Montag, 16. April 2012

Noctambule III - Unzuverlässige Quellen

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Der gute alte Louis entspannte die Situation ein wenig, indem er nach höflichem Anklopfen eintrat und verkündete, dass nun angerichtet sei. Madame Dubrés schnalzte mit der Zunge und stemmte sich ächzend aus dem tiefen Sofa.
"Alles bespricht sich besser, wenn der Magen voll ist. Darf ich bitten?" Fast dankbar stellte Bellinda ihre Tasse ab während Miriam eher automatisch aufstand und an der Seite ihrer alten Freundin vor ihrem Onkel und ihrer Tante in das Esszimmer ging. Noch immer schwieg sie, doch kehrte die Farbe in ihr Gesicht zurück, was Madame mit Unbehagen beobachtete, denn nun wirkte es eher wie eine leichte Zornesröte.


"Ruhig Kind. Noch ist gar nichts weiter geschehen. Alles ist änderbar." murmelte sie beschwichtigend, erntete jedoch nur ein Schnauben von der Seite.
Die Tafel war festlich hergerichtet worden, mutete jetzt in dieser Stimmung allerdings ein wenig übertrieben an.
Bellinda hingegen war entzückt und hatte die peinliche Situation von eben erfolgreich verdängt. Begeistert lobte sie das Geschirr und Silber ihrer Gastgeberin und verhalf Madame damit zu einem angenehmen Smalltalk über Haushalt und seine Tücken. Matisse mimte freundliches Interesse, nur Miriam stocherte lustlos in der köstlichen Vorspeise herum und schwieg verbissen. Erst bei einer Gesprächspause während des Hauptgangs platzte sie endlich mit ihren Gedanken heraus.
"Ich werde diesen Mann nicht heiraten! Ein für alle Mal, nein!"
Erneut senkte sich das Schweigen über den Tisch. Madame aß mit Appetit weiter, Tante Bellinda starrte verständnislos auf ihre Nichte und Onkel Matisse legte unwirsch sein Besteck nieder, um die Hände über dem Teller zu falten und seine Nichte mit strenger Miene zu betrachten.
"Ganz offensichtlich ist dir nicht bewusst, dass du mit deinem Erziehungsberechtigten sprichst, junge Dame. Ich mache mir höchste Sorgen um deine Zukunft und die Ehe mit diesem angenehmen jungen Mann ist mehr als erstrebenswert. Du darfst nicht vergessen, dass du keine große Auswahl und damit auch keine rosigen Aussichten für deine Zukunft hast! Noch zwei, drei Jahre und du giltst als schwer vermittelbare, alte Jungfer!" Seine Stimme war ebenso streng wie seine Miene, doch schien das Miriam bei weitem nicht so zu beeindrucken wie er erhofft hatte, denn sie starrte entschlossen zurück.
"Er ist kein junger Mann, er ist mindestens fünfzehn Jahre älter als ich!" widersprach sie heftig und schob den Gedanken an den noch viel älteren Sergej einfach beiseite. "Außerdem ist er nicht angenehm sondern das genaue Gegenteil! Ich verabscheue ihn! Wie kannst du so mit meinem Glück umgehen?!" Madame hob eine Braue. Auch wenn sie voll und ganz auf der Seite ihres jungen Gastes war, wusste sie schon die Antwort des Onkels im Voraus und missbilligte lediglich, dass Miriam ihm ein Argument zugespielt hatte, das beinahe unschlagbar war. Und prompt kam es auch.
"Du bist viel zu jung und unerfahren, um dein Glück überhaupt zu kennen, Miriam! Die meisten Ehen werden zwischen den Vätern und Bewerbern abgesprochen. Es liegt an dir als wohl erzogene junge Dame, dich deinem Schicksal zu fügen und aus deiner Ehe das zu machen, was deine Aufgabe ist: eine gut funktionierende Partnerschaft, in der du dein Glück finden kannst, wenn du es nur willst!" Er übersah sowohl das heftige Nicken seiner Gattin als das empörte Kopfschütteln seiner Nichte und nahm sein Besteck wieder auf.
"Du hast die Gastfreundschaft der gütigen Madame Dubrés wirklich genug beansprucht. Im Übrigen sind die Auskünfte, die ich über deinen Verlobten habe einholen lassen, recht vielversprechend. Er stammt aus einer guten, bürgerlichen Familie und besitzt einen energischen Ehrgeiz, der ihn noch weit bringen wird. Eure Zukunft scheint also recht rosig zu werden, zumal sich abzeichnet, dass das Bürgertum in Frankreich mehr und mehr an Macht und Befugnissen gewinnen wird." Erläuterte Matisse zwischen seinen Bissen.

Miriam blinzelte. Die letzten Worte hatte sie nicht verstanden und versuchte noch verzweifelt eine Antwort zu finden, doch nun schaltete sich Madame Dubrés mit ruhigen Worten ein, während sie nach ihrer Serviette griff.
"Mir scheint, dass Eure Quellen nicht besonders zuverlässig sind, mein Guter." meinte sie gelassen und lehnte sich ernst zurück. "Lechaivres Vater ist ein gewöhnlicher, ehrlicher und gewissenhafter Kaufmann, der sich nichts sehnlicher wünschte, als seinem Sohn seine Geschäfte zu überlassen. Meiner Meinung nach wäre es besser gewesen, der junge Mann wäre bei seinen Leisten geblieben und hätte sich den Wünschen seines Vaters gebeugt, statt sich in zu dünne Luft zu begeben." Ihr Ton war sehr ruhig gewesen, doch entgingen Matisse keineswegs die scharfen Untertöne und so schluckte er seinen letzten Bissen etwas mühsam herunter.

1 Kommentar:

  1. Uiuiui.. Welch überraschende Wendung.

    Madame kritisiert Lechaivre als ungeeignet. Ihr Wort hart Schlagkraft in Gesellschaftilchen Belangen der Stadt. Wenn sie einen Mann als Tunichtgut darstellt, wird das gehört werden.

    Ansonsten ist, was Matisse macht, wenig überraschend und war doch allzu lang Realität. Ach, wieso 'war'. Auch heute noch gibt es Gegenden und Länder, in denen das Mädchen keinen messbaren Einfluss auf ihre Eheschließung hat.

    Und auch wenn Matisse Forderung durchaus sinnvoll erscheint ist es doch aus Miriams Perspektive so grausam.

    Ich bin nun gespannt, wie Matisse die Vernichtung seines Vorzugskandidaten hinnimmt. Und Miriam ist hoffentlich schlau genug, auf Madames Zug aufzuspringen und nicht einen eigenen Schauplatz aufzumachen, auf dem sie nicht gewinnen kann.

    LG
    Joe

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