm hinunter.
"Eure Behauptungen sind die eines verzweifelten, feigen, dummen Mannes, Lechaivre! Ihr seid erledigt! Dafür werde ich persönlich sorgen! Niemand wird Euch Eure verdammten kleinen Lügen glauben, verlasst euch darauf! Ihr werdet den Kerker, in den Ihr selbst so gerne kleine Verbrecher werft, bald selbst kennenlernen!"
Lechaivre starrte sie mit seinem gesunden Auge fassungslos an und klappte den Mund auf, um etwas zu sagen. Doch Madame beachtete ihn nicht weiter. Hoheitsvoll rauschte sie aus dem Zimmer hinaus und prallte draußen gegen den Butler, der ihr sofort mit einem Räuspern Platz machte.
Sie war sicher, dass er gelauscht hatte und das war ihr sogar sehr recht. So watschelte sie stumm an ihm vorbei, mühte sich ohne einen Klagelaut die Treppe hinunter und erst als sie erschöpft in die Polster ihrer Kutsche sank, stieß sie ein schmerzvolles Stöhnen aus.

1 Kommentar:

  1. Madame empfindet eine gute "Tracht Prügel" also als Kunst, welche es zu würdigen gilt? Wie würde sie dann erst Armands Künste bewundern? Hehe - soll sie nur Sergej gratulieren.

    Und nun macht sie den Wurm fertig. Lechaivre liegt geknickt am Boden und spuckt Gift und Galle. Ich bin sicher Madame ist nur hingefahren um sich die letzte Gewissheit zu holen, dass es sic alles so zugetragen hat, wie Miriam erzählt hat.

    Auch wenn Lechaivre es bestritten hat. Die Gewissheit hat sie nun und jetzt kann sie, einmal mehr, ihren Einfluss zur Schau stellen. Ich bin sicher, sie verfügt über Kontakte, die Lechaivres Glaubwürdigkeit bis in die Grundfesten erschüttern können. Was dadurch begünstigt wird, dass seine Person ohnehin schon angekratzt ist, von seinen Misserfolgen der letzten Zeit.

    Oder kommt Anya dem allen zuvor? :D

    Liebe Grüße
    Joe

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