Mittwoch, 30. Mai 2012

Noctambule III: Der Erdstall

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

"Dieses Haus hat einen Erdstall. Habe ich zufällig entdeckt. Ich weiß nicht, wohin er führt und ich weiß auch nicht, ob er überhaupt noch intakt ist." Verblüffte Stille trat ein.
"Einen.. was?" fragte Armand nun verständnislos nach. Auch die beiden Frauen schienen nicht zu wissen, worum es ging. Aber Sergej wusste es, wenn auch nur lückenhaft.


"Das ist ein unterirdischer Gang. Keine Ahnung, wofür die gut waren, ich kenne sie von Zuhause und aus Ungarn vor vielen, vielen Jahren." Er grinste schief, als ihm wieder einmal klar wurde, wie alt er doch schon war.
"Kann als Schutz vor Kriegen gewesen sein oder vielleicht auch zum Einlagern von irgendwas. Wie auch immer, alle haben einen Ausgang nach draußen und viele sind unglaublich lang und verzweigt. Ich habe nur einen Teil ausgekundschaftet. Es ist nicht ganz ungefährlich für euch." er wandte sich Anya und Miriam zu. "Teilweise werdet ihr liegend kriechen müssen, sonst auf den Knien. Ihr müsst den Ausgang finden. Das könnte Zeit kosten. Verirren könnt ihr euch nicht, keine Sorge. Nur einfach in einer Sackgasse landen und wieder zurück müssen." Armand hatte Anya betrachtet und nickte nun entschlossen.
"Das ist es. Ihr werdet da rein gehen. Zeig es mir, Sergej." beschloss er, doch Anya hob die Hand abwehrend.
"Warum nur wir? Warum kommt ihr nicht mit?" Armand stoppte seine Schritte und kehrte zu Anya zurück. Sachte ging er vor ihr in die Hocke und griff nach ihren Händen.
"Weil wir hier den Eindruck vermitteln werden, dass alle hier sind. So könnt ihr Zeit gewinnen und verschwinden." erklärte er sanft. Seine Augen bohrten sich in ihre und wie immer hatte Anya das Gefühl, in diesem tiefen Blick zu ertrinken. Ihre Finger umklammerten seine Hände und er konnte ihre Sorge um ihn fast körperlich spüren. Anya wusste sehr genau, dass sie ihn nicht umstimmen würde. Doch noch wehrte sich alles in ihr.
"Aber wir hätten einen halben Tag Vorsprung. Alle! Und ihr könntet uns beschützen, wenn sie uns doch einholen sollten! Aber das können sie gar nicht, weil sie nicht wissen, wo sie uns suchen müssen." flüsterte sie eindringlich. Armand hatte diesen Widerspruch erwartet und schüttelte den Kopf.
"Wir können sie hier locker die ganze Nacht aufhalten und noch einen Tag für euch herausholen. Du musst an das Kind denken, Anya!" erklärte er fest. Anya schwieg verzweifelt, doch nun schaltete sich auch Miriam ein.
"Aber wenn wir alle da durch kriechen und den Weg nach draußen finden, dann können wir uns überall verstecken! Und Ihr seid nicht in Gefahr." fiepste sie aus Sergejs Umarmung heraus, der Armand die ganze Zeit stumm betrachtet hatte. Doch nun blickte er auf Miriam hinunter.
"Wir laufen nicht weg, Süße. Glaubst du wirklich, wir kuschen vor denen? Ihr Beide bringt Euch in Sicherheit und wir halten sie auf, so lange es geht."
Die Pause, die nun einsetzte, dauerte lang. Armand warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, denn er wusste ganz genau, dass Anya den letzten Teil sehr genau verstanden hatte. Und richtig, sie hielt die Luft an, starrte auf Sergej und dann auf Armand, während in ihr die Erkenntnis reifte, dass die beiden Freunde fest entschlossen waren, notfalls bis zum bitteren Ende gegen eine Übermacht zu kämpfen.
"Bitte lass mich nicht mit dem Kind allein zurück." hauchte sie nun kaum hörbar, während sie ihn mit vor Angst weit aufgerissenen Augen anstarrte. Armand schluckte und sah sie betroffen an. Dass sie es ihm so schwer machte, hatte er nicht erwartet. Mit jeder Faser seines Körpers wollte er bei ihr bleiben, sie festhalten und ihr alle Sicherheit der Welt bieten. Doch nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sie in eine ungewisse Zukunft zu schicken in der Hoffnung, dass sie sich alleine durchschlagen konnte, falls ihm kein anderer Ausweg einfiel, als sich Fabrizio und seinen Schergen zu stellen.
Noch einmal erwog er die Möglichkeit mit den Frauen gemeinsam durch diesen Erdstollen zu fliehen. Sie hätten mindestens neun Stunden Vorsprung. Vorausgesetzt, sie würden schnell den Ausgang finden, müssten sie sich alle bei Tageslicht durchschlagen. Dabei war aber noch nicht einmal klar, ob der Ausgang nahe der Stadt lag oder mitten in der Natur. Würden sie lange brauchen, wäre es möglicherweise schon wieder dunkel, wenn sie heraus kämen und könnten die Nacht zu einer überlegten Flucht nutzen.
Zugegeben, der Reiz, die Frauen zu beschützen, war enorm groß.
Doch andererseits konnten Armand und Sergej die kommende Nacht nutzen und die Sanghieri aufhalten. Wenn er mit Sergej den Kampf verlieren würde – und davon musste er ausgehen – mussten die Sanghieri noch herausfinden, in welche Richtung die Frauen geflohen waren. Das konnte Anya und Miriam mindestens zwei Tage Vorsprung geben, wenn nicht sogar dazu führen, dass gar nicht mehr nach ihnen gesucht werden würde.

1 Kommentar:

  1. Der Erdstall ist aber doch zugegeben ein hervorragender Glücksfall.

    Aber könnte nicht ein behender Sergej sich jetzt die Zeit nehmen und versuchen schnell den Ausgang zu finden? Man könnte gewiss auch einen weiteren Tag gewinnen, wenn man sich in einem Gang des Erdstalls versteckt?

    Irgendwie mag mir nicht ganz einleuchten, wieso Armand seine schwangere Frau allein lässt und in den, fast, sicheren Tod gehen will. Er kann doch unmöglich vermuten, er könne sich gegen die Sanghieri zu zweit durchsetzen.

    Dennoch ist es rührend, dass seine Sorge um das Kind und Anya größer ist, als der Wille auch seine eigene Haut zu retten. Hätte ihm das vor zwei Jahren jemand gesagt hätte er alles abgestritten.

    Liebe Grüße
    Joe

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