Donnerstag, 19. April 2012

Noctambule III - Schwarze Kerzen

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Fabrizio Sanghieri band das schwarze Samtband um seinen blonden Haarschopf und zupfte noch einmal sein Halstuch zurecht. Was er im Spiegel sah, gefiel ihm.
Er trug angemessenes Schwarz, natürlich die neueste florentinische Mode. Das weiße Hemd war üppig mit Rüschen verziert und die Beine steckten in Kniehosen und weißen Kniestrümpfen. Seine Schuhe waren aus feinstem schwarzem Leder, mit Silberschnallen verziert und der neuesten Mode entsprechend.
Er nickte seinem Spiegelbild zu und rückte mit einem Räuspern die Schultern gerade, als müsse er so seine ohnehin aufrechte Haltung korrigieren. Dann verließ er sein Zimmer, um sich der Gesellschaft zu zeigen, die sich im Erdgeschoss versammelt hatte. Doch bevor er den großen Salon betrat, wandten sich seine Schritte noch einmal dem Sterbezimmer zu, in dem man seinen Vater aufgebahrt hatte.


Der alte Sanghieri lag bereits in einem Sarg aus teurem, schwarz gefärbtem Eichenholz. Sein Gesicht war eingefallen, äußerst faltig und die sonst so dunkelroten Lippen wirkten schmal und grau. Man hatte ihn nicht wie sonst üblich mit weißer Sterbekleidung versehen, sondern auf Fabrizios Befehl in einen schwarzen Anzug gekleidet.
Seine Hände waren auf dem Bauch gefaltet und mit einem schwarzen Band zusammengehalten. Fabrizio betrachtete diese alten Hände und spielte mit dem Siegelring an seinem eigenen Finger, der bis heute morgen noch an der Hand seines Vaters gesteckt hatte. Mit diesem Ring hatte er traditionell die Nachfolge des Oberhaupts angetreten und endlich, endlich sein Ziel erreicht.
Da Fabrizio alleine war, gestattete er sich ein Lächeln. Nun würden endlich andere Zeiten anbrechen und die weiche, nachsichtige Führung des Alten einer neuen Ära weichen müssen. Träge betrachtete er die unzähligen schwarzen Kerzen, die rund um den Sarg verteilt worden waren und ein weiches Licht auf den Verstorbenen warfen.
Sie würden in wenigen Minuten gelöscht werden und auch wenn die Uhrzeit ungewöhnlich war hatte Fabrizio darauf bestanden, die Beisetzung nach Einbruch der Dunkelheit anzusetzen.
Im Salon tummelten sich zahlreiche Menschen, die den Verstorbenen auf seinem letzten Weg begleiten wollten.

Fabrizio hatte angeordnet, dass jeder in der Familie sich letzte Nacht weit außerhalb der Stadt auf die Jagd zu begeben hatte, um heute Abend ohne große Probleme unter den vielen Menschen sein zu können. Ja, dies war eine große, offizielle Bestattung. Man würde in einer langen Prozession den Sarg durch die Stadt zum Friedhof tragen, dort in der Kapelle den Abschiedgottesdienst halten und dann endlich diese schwarze Kiste in der alten Familiengruft versenken, die seit vielen Generationen schon dem Imperium der Sanghieri gehörte.

Fabrizio konnte es kaum erwarten. Nach außen hin würde er brav den trauernden Sohn spielen und seinem jüngeren Bruder Alessio in dessen offenbar echten Trauer eine Stütze sein. Er würde die Geschäfte seines Vaters unverändert weiterführen, denn sie hatten sich bewährt und Fabrizio hatte lange genug an der Seite seines Vaters bereits darin gearbeitet.
Er würde das Andenken seines Vaters wie man es von ihm erwartete, hoch halten. Doch die Härte der Führung würde zurückkehren. Vergehen würden gnadenlos bestraft werden und fremde Vampire, die nicht in seine Familie gehörten, würden gnadenlos vertrieben oder getötet werden. Die Zeit, in der wildfremde Vampire einfach in die Familie aufgenommen wurden, war endgültig wieder vorbei.
Die Türe hinter ihm öffnete sich leise und sein engster Freund Enrico betrat leise den Raum. Enrico hatte stets große Stücke vom alten Sanghieri gehalten und war ihm niemals respektlos gegenüber getreten. Nun aber stellte er sich neben seinen Freund und betrachtete den Toten ruhig. Nach einer angemessenen Pause sah er Fabrizio an und räusperte sich.
"Es wird Zeit. Bald hast du es hinter dir." murmelte er leise. Fabrizio nickte und straffte sich erneut.
"Gut. Sind alle da?" Enrico nickte sofort, immer noch respektvoll den alten Sanghieri betrachtend, als würde er damit rechnen, dass der Tote die Augen aufschlagen und aufstehen könnte.
"Ja. Nur du fehlst noch. Alessio hält sich gut. Er scheint sich gefasst zu haben." Da sein neuer Chef nur knapp nickte, wagte er noch eine Frage.
"Wie sind deine weiteren Pläne?" Fabrizio stieß ein leises Lachen aus und schob das Kinn vor.
"Morgen Nacht brechen wir auf. Such die vier besten Männer raus. Wir werden eine längere Reise unternehmen." Enrico runzelte die Stirn, doch die Aussicht auf eine Reise war spannend genug.
"Wohin geht’s denn?"
"Nach Marseille. Ich habe noch eine Rechnung offen mit diesem Sartous und seiner Schlampe. Es ist an der Zeit sie zu eliminieren, bevor sich diese unreine Brut auch noch vermehrt." Enrico zeigte bei einem breiten Grinsen seine scharfen Zähne und nickte beifällig, bevor ihm eine Ungeheuerlichkeit einfiel, die sein Gesicht erstarren ließen.
"Fabrizio, hast du vergessen, dass das Weib schon schwanger ist? Du darfst sie nicht töten!" wandte er nach einer atemlosen Pause ein. Sein Freund und Oberhaupt zuckte mit den Schultern.
"Ein Balg, gezeugt von Unreinen!" Enrico schüttelte den Kopf.
"Dieses Kind wird rein geboren! Wir haben kein Recht, es zu töten, Fabrizio! Du machst einen großen Fehler!" Fabrizio drehte sich zu ihm um und zeigte ihm seine volle Breitseite. Mit grimmigem Blick zwang er Enrico, unsicher zur Seite zu sehen.
"Armand Sartous hat meine Schwester umgebracht, vergiss das nicht! Ich erkläre sie zu Nefandii!" verkündete er scharf. Enrico hob sprachlos den Blick. Nefandii! Das hätte der alte Sanghieri niemals getan.
Damit waren Sartous und seine Familie ausgestoßen, vogelfrei und von jedem zu töten, der ihnen begegnete. Mit verkniffenen Lippen nickte er und betrachtete seinen alten Freund. Fabrizio hatte sich seit dem Tod seines Vaters schlagartig verändert. Eine neue Zeit würde anbrechen und mit der Jagd auf Sartous eingeläutet.
Keine gute Zeit, fand er. Trübsinnig hielt er seinem Oberhaupt die Tür auf und begann, über seine eigene Stellung nachzudenken. In einem einzigen Augenblick hatte sich sein Leben verändert.
Würde er Fabrizio unterstützen, müsste er gegen seine eigenen Prinzipien verstoßen und Jagd auf eine schwangere Vampirin machen, egal ob sie nun rein oder unrein war. Dieser Sartous war seit vielen hundert Jahren schon kein Unreiner mehr, sondern hatte alle Eigenschaften eines reinen Vampirs.
Ob er die Schwester seines Freundes wirklich getötet hatte, konnte nur der alte Sanghieri wissen. Er konnte nicht glauben, dass Fabrizio die Entscheidung seines Vaters einfach als falsch hinstellte. Doch würde er sich gegen Fabrizio stellen, müsste er damit rechnen, die ganze Sippe gegen sich zu haben und selbst zu einem Ausgestoßenen zu werden.
Zutiefst in Gedanken versunken folgte er Fabrizio, um den Verstorben auf dem letzten Weg zu begleiten. Urplötzlich hatte er das Gefühl, seiner eigenen Beerdigung beizuwohnen.

1 Kommentar:

  1. Der Alte ist dahingeschieden und neue Besen kehren gut.

    Jetzt wird auch der Titel dieses Bandes klar. Ich hatte mich schon gefragt, ob es eine neue Reise zu den Nefandii geben würde die schon in den Rückblicken erwähnt worden waren. Aber nein: Es gibt eine neue Nefandii-Gruppe und diesmal offensichtlich in Marseille.

    Fabrizios Hass ist ziemlich grenzenlos. Und sein Jähzorn hat sich ja schon am ende des letzten Bandes gezeigt. Er erinnert mich ein wenig an Santino Corleone. Der hat seine Unvernunft übrigens mit dem Leben bezahlt.
    Ich hoffe mal, dass es Fabrizio genauso ergehen wird.

    Und wenn ein Vampir nächtens bestattet werden kann, dann kann ein anderer Vampir doch auch nächtens heiraten, oder, Sergej?

    Liebe Grüße
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.