Montag, 30. April 2012

Noctambule III - Rückblick: Der gebrochene Flügel

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III





Faal (Schweiz) 1573

Inga zerrte mit beiden Händen an dem rauen Seil, um den vollen Eimer aus dem Brunnen zu ziehen. Sie hörte, wie überschwappendes Wasser zurückfiel und plätschernd auf das Grundwasser tropfte und hoffte, dass sie nicht zuviel verloren hatte. Sonst müsste sie den Eimer ein drittes Mal ablassen, obwohl die Haut an ihren Händen jetzt schon brannte. 


Sie erwartete nicht, dass einer der Bauern, die vorbei schlurften, ihr helfen würden. Inga fühlte sich als Außenseiterin in diesem Dorf seitdem ihr Mann so jung und viel zu früh der Pest erlegen, sie aber kerngesund geblieben war.




Das ganze Dorf litt unter der Pest. Immer wieder waren Klageschreie zu hören, vermummte Gestalten schlichen gebeugt durch die Straßen, der Pfarrer hörte nicht mehr auf zu beten und lief mit Weihrauchpfannen durch das Dorf.

Was für Dummköpfe das hier waren! Inga selbst wusste auch nicht, warum sie bisher von der Pest nicht angegriffen worden war. Ihr Gesicht zeigte noch immer die rosigen Wangen, ihre braunen Augen glänzten und ihre schlanke Gestalt war von makelloser Haut überzogen. 

Mit ihren 19 Jahren war Inga eine sehr junge Witwe. Die Schusterei von Magnus konnte sie nun nicht alleine aufrecht erhalten, aber sie pflegte inbrünstig und hingebungsvoll ihren kleinen Kräutergarten hinter dem kleinen Häuschen, das sie nun alleine bewohnte. Es würde ihr nur nicht viel helfen. 

Sie würde hier wegziehen und ihr Glück in einer der Städte versuchen müssen. Aber noch konnte sie sich nicht dazu aufraffen, die Stätte ihres jungen Familienglücks einfach aufzugeben.
"Na, Inga? So spät noch unterwegs?" Die Stimme von Manfred riss sie aus ihren Gedanken, die sie geistesabwesend mit ihren zwei Eimern auf dem mühsamen Heimweg geführt hatte. Der Anblick von Manfred brachte Inga nicht zum Lächeln. Sie mochte ihn nicht. Er hielt sich für schön und unwiderstehlich. 

Zugegeben, er sah nicht schlecht aus. Doch war Manfred unter den Frauen dafür bekannt, dass er keine Eheabsichten hegte, sondern nur ein schnelles, sündiges Vergnügen suchte. Genügend junge Mädchen waren auf ihn bereits hereingefallen, hier im Ort sowie in der Umgebung. Entweder waren sie in Klöstern gelandet, hastig nach außen verheiratet worden und eine hatte sich sogar mit einem Seil von der Brücke über die Isar gestürzt und dabei das Genick gebrochen. Kinder hatten den baumelnden Leib am nächsten Morgen entdeckt.
"Geh nach Hause, Manfred." murrte sie abweisend und wollte ihn umgehen. Aber Manfred versperrte ihr erneut den Weg.
"Ich kann dir die schweren Eimer tragen. Das mache ich gerne, das weißt du doch." er grinste sie breit an und streckte die Hände schon nach den Eimern aus, doch Inga starrte ihn nur wütend an.
"Geh nach Hause, sagte ich! Ich will meine Eimer selbst tragen!" Ihre Stimme war nicht lauter geworden, aber ihr ganzer Unmut schwang darin und der Beginn eines Zornausbruchs flackerte in ihren Augen. Manfred hob beschwichtigend, aber unzufrieden die Hände.
"Ist ja schon gut! Hältst dich für was Besseres, was? Das wird dir schon noch vergehen!" schnauzte er und trollte sich, immer wieder kleine Steinchen mit dem Fuß vor sich hin stoßend. Ingas Blick folgte ihm eine Weile unbehaglich, bevor sie sich wieder auf den Heimweg machte. 

Manfreds Drohung war nicht einfach auf die leichte Schulter zu nehmen. Er lebte mit seiner verwitweten Mutter alleine, doch wusste jeder, dass er ein Bastard des Stadtvogts war. Nicht umsonst war seine Mutter wohlhabend genug, teure Kleidung zu kaufen, ihr Haus streichen zu lassen und sogar ein kleines Fuhrwerk zu haben, mit dem sie ab und zu die Stadt besuchte. Auch wenn Manfred nicht anerkannt worden war von seinem Vater, so zog seine Mutter wohl genug Entschädigung aus der alten Affäre und Manfred hatte einigen Einfluss auf die Dörfler.
Seufzend hing sie wieder ihren ursprünglichen Gedanken nach. Sie musste diesen Ort verlassen. Und das möglichst noch, bevor die Pest auch sie erwischte. Nur wohin? Und wie? Es fiel ihr so unendlich schwer, den Ort zu verlassen, an dem sie ihr größtes Glück in Magnus gefunden hatte. Doch war es nicht auch der Ort des größten Unglücks? Warum konnte sie einfach nicht loslassen?
Ein kleines Flattern und ein hilfloses Fiepsen riss sie aus ihren Grübeleien. Sie hatte beinahe ihr Haus erreicht, doch bliebt sie nun stehen und starrte in das dichte Gebüsch unter einer alten Eiche. Mit zusammengekniffenen Augen erkannte sie die kleine Elster, die offensichtlich aus dem Nest gefallen sein musste.
Prüfend blieb Inga auf abstand und suchte mit den Augen die Umgebung nach suchenden Eltern ab. Aber weder war ein Ruf zu hören noch eine erwachsene Elster in der Nähe. Voller Mitleid schaute sie wieder zu dem jungen Vogel. Er war kurz davor, flügge zu werden und musste noch gefüttert werden. 

Ohne seine Eltern würde er hier unten kläglich verhungern. Inga fasste einen Entschluss und lief rasch nach Hause, um ihre Eimer los zu werden.
Kurz darauf kehrte sie mit einem Tuch wieder zurück und prüfte noch einmal die Umgebung. Nachdem sie wieder keine Vogeleltern entdeckte, kroch sie in das Gebüsch, bis sie den jungen Vogel erreichen konnte und hob ihn vorsichtig mit dem Tuch auf.
"Psst.. alles wird gut." murmelte sie leise und spürte das Herz der Elster panisch klopfend in ihrer Hand. Erst jetzt entdeckte sie, dass der rechte Flügel gebrochen sein musste, denn er hing schlaff und kraftlos herunter.


1 Kommentar:

  1. UI.. Rückblicke.
    Fluch und Segen...

    Interessante Geschichten und doch stellen sie die Neugier, was auf der Hauptlinie passiert, auf eine arge Probe.

    Jetzt bin ich gespannt, wie es der armen Inga gehen wird.

    Liebe Grüße
    Joe

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