Dienstag, 17. April 2012

Noctambule III - Überraschender Besuch

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

"Ich verstehe nicht, Madame?" murmelte er unbehaglich. "Immerhin wurde er vor über einem halben Jahr zum Oberbefehlshaber der Garde ernannt!"
"Nun, offenbar sind Euch seine Misserfolge der letzten Monate nicht bekannt? Wie auch, ihr lebt zu weit weg von all den Geschehnissen der Großstadt, nicht wahr?" Ihr Ton war freundlich, doch selbst Bellinda hatte die unterschwellige Herablassung über ihr Landleben erkannt und starrte verlegen auf ihre Gastgeberin.


"Lechaivre war bisher nicht in der Lage, all die schrecklichen Morde aufzuklären. Nicht einmal der Überfall auf das Haus und die Familie Eures Schwagers wurde geklärt. Ich sprach erst kürzlich mit André de la Rouche, dem Richter des obersten Tribunals, darüber. Er ist mehr als ungeduldig und ich befürchte, dass Lechaivre sich bald im Verwaltungsbereich wiederfindet oder vielleicht darf er noch den Diebstahl von Kleinigkeiten klären. Seine Zukunft ist alles andere als rosig. Das hat er wohl gerne verschwiegen. Er hat sich ein wenig zu weit aus dem Fenster gebeugt, meint Ihr nicht auch?" Ihr Tonfall war süß geworden, fast ein wenig singend und Miriams Wangen färbten sich tiefrot vor Schadenfreude, als sie das sprachlose Gesicht ihres Onkels betrachtete.
Matisse war perplex. Er hatte überhaupt keine weiteren Nachforschungen betrieben, sondern sich letztlich auf die Aussagen Lechaivres verlassen, der doch so überzeugend, so wohlhabend und gut gekleidet einen hervorragenden Eindruck hinterlassen hatte. Nun hörte er erstmals Dinge, die er wahrlich nicht erwartet hatte und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit nicht allzu sehr als Trottel dazustehen.
Während das Dienstmädchen die Nachspeise auftrug, räusperte er sich und spülte seinen Schreck mit einem tiefen Schluck Wein herunter.
"Das sind in der Tat interessante Neuigkeiten. Doch bin ich überzeugt, dass diese seltsamen Verbrechen nicht alleine von Paul Saint Lechaivre untersucht werden und er nicht die alleinige Verantwortung zu tragen hat, nicht wahr? Soweit ich weiß, untersteht ihm die Garde und damit auch die gesamte Sicherheit der Stadt. Dieser Posten zeugt von hoher Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein, und er wird diese Position nicht zufällig erhalten haben." Madame stieß ein freudloses Lachen aus und tätschelte beschwichtigend Miriams Hand, als wolle sie schon im Voraus ihre Worte entschuldigen.
"Er übernahm diesen Posten durch eine Empfehlung Eures Schwagers, wie Ihr sicherlich wisst. Seine Ernennung ist vorläufig und dient nur dazu, ihm die Befugnisse einzuräumen, die er benötigt, um sich zu bewähren. Hatte nicht der Arzt des Comte erst kurz vor dessen Tod eine Herzschwäche erkannt? Euer Schwager hatte niemanden an der Hand, der seinen alten Posten so schnell übernehmen konnte, denn schließlich hatte er ja bereits an den Herzog übergeben, der leider allzu plötzlich einem Verbrechen zum Opfer fiel. Ich fürchte jedoch, dass nun, über ein halbes Jahr danach eine neue Ordnung ansteht und sicher auch ein Nachfolger gefunden wurde, der weitaus geeigneter sein dürfte."
Matisse stierte Madame an wie unerwünschtes Ungeziefer. Diese alte Schachtel schien wesentlich mehr zu wissen, als sie bisher hatte durchblicken lassen. Er schien ihre Verbindungen massiv unterschätzt zu haben und nun stand gerade nicht die Entscheidung von Miriams Zukunft zur Debatte sondern sein eigener Gesichtsverlust.
Da ihm nicht zustand, sich einfach von der Tafel zu erheben, solange die Dame des Hauses noch saß, beendete er sein Mahl einfach vorzeitig und faltete seine Serviette betont zusammen, was Bellinda mit höchster Missbilligung bemerkte.
"Nun, ich bin davon überzeugt, dass Lechaivre seine Karriere nicht nur auf einem Standbein aufgebaut hat und wir werden sicherlich seine Pläne noch erfahren. Eine Veränderung in seiner beruflichen Umgebung dürfte nicht unbemerkt an ihm vorbei gegangen sein und er ist schlau genug, sich entsprechend vorbereitet und abgesichert zu haben. Wir werden sehen. Diese Unterhaltung hat meine Entscheidung nicht beeinflusst." Sein Blick fiel streng auf die stumme Miriam, die vergessen hatte, ihre Nachspeise anzurühren, nun aber mit funkelnden Blicken zurückstarrte.
"Und ich werde ihn trotzdem nicht heiraten!" verkündete sie patzig.


Nachdem die Stimmung am Tisch deutlich getrübt war, erhob sich Miriam sobald die Höflichkeit es zuließ und zog sich auf ihr Zimmer zurück. Das war Madame sehr recht, denn ihre Gicht hatte sich verschlimmert und sie sehnte sich massiv nach ihrem Bett.
So verabschiedete auch sie sich ohne zu zögern und überließ ihre Gäste ihrem Schicksal, davon überzeugt, dass auch Matisse und Bellinda sich bald zur Ruhe begeben würden.
Bellinda plante genau dies. Sie plante allerdings auch, noch einmal in einer ruhigen Minute mit der widerspenstigen Nichte zu sprechen, doch war die Reise anstrengend gewesen und die Vorfreude auf ihr großes Bett ganz für sich alleine war größer als der Wunsch nach einem beschwichtigenden Gespräch mit diesem verwöhnten Wildfang.
So blieb Matisse bei einem Glas Sherry am Kamin im Salon zurück und brütete vor sich hin, nachdem er seine Perücke heruntergerissen hatte, um seinem schütteren Haar etwas Luft zu geben.
Miriams Dickköpfigkeit drohte all seine Pläne zum scheitern zu bringen.

Noch hatte er den geplanten Verkauf des kleinen Landgutes nicht angesprochen und war nun sogar froh darüber. Er musste dringend mit Lechaivre sprechen und einiges klären, was sich als unsicher herausgestellt hatte.
Im Prinzip war es ihm egal, ob der Bursche scheiterte oder nicht. Sobald Miriam unter der Haube war, hatte sich seine Pflicht als Vormund aufgelöst. Doch schätzte er es gar nicht, dreist belogen zu werden und dies beabsichtigte er auch mitzuteilen.
Die Vormundschaft für Miriam hatte er wahrlich nicht gerne übernommen, schätzte er doch keineswegs die freie Erziehung, die Miriam solche Respektlosigkeiten erlaubte, sogar seinen Anweisungen zu widersprechen. Wieder einmal bewahrheitete es sich, dass man junge Damen nicht zu sehr verwöhnen durfte.
Doch hatte sein Schwager bei solchen Gesprächen immer nur lachend abgewunken und darauf hingewiesen, dass das Leben auf dem Lande sicherlich schwieriger wäre als in der Stadt, was eine strengere Erziehung möglicherweise unumgänglich machen würde.
Hingegen hatte das Erbe Miriams ihm bisher gute Dienste geleistet, ohne dass es besonders auffällige Ungereimtheiten gegeben hatte. Nun war es endlich an der Zeit, Miriam zu verheiraten und diese lästige Verantwortung los zu werden. Während er sich ein weiteres Glas genehmigte, klopfte es und der Butler erschien mit ausdrucksloser Miene.
"Monsieur Komarov traf soeben ein und bittet um ein persönliches Gespräch mit Euch, Monsieur." Sollte er eine gewisse Freude über das verblüffte Gesicht des Gastes empfinden, war ihm nichts anzumerken. Er wartete einfach regungslos auf eine Zu- oder Absage.

1 Kommentar:

  1. Das war ein schöner Vortrag von Madame. Und auch noch genau in die richtige Kerbe.

    Matisse steht nun alles andere als vorteilhaft dar. Er hat seine Verpflichtung als Vormun verletzt, indem er für Miriam eine, wohl doch nicht so vorteilhafte, Verbindung arrangiert hat.

    Wenn jetzt noch jemand darauf kommt, dass dies für Miriam ja eine Vermählung unter Stand ist, sollte die Sache endlich vom Tisch sein.

    Allgemein jedenfalls ein äußerst unangenehmer Abend im Hause Dubres. Und was wohl bei Bellindas Gespräch mit Miriam herauskommt? Ich denke nicht viel. Auch wenn Miriam ihre Tante sicherlich liebre mag als ihren Onkel wird sie wohl auch dort ihre Patzigkeit nicht ablegen.

    Es war jedenfalls schlau Madames Vortrag nicht zu unterbrechen. Der Schlussatz war zwar nicht übermäßig geschickt, aber auch nicht dumm. Nochmal schön nachgesetzt jedenfalls.

    Und da ist endlich Sergej. Er plant also eine Unterredung mit Matisse? Plant er auch einen Mitternachtssnack? :)

    LG
    Joe

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